Bestatten als Care-Arbeit

Was passiert zwischen Tod und Beisetzung? Für die Gründer*innen von Tamo Bestattungen ist diese Zeit eine wertvolle Phase der Begleitung. Ihr Ziel: Selbstbestimmte Abschiede ermöglichen – besonders auch für queere Menschen. Interview: Lucia Mair

Foto von Ulrike Friedl und Yvonno Leeb von Tamo Bestattungen. Beide haben kurze Haare und eine Brille. Sie stehen auf einer Straße, im Hintergrund Wohnhäuser.
Ulrike Friedl und Yvonno Leeb von Tamo Bestattungen. Foto: Carolina Frank, 2024

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist die Zusammenfassung von einem Interview mit den Gründer:innen von „Tamo Bestattungen“. Die Wissenschafterin Lucia Mair hat das Interview geführt.

Ulrike Friedl und Yvonno Leeb haben „Tamo Bestattungen“ gegründet. Für die Tamo-Gründer:innen ist die Zeit zwischen Tod und Beerdigung eine wertvolle Phase. Die Zugehörigen können sich verabschieden und den Tod realisieren. Tamo macht mehr als andere Bestatter:innen: Es geht nicht nur um die Organisation der Bestattung, sondern um eine Begleitung der trauernden Zugehörigen. Das Angebot von Tamo richtet sich insbesondere an Menschen, die einen selbstbestimmten Abschied möchten. Tamo achtet auch besonders auf die Bedürfnisse queerer Menschen.

Es gibt viele Wissenslücken über Bestattungen. Tamo informiert darüber, was erlaubt ist und möglich ist. Zum Beispiel ist es möglich, die verstorbene Person selbst zu waschen, anzukleiden und in den Sarg zu legen.

Bei Bestattungen sind Kosten ein großes Thema. Tamo bietet ein transparentes, solidarisches Preismodell. Es gibt für alle dieselbe Pauschale, unabhängig vom Aufwand.

Tamo versteht Bestatten als Care-Arbeit. Die Gründer:innen sagen: Die Zeit nach dem Tod eines Menschen ist für die Zugehörigen meistens sehr traurig. Aber im Abschiedsprozess kann man auch bestärkende Erfahrungen machen.

Bettina Enzenhofer hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at

Lucia Mair: Im Zusammenhang mit der Gründung von Tamo sprecht ihr von einem „neuen“ Bestattungskonzept. Was ist an eurem Ansatz neu, was macht ihn besonders? 

Tamo: Wir sehen in der Phase zwischen dem Sterben und dem Begräbnis vor allem eine wertvolle Zeit, die von den Zugehörigen genutzt werden kann, um sich zu verabschieden, den Tod zu realisieren und die damit verbundenen Gefühle zu navigieren. Es ist ungemein wertvoll, sich dann tatsächlich zu fragen: Was brauche ich dafür? Was sind für mich hilfreiche Erfahrungen, um mit dem Verlust umzugehen? Wir denken, dass es wichtig ist, in dieser Zeit die gemeinsame Geschichte und die Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. So können wir Verlusterfahrungen angemessen begegnen und emotionale Wunden versorgen. 

Wenn man in die aktuellen Debatten der Trauerforschung oder in die internationale Bestattungskultur blickt, gewinnen trauerbegleitende und traumasensible Bestattungsansätze zunehmend an Bedeutung. Diese gesellschaftlichen Bewegungen rund um Sterben, Tod und Trauer entwickeln sich schon seit vielen Jahren und wir haben diese Ansätze mit der Gründung von Tamo Bestattungen nach Wien und Niederösterreich gebracht.

Unsere Bestattungsarbeit geht mit diesem Fokus über die konventionellen Leistungen, also sämtliche organisatorischen Schritte einer Bestattung, die wir selbstverständlich auch abdecken, hinaus. Im Vordergrund steht bei uns aber die Begleitung der Zugehörigen und der Verstorbenen. Wir treffen uns und nehmen uns ausreichend Zeit, um zu unterstützen, zu informieren und gemeinsam herauszufinden, was ein passender Weg sein könnte und was die Zugehörigen nun brauchen. Dabei hören wir zu, stellen Fragen, geben Impulse und öffnen einen Handlungsrahmen, in dem Abschiedsprozesse aktiv gestaltet werden können.

