„Weg mit dem Tabu: Wir müssen über Harninkontinenz reden!“
Harnverlust nach einer Geburt betrifft viele Menschen, doch die wenigsten sprechen offen darüber. Sara M. erzählt von ihrem Weg mit körperlichen Veränderungen, Scham und Ärzt*innen-Odyssee. Und davon, warum ein Folder zur Beckenbodengymnastik zu wenig ist. Protokoll: Bettina Enzenhofer

Das ist die Zusammenfassung von einem persönlichen Text über Harn-Inkontinenz. Harn-Inkontinenz bedeutet: Eine Person verliert unkontrolliert Harn. Sara M. verliert zum Beispiel Harn beim Laufen, Niesen oder Heben. Sie erzählt aus ihrem Leben.
Die Inkontinenz begann bei Sara nach der Geburt ihres Kindes vor elf Jahren. Sie hat damals keine Informationen zum Thema Inkontinenz bekommen. Niemand hatte sie vorab aufgeklärt: die Hebamme nicht und die Frauenärztin auch nicht.
Unkontrollierter Harnverlust ist sehr unangenehm und einschränkend. Auch die Sorge vor unkontrolliertem Harnverlust ist unangenehm. Erst durch Gespräche mit anderen Müttern hat Sara gelernt: Sie ist mit dem Problem nicht alleine.
Sara bekam Empfehlungen wie zum Beispiel: Beckenboden-Gymnastik oder ein Gerät für die Beckenboden-Muskeln. Diese Empfehlungen waren für sie nicht hilfreich. Mit einem Baby hatte sie keine Zeit für solche Übungen. Sara hat in den letzten elf Jahren selbst Informationen gesucht: Was könnte bei Inkontinenz helfen? Das hat viel Zeit gekostet. Manche Behandlungen und Ärzt*innen haben viel Geld gekostet. Zuletzt hat Sara eine bestimmte Behandlung machen lassen: eine Einspritzung mit Bulkamid. Dieser Eingriff war einfach, aber half ihr nicht spürbar.
Sara sagt: Es braucht Aufklärung und offene Gespräche über Harn-Inkontinenz. Derzeit ist das Thema ein Tabu. Aber man muss dieses Tabu offen ansprechen. Vor allem Ärzt*innen müssen gezielt danach fragen. Sara sagt: Ein offenes Gespräch würde die Scham nehmen. Und: Ärzt*innen müssen ein angenehmes Umfeld für die Patient*innen schaffen. Damit sich die Patient*innen wohl fühlen.
Sara kennt von manchen Menschen die Aussage: Harnverlust gehört dazu, wenn man ein Kind geboren hat. Aber Sara sagt: Nein, das ist nicht zu akzeptieren! Das Thema Inkontinenz betrifft viele Menschen nach einer Geburt. Aber es betrifft zum Beispiel auch ältere Menschen. Sara sagt: Es braucht mehr Aufklärung über Behandlungs-Methoden, man muss viel mehr darüber reden!
Bettina Enzenhofer hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at
„Kurz nach der Geburt meines Kindes vor elf Jahren begann es: Ich verlor Harn bei ruckartigen Bewegungen, beim Laufen zur Straßenbahn oder beim Heben – mit einem kleinen Kind hebt man oft unüberlegt Dinge. Ich bemerke den Harnverlust auch beim Husten und Niesen, das ist ungünstig mit meinem Heuschnupfen.
Nicht nur der Harnverlust selbst ist unangenehm, sondern auch die Sorge vor einer Inkontinenz bei sozialen Aktivitäten. Ein Beispiel ist Wandern. Rucksack am Rücken und bergab gehen – das drückt auf die Blase. Es ist aber unangenehm, jede Viertelstunde zu sagen: „Ich muss kurz in den Wald, bitte warten.“ Damit nichts passiert und es sich nicht unangenehm anfühlt.
Fehlende Aufklärung
Ich hatte damals eine Hebamme, die auch nach Hause kam. Ich erinnere mich nicht, dass sie etwas zum Thema Beckenboden oder schweres Heben gesagt hätte; dass sie mir etwas empfohlen hätte. Ich weiß aber auch nicht, ob es etwas genutzt hätte. Ich war damals kurz vor einem Umzug – das kann ich nicht empfehlen. Ich vermute, dass das sehr ungünstig war. Kisten schleppen kurz nach der Geburt – das tut dem Körper nicht gut. Nach einem Kaiserschnitt ist das eher in den Köpfen, dass man sich schonen muss und nichts heben soll. Aber wie geht es dem Körper nach einer vaginalen Geburt? Und wo ist man mit Themen gut aufgehoben, die nicht unmittelbar den Säugling betreffen? Das hat mir gefehlt. Es gibt ja auch andere körperliche Veränderungen.
