Abtreibung: Warum wir das Wort „leichtfertig“ aus unserem Vokabular streichen sollten
Kaum eine Floskel kommt so automatisiert im Sprechen über Schwangerschaftsabbrüche wie jene, dass „keine Frau leichtfertig abtreibt“. Miriam Gertz über Rechtfertigungsdruck und die Abwertung von Sexualität, deren Ziel nicht Mutterschaft in heterosexueller Ehe ist.
In der frühen Neuzeit war Leichtfertigkeit der Ausdruck für das strafrechtlich relevante Delikt des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs unter Ledigen, wie es Stefan Breit in seinem Buch über die „Voreheliche Sexualität in der frühen Neuzeit“ beschreibt. In dem Begriff schwingt also immer der Vorwurf mit, dass heterosexuelle cis Frauen sich schuldig machen, wenn sie unehelich Sex haben. Gemäß der traditionellen christlichen Moral soll Sexualität nur im Dienste der Fortpflanzung innerhalb der Institution Ehe stattfinden. Die Orientierung an der Lust wird als Leichtfertigkeit abgewertet. Schwangere, die das Problem einer ungewollten Schwangerschaft mit einem Abbruch lösen, wird mit dem Vorwurf einer „leichtfertigen Abtreibung“ somit vermittelt, sie würden sich fahrlässig, mutwillig und unachtsam (der „Schöpfung“ oder der „Natur“ bzw. der vermeintlich natürlichen oder göttlichen Ordnung gegenüber) verhalten und dadurch, dass sie ihren Trieben „völlig die Zügel schießen lassen“ letztlich sich und anderen Schaden zufügen. Die Steigerung des Mutwillens ist der Frevel, bei dem letztlich etwas Heiliges geschändet, d.h. eine Sünde begangen wird. Frauen sollen also die eigene Lust der Moral unterordnen. Schwangerschaft wird als etwas Heiliges gesehen, auf das eine Frau nicht einwirken darf. Ausnahmen werden gemacht, wenn sie „nichts dafür kann“ und Opfer ist, z.B. im Fall einer Vergewaltigung oder wenn ihr Leben in Gefahr ist. Dann hat sie sich nicht wie eine „leichte“ Dirne verhalten, die, statt ihrer „Bestimmung als Frau“ nachzukommen, soziale Normen infrage stellt. „Leichtes Mädchen“ oder „leichte Dirne“ ist dabei ein abwertender Ausdruck für eine Frau mit häufig wechselnden männlichen Sexualpartnern oder eine Sexarbeiterin. „Leichte Dirnen“ sind in patriarchalen Gesellschaften zwar insgeheim auch gewollt, werden aber abgewertet und bestraft.
„Leichtfertig“: entbehrlich
Die Betonung dessen, dass keine schwangere Person sich „leichtfertig“ für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, hängt also damit zusammen, nicht als lasterhaft, verantwortungslos, fahrlässig und moralisch verwerflich wahrgenommen werden zu wollen bzw. auch andere vor dieser Zuschreibung zu schützen. Der Begriff macht aber nur in einem patriarchal-christlichen Framing Sinn; übrig bleibt immer die gedankliche Möglichkeit eines problematischen, sündhaften Verhaltens. Aus einer feministischen Perspektive können wir getrost auf ihn verzichten.
Rechtfertigungsdiskurs: braucht niemand
Diskussionen darüber, warum Schwangere abtreiben und ob ihre Gründe gut genug sind, sind unnötig bis schädlich. Die typischen Motive sind erforscht und liegen auf der Hand: (1) kein (weiterer) Kinderwunsch, (2) der Zeitpunkt passt nicht (Geschwisterabstand, eigenes Alter, eigene Gesundheit, eigene Ausbildungs- und Arbeitssituation), (3) Armut bzw. die finanzielle Situation passt nicht, um ein (weiteres) Kind aufziehen zu können, (4) Beziehungsprobleme, (5) nicht alleinerziehend sein wollen. Cis Frauen, nonbinäre Personen und trans Männer sind durchaus selbst in der Lage, kompetente Entscheidungen darüber zu treffen, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder abtreiben. Sie brauchen dazu weder erzwungene Beratungen noch Bedenkfristen. Jede Person, die das Menschenrecht auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung und Gesundheit nicht infrage stellt, sollte es vermeiden, den Rechtfertigungsdiskurs zu unterstützen, den das Wörtchen „leichtfertig“ aktiviert. Unser Ziel sollte sein, dass niemand mehr überlegen muss, ob sie*er eine Abtreibung erwähnen kann oder nicht ohne Abwertung und Rechtfertigungsdruck zu erleben. Das ist es nämlich, was die Erfahrung eines Schwangerschaftsabbruchs oft „schwer“ macht. Die Entscheidung selbst fällt hingegen ziemlich vielen ungewollt Schwangeren „leicht“, nicht umsonst finden die meisten Abbrüche sehr früh statt.
Basta!
Ob eine Person keinen, einen, drei oder sechs Schwangerschaftsabbrüche in ihrem Leben hat, geht nur sie etwas an. Die Lust darf an erster Stelle stehen, unbeabsichtigte Schwangerschaften passieren immer und überall, es ist sehr, sehr gut, dass es den medizinischen Schwangerschaftsabbruch gibt – basta!
Miriam Gertz ist Psychologin und Familienplanungsberaterin, lebt in Wien und schreibt immer wieder aus psychologischer und feministischer Perspektive über Schwangerschaftsabbruch und reproduktive Gerechtigkeit.