Wir arbeiten mit Methoden wie Bezugsbestatten, begleiteten Totenfürsorgen, persönlichen Abholungen, individuellen Ritualgestaltungen und Trauerreden, sowie gemeinsam gestalteten Begräbnissen.

Lucia Mair: Für wen ist euer Angebot gedacht, richtet ihr euch an bestimmte Menschen oder Gruppen? 

Tamo: Unser Angebot richtet sich prinzipiell an alle, die sich einen selbstbestimmteren Abschied wünschen. Mit dem Ansatz des trauerbegleitenden Bestattens orientieren wir uns an den Biografien und Beziehungen der Verstorbenen und ihren Zugehörigen. So können wir individuelle Begleitungen anbieten. 

Lucia Mair: Welche Formen von Bestattung sind bei euch möglich, und welche werden häufig oder selten nachgefragt – beobachtet ihr da eine Entwicklung?

Tamo: Wir ermöglichen alle Bestattungsformen, die in Österreich erlaubt sind. Dabei begegnen uns natürlich viele verschiedene Religionen und Glaubensansätze. Das macht unsere Arbeit auch spannend, nicht selten lernen wir etwas über Geschichte und über die Bedeutung und das Potenzial von tradierten Ritualen. 

Es ist regional sehr unterschiedlich, welche Bestattungsarten bevorzugt werden. Vieles wird danach entschieden, wie sich die umliegende Infrastruktur gestaltet. Welche Friedhöfe gibt es, wie zugänglich sind diese, welche Kosten sind mit welcher Grabart verbunden? Am stärksten orientieren sich die Zugehörigen jedoch an den Wünschen der Verstorbenen. 

Wir nehmen ein stärker werdendes Interesse an nachhaltigen Bestattungsarten wahr, oder zumindest ein Bewusstsein dafür. Das nehmen wir selbst auch sehr genau – unsere Särge sind komplett unlackiert und auch die Innenausstattung ist biologisch abbaubar. Generell gibt es viel Luft nach oben in der Aufklärung und Umsetzung von umweltschonenden Bestattungsweisen. 

Lucia Mair: Was bedeutet „Bezugsbestattung“, wie kann ich mir das konkret vorstellen? 

Tamo: Im Bezugsbestatten gibt es eine Bezugsperson – oder Bezugsbestatter*in – die die Verstorbenen und ihre Zugehörigen durch den gesamten Prozess begleitet. Wir arbeiten im Bestatten nicht arbeitsteilig, sondern begleiten wirklich jeden Schritt persönlich. Von der Abholung über die Totenfürsorge bis zur persönlich gestalteten Beisetzung. 

Lucia Mair: Ihr meintet einmal in einem Interview, ihr versteht eure Tätigkeit als „Care-Arbeit“, also als Sorgearbeit. Was bedeutet das für eure eigene Rolle, für die verstorbene Person und für die, die Abschied nehmen?

Tamo: Genau, wir verstehen unsere Arbeit als die Fortsetzung der Pflegearbeit, die auch vor dem Eintritt des Todes geleistet wird.

Wenn wir Menschen versterben, haben wir weiterhin Bedürfnisse. Nicht alle Funktionen des Körpers hören sofort auf. Wunden müssen auch nach dem Tod versorgt werden. Genau das machen wir – oft gemeinsam mit den Zugehörigen – im Rahmen der Totenfürsorge. Wir wenden uns den beteiligten Personen zu und orientieren uns an deren Bedürfnissen. 

Die Totenfürsorge, diese Form der Care-Arbeit ist für die Verstorbenen gut, aber auch für die Zugehörigen, weil sie wissen, dass die letzten Berührungen respektvolle und fürsorgliche waren. Auch für die Mediziner*innen, Pfleger*innen und für uns selbst ist diese Form des respektvollen Umgangs sinnvoll. Es ist nämlich nicht egal, wie wir mit unseren Verstorbenen umgehen. 