Erst als ich später mit anderen Menschen geredet habe, die auch Kinder geboren haben, kamen Bemerkungen, bei denen ich dachte: Ich bin mit diesem Thema nicht allein! Zum Beispiel auch der Scherz, wer denn nach einer Geburt noch Trampolin springen könne.
Tabus ansprechen
Es braucht Aufklärung, gute Hinweise und offene Gespräche – aber nicht nur unter dem Begriff „Beckenbodengymnastik“. Es geht um Harninkontinenz! Auch Stuhlinkontinenz – die bei mir selten auftrat – muss thematisiert werden. Solche Tabus sollten bereits vor der Geburt angesprochen werden, um die Scham zu nehmen. Auch die Scham bei einer Geburt: Es ist währenddessen ganz üblich, dass man Stuhl und Harn verliert. Mir hätte es damals sehr geholfen, offen reden zu können.
Nach der Geburt habe ich mein Erleben als Beckenbodenschwäche eingeordnet. Von einer Physiotherapeutin habe ich Übungen bekommen, aber ich habe sie nicht konsequent gemacht und arrangierte mich irgendwie mit der Situation. Es war mir aber unangenehm, beim Heben aus dem Kofferraum manchmal eine nasse Hose zu haben. Auch meine Frauenärztin hat das Thema unter „Beckenboden“ subsummiert. Ich habe mit ihr nicht viel darüber gesprochen, andere Dinge waren wichtiger. Einmal habe ich eine Zuweisung zu einer Beckenbodengruppe bekommen, aber zwei Mal pro Woche zu so einer Gruppe zu geben, war in meiner Lebenssituation mit Baby unrealistisch.
Von A nach B …
Als ich später wieder mit dem Laufen begonnen habe, wurde es für mich besonders unangenehm. Ich hatte währenddessen oft das Bedürfnis, meine Blase zu entleeren. Gefühlt konnte ich nur mit leerer Blase laufen und habe vorher extra wenig getrunken. Nach Jahren habe ich also meine Frauenärztin gefragt – sie selbst hat das Thema nie angesprochen. Sie empfahl mir eine Bändchen-OP, die sogenannte TVT. Bei dieser OP wird ein Bändchen in die Vagina genäht, um die Harnröhre zu heben. Dann ging ein jahrelanger Spießrutenlauf los.
Ich wurde zu einer Privatärztin geschickt, die auf das Thema Beckenboden spezialisiert ist. Das war mit Kosten verbunden. Die Ärztin war wenig aufmerksam und meinte, dass mein Beckenboden stark ist. Sie hat mir trotzdem ein Gerät empfohlen, mit dem man via Elektrostimulation die Beckenbodenmuskeln trainiert. Das Gerät musst du in die Scheide einführen, das Training dauert 20 Minuten. Das Gerät mietest du über eine Firma, auch das ist mit Kosten und Aufwand verbunden. Diese Behandlung war für mich nicht passend – ich habe nicht 20 Minuten täglich üben können, auch das Invasive mit Elektro und Scheide war nicht meines.
… und noch mehr Wege
Schließlich bin ich in eine Klinik gegangen und wollte dort die Bändchen-OP machen. Der Arzt dort hat mir abgeraten: zu viele Komplikationen. Er schlug andere Dinge vor: Tampons anders einführen, Ringe oder Würfeln für die Scheide. Er hat mir ein Pessar eingesetzt, das hat mir geholfen. Aber man muss es immer wieder wechseln und ich habe es nie so gut reinbekommen. Der Arzt wollte Kontrolltermine, aber für mich ist jeder Termin zusätzlicher Stress mit Kind und Arbeit. Außerdem hat es für mich mit diesem Arzt nicht gepasst, es war mir unsympathisch, wie er mit seinen Assistentinnen umgegangen ist. Ich wollte dann nicht mehr, dass er mich angreift oder tastet, ich wollte mir von ihm nichts mehr einführen lassen. Auch wenn er zu mir selbst nicht ungut war. Aber das ist ein sensibler Bereich, da brauchst du einen Menschen, der dir zumindest nicht unsympathisch ist und dich nicht abstößt.