Lucia Mair: Traditionell hat bei der Bestattung die (biologische) Familie eine wichtige Rolle gespielt. Inwiefern ändert sich das, welche Menschen und Beziehungen spielen in eurer Arbeit eine Rolle? Was bedeutet diese Veränderung insbesondere für queere Menschen? 

Tamo: Die Bestattungsgesetze, sowie das Erbrecht, Friedhofsordnungen oder Grabnutzungsrechte orientieren sich immer noch an cis-heteronormativen Familien- und Verwandtschaftsmodellen, und damit spielen die Herkunftsfamilien nach dem Tod weiterhin eine zentrale Rolle. Da können auch rechtliche Unsicherheiten und Spannungen auftauchen, wer eigentlich Entscheidungen treffen kann oder soll. 

Wir versuchen diesen Umständen mit Informationen zu begegnen. Deshalb machen wir auch Veranstaltungen zu rechtlichen Situationen und Infrastrukturen im Abschiednehmen, wie im Frühling zum Schwerpunktthema „Queer Death“, und sprechen in Medienbeiträgen wie hier mit Radio Orange darüber. Dabei wollen wir gesellschaftliche Diskurse fördern, denn viele Personen wissen nicht um diese rechtlichen Umstände nach dem Tod. Besonders queere Personen und auch Menschen, deren Herkunftsfamilien weit weg leben oder möglicherweise nicht einfach anreisen oder kontaktiert werden können, sind davon betroffen.

Je mehr wir darüber wissen und sprechen, desto besser können wir uns in diesem System organisieren und füreinander da sein. Wahlfamilien und Freund*innenkreise sind rechtlich weniger verankert, als Privatperson können wir aber Bestattungsverfügungen formulieren. Wie das alles funktioniert, erklären wir und unterstützen dabei.

In unserer bestattenden Praxis fragen wir genau nach, wer die Zugehörigen sind – unabhängig davon, ob diese einen rechtlich „legitimierten“ Angehörigen-Status haben –
 und versuchen möglichst alle, die sich verabschieden wollen, einzubeziehen. Auch bürokratische Hürden und Widersprüchlichkeiten in Dokumenten in Bezug auf Namensschreibung oder Geschlechtseintrag begegnen uns in unserer Arbeit. Hier braucht es ein tieferes Bewusstsein über queere Lebens- und Sterberealitäten und den entsprechenden Einsatz, um korrekte Formalitäten zu gewährleisten. 

Lucia Mair: Gibt es Fragen oder Missverständnisse, auf die ihr immer wieder in eurer Arbeit trefft, was das Sterben und Bestattungen angeht? 

Tamo: Leider gibt es noch sehr große Lücken im allgemeinen Wissen rund ums Sterben und Bestatten und was darin möglich bzw. erlaubt ist. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass alles, was nach dem Tod eines Menschen passiert, so schnell und effizient wie möglich geschehen muss und dass eine Bestattung etwas ist, das eins mehr oder weniger überstehen muss, um danach erst in die eigene Trauer gehen zu können. Wir sehen das anders. Die Zeit zwischen Tod und Beisetzung ist oft sehr wertvoll für den Trauerprozess. Hier können viele kleine Schritte gesetzt und der Abschied im eigenen Tempo gestaltet werden. Es gibt meistens mehr Zeit als gedacht.

Viele wissen zum Beispiel auch nicht, dass es möglich ist, den Verstorbenen vor der Beisetzung zu begegnen oder sie im Rahmen einer Totenfürsorge selbst zu waschen, anzukleiden und in ihren Sarg zu legen. Darüber informieren wir, laden dazu ein und unterstützen bei der Umsetzung. 

Lucia Mair: Der Soziologe Norbert Elias meinte mal: „Der Tod ist ein Problem der Lebenden“. Wie sieht für euch ein „guter“ Umgang mit diesem vermeintlichen Problem aus? Würdet ihr da überhaupt zustimmen: der Tod als Problem der Lebenden? 

Tamo: Wir sehen Trauerwege eigentlich als Entwicklungs- und Lebensprozess. Klar, meist ist der Tod von einem geliebten Menschen sehr schmerzvoll. Verlusterfahrungen können sehr herausfordernd zu navigieren sein. Wir bestatten prozessorientiert – das bedeutet: Wir finden gemeinsam heraus, was es braucht, um diese total unterschiedlich aussehenden Prozesse gut zu unterstützen. 

Am Bestattungsweg liegen viele Möglichkeiten, stärkende Erfahrungen im Abschiedsprozess zu machen. Dabei spielt auch ein bewusster Sprachgebrauch eine wichtige Rolle. Wir verwenden ganz bewusst keine Begriffe, die Verstorbene von uns distanziert oder zu Objekten machen. Wir sprechen weiterhin von den Personen mit ihrem Namen. Zugehörige haben Beziehungen und Geschichten mit ihnen. Sie enden nicht mit dem Tod, sie verändern sich. 

Lucia Mair: Bestatten (lassen) ist teuer und nicht alle können so sterben, trauern und bestattet werden, oder bestatten lassen, wie sie es sich vorstellen, weil Geld eine Rolle spielt. Wie geht ihr mit diesem Thema um? 

Tamo: Da würden wir uns tatsächlich mehr gesellschaftspolitische Diskussion wünschen. Eigentlich sollte Bestattung eine Leistung der Sozialversicherung sein. Alle sollten Zugang zu selbstbestimmtem Abschiednehmen haben. Aktuell gibt es jenseits der Sozialbestattung, die wenig bis keinen Raum für die Zugehörigen lässt, keinerlei öffentliche Leistung ab Eintritt des Todes. Eine Geburt ist eine Versicherungsleistung. Nach dem Tod ist bereits die Pathologiegebühr privat zu bezahlen.

Bei Tamo versuchen wir mit unserem transparenten Preismodell zumindest einen bewussten Handlungsrahmen zu schaffen. Wir finanzieren uns nicht über Aufschläge auf Warenverkauf, sondern verrechnen nachvollziehbar unsere Begleitungsarbeit. Dabei arbeiten wir mit einer Pauschale, die für alle gleich ist, unabhängig davon, wie viel Begleitung im Einzelfall benötigt wird. Wir wollen damit verhindern, dass Menschen zögern, noch mal nachzufragen oder ein Treffen auszumachen, weil es dann teuer werden könnte. Wir bitten unsere Kund*innen, die eigenen finanziellen Ressourcen für diese Pauschale innerhalb einer Spanne selbst einzuschätzen; allerdings nicht danach, wie viel Begleitung sie brauchen, oder wie zufrieden sie mit unserer Arbeit sind, sondern danach, wie viel finanzielle Mittel sie zur Verfügung stellen wollen und können. So können wir Personen, die sich weniger leisten können, auch begleiten.

Lucia Mair: Eine letzte Frage. Es heißt immer, Wien hat eine besondere Beziehung zum Tod: In den Heurigen wird der Tod besungen und drauf angestoßen; der Zentralfriedhof gilt als eine der größten Erholungsgebiete der Stadt. Humor spielt dabei eine große Rolle. Spielt Wien als Stadt eine Rolle für euch, ändert der Ort etwas an eurer Arbeit?

Tamo: Für uns ist diese besondere Rolle nicht wirklich ersichtlich. Aber es stimmt, dass uns immer wieder Humor und unterschiedliche kulturelle Umgangsformen mit dem Tod begegnen. 

Dies haben wir durch das Bestatten in Wien und Niederösterreich, aber auch an anderen Orten in unserer Arbeit erfahren. Die Orte ändern wenig an unserer Arbeit, viel mehr die Menschen, die wir begleiten dürfen. 

Inhalt in Einfacher Sprache

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit. Aenean commodo ligula eget dolor. Aenean massa. Cum sociis natoque penatibus et magnis dis parturient montes, nascetur ridiculus mus. Donec quam felis, ultricies nec, pellentesque eu, pretium quis, sem. Nulla consequat massa quis enim. Donec pede justo, fringilla vel, aliquet nec, vulputate eget, arcu. In enim justo, rhoncus ut, imperdiet a, venenatis vitae, justo. Nullam dictum felis eu pede mollis pretium. Integer tincidunt. Cras dapibu

Teilen:
Skip to content