Nach Monaten bin ich in eine andere Klinik gegangen. Ich hatte selbst recherchiert, wer in welchem Spital was macht. Es gab eine lange Wartezeit. Die Assistenzärztin dort war sehr nett, sie hat einen Oberarzt dazugeholt. Er empfahl mir eine Einspritzung mit Bulkamid. Diese Einspritzung ist weniger invasiv, man bekommt eine Kurznarkose. Es ist eigentlich gar keine richtige OP, sondern es wird etwas in die Harnröhre eingespritzt, das der Körper nicht resorbiert, so wie Silikon. Dadurch soll die Harnröhre weniger durchlässig werden. Der Arzt sagte, dass nicht alle Ärzt*innen diese Methode anbieten. Mir schien die Methode vernünftig und ein gangbarer Weg. Ich habe einen OP-Termin in einigen Monaten bekommen, der Termin wurde aber mehrmals verschoben – das ist ein Stress mit Kinderbetreuung, die man immer wieder neu organisieren muss. Der Eingriff selbst war nicht aufwändig und nicht schmerzhaft. Da war ich dankbar für unser Gesundheitssystem. Ich glaube aber, dass der Eingriff bei mir nichts gebracht hat. Aber es war ein Versuch. Man könnte etwas nachspritzen, aber davor müsste ich mich und meinen Körper mehr beobachten und protokollieren, das habe ich noch nicht gemacht.
Das richtige Setting ist wichtig
Insgesamt hatte ich bei meiner Harninkontinenz das Gefühl, dass ich mich selbst um alles kümmern muss. Es ist viel eigene Recherche notwendig, als gängige Methoden hört man nur von der Bändchen-OP und von Beckenbodengymnastik – auf den Eingriff mit dem Einspritzen bin ich nur durch Zufall gekommen. Man kann sich auch lasern lassen – und privat die Kosten dafür tragen. Man muss gut abwägen, was einem liegt. Ich musste in den letzten Jahren viel Geld bezahlen, Zeit investieren, Checkereien. Ich kann mir vorstellen, dass mit manchen Behandlungen Geld gemacht wird, zum Beispiel mit dem Elektrostimulationsgerät, ich glaube da hängt ein Markt dran.
Das Thema Harninkontinenz ist schambesetzt und einschränkend und unangenehm. Es muss enttabuisiert werden! Es wäre gut, offen darüber zu sprechen. Frauenärzt*innen müssen ganz offen danach fragen. In der Geburtsvorbereitung muss auf das Thema hingewiesen werden. Es ist nicht damit getan, wenn dir Ärzt*innen einen Folder zur Beckenbodengymnastik mitgeben. Dann hat man daheim einen Folder herumliegen. Bei jeder Vorsorgeuntersuchung speziell bei Frauen, in jedem speziellen Setting gehört darüber gesprochen, genauso wie Themen wie Sexualität oder Regelblutung oder Endometriose. Es gehört ein gutes Setting geschaffen. Sonst ist es schwierig. Als Betroffene kann es schwierig sein, auf männliche Ärzte zu treffen, männliche Operateure, die man nie vorher gesehen hat. Im Krankenhaus kannst du dir nicht aussuchen, wer dort tastet und spürt und Dinge einführt und wer dort sitzt, um das Thema zu besprechen. Das ist unangenehm.
Inkontinenz betrifft viele Menschen
Zahlen zu Inkontinenz sind wahrscheinlich sehr hoch. Inkontinenzen kommen nicht nur nach einer Geburt vor, aber die Geburt begünstigt es. Wenn ich Aussagen höre wie „Naja, du hast eben ein schweres Kind geboren“ – ja eh, aber soll ich deshalb akzeptieren, dass ich vorm Laufen nichts trinken kann? Inkontinenz kann auch im zunehmenden Alter ein Thema sein. Bei einer vaginalen Geburt heißt es „Das gehört halt dazu“ und dann wird nicht mehr über die Inkontinenz geredet. Aber nein, das ist nicht zu akzeptieren! Wenn es Methoden gibt, die helfen können, dann gehören die publik gemacht, damit man sich informieren kann und eine Wahl hat. Vielleicht gibt es Frauen, bei denen die Muskulatur geschwächt ist und wo man mit diszipliniertem Training etwas machen kann. Aber dann gibt es andere – wie bei mir – wo unklar ist, was eigentlich das Problem ist und wo man den Muskel nicht aufbauen kann.
Und jetzt? Ich gehe demnächst wandern und werde gut darauf achten, ob sich durch den Eingriff etwas verändert hat. Und ich werde jetzt öfter protokollieren, wie es mir körperlich geht und ob ich eine weitere Einspritzung benötige. Vielleicht ist das doch noch nicht das Ende vom Lied.“
Sara M. heißt eigentlich anders. Ihr ist es wichtig, dass bei jeder Frau – besonders im gynäkologischen oder geburtshilflichen Kontext – das Thema Inkontinenz angesprochen und über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt wird.