#assez #gridala #outcry

Keine Einzelfälle: Wir müssen über Sexismus reden. Ein Kommentar von Bettina Enzenhofer

Schablonen-Graffito am Boden mit dem Schriftzug "Fear will not silence us" und einem Frauenzeichen mit geballter Faust.
Artist: unbekannt, Foto: Christine Weidhofer

Damit hat wohl niemand gerechnet: Ein feministisches Kernthema mobilisierte über Nacht tausende Frauen und wurde nicht nur in den einschlägigen feministischen Medien, sondern auch in der Male-/Mainstream-Presse – sogar über den Atlantik hinweg – behandelt. Zwei Politikjournalistinnen hatten sich im „Spiegel“ und im „Stern“ zu Sexismus in der Politik bzw. selbst erlebten Grenzüberschreitungen von Politikern geäußert. Im Blog „kleinerdrei“ empörte sich gleichzeitig Maike Hank über die unzähligen sexistischen Übergriffe, die Frauen im Alltag erleben. Weil es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, solle man die eigenen Erlebnisse sichtbar machen. Wenig später gab es auf Twitter #aufschrei – ein Hashtag, der kurz darauf unglaublich viele Tweets versammeln konnte (bis Redaktionsschluss: mehr als achtzigtausend). Tausende Frauen berichten davon, was ihnen an sexistischen Übergriffen widerfährt: Es geht unter anderem um Machtverhältnisse zwischen Lehrer/Schülerin oder Chef/Mitarbeiterin, um anzügliche Bemerkungen und körperliche Grenzverletzungen bis hin zu Vergewaltigungen. Doch so empowernd für viele Betroffene die Masse an Berichten auch ist: Nur weil Frauen Sexismus anprangern, heißt das leider nicht, dass sie auch andere Diskriminierungserfahrungen wahrnehmen, und so finden sich auch homophobe und rassistische Tweets unter #aufschrei. Während dies in der feministischen Netz-Szene kritisiert und die Aktion längst aus unterschiedlichsten Perspektiven analysiert wird, hatten die unzähligen Medienberichte über #aufschrei einen ganz anderen Fokus – die sogenannte „Sexismus-Debatte“ wurde meist auf der Ebene „Sexismus-Aufschrei – hysterisch oder notwendig?“ (so etwa der Titel der Talkshow von Anne Will) verhandelt. Von den großen TV-Stationen wurden möglichst kontroverse Diskutant_innen eingeladen (also auch solche aufs Podium gesetzt, die keinen (Alltags-)Sexismus erkennen wollen), und die zentrale Frage, was angesichts der Allgegenwart sexistischer Übergriffe getan werden sollte, gar nicht gestellt. Schlimmstenfalls wird die Verantwortung wieder Frauen zugeschoben – „Wehrt euch doch!“ Gerne wird auch diskutiert, „wo der Spaß denn aufhört“ oder „was Männer denn noch dürfen“. Flirten wird auf dieselbe Stufe gestellt wie kalkulierte Übergriffe innerhalb von Machtverhältnissen, Empathie und Respekt voreinander scheinen Fremdworte einer Sprache zu sein, die niemand lernen will.

Offenbar ist es für Malestream-Medien zu komplex, über strukturelle Geschlechterverhältnisse zu berichten – kein Wunder, wenn das normalerweise nicht auf ihrer Agenda steht. Denn anders als feministische Medien, die seit Jahrzehnten über die unterschiedlichen Ausformungen von Sexismus berichten, und feministische Bloggerinnen, die das täglich mittels Social Media tun, besitzen Feminimus und Antisexismus für etablierte Medien selten Nachrichtenwert. Und während es im Netz für viele Feministinnen schon seit Jahren Alltag ist, sich über die verschiedenen Aspekte von Netzfeminismus auszutauschen (denn „Netzfeminismus“ kann viel heißen: Feministinnen, die das Internet als Medium nutzen, etwa ebenso wie Netzpolitik aus feministischer Perspektive), Diskriminierungen intersektional zu denken (also nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus, Heterosexismus, Klassismus, Diskriminierung aufgrund von Behinderung etc. anzuprangern), sich zu vernetzen, Aktionen zu starten und auf Hilfsangebote hinzuweisen, sagt der Herr Chefredakteur: Nicht relevant genug – und will nun das „neue“ Phänomen „Feminismus im Internet“ entdeckt haben.

Aber welche Gruppe von Menschen hat er im Blick, wenn er seine „objektiven“ Relevanzkriterien formuliert? Frauen wohl nicht. Denn dass Sexismus für sie ein höchst relevantes Thema ist – und zwar mit täglicher Aktualität – konnte #aufschrei deutlich zeigen. Was lange wütend machte, fand einen Kanal, den auch große Medien nicht ignorieren konnten. Viele (Männer und Frauen) wurden zum ersten Mal für das Thema sensibilisiert, einzelne Journalistinnen brachten durchaus einen feministischen Blick auf #aufschrei auch in großen Medien unter. Doch solange es keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass wir in einer von Machtverhältnissen strukturierten Gesellschaft leben, ist das Potenzial für Veränderung gering.

In Österreich diskutiert man übrigens gerade allen Ernstes die Frage, ob „Po-Grapscher“ im öffentlichen Raum unter den Strafbestand der sexuellen Belästigung fallen sollen. Dass das überhaupt eine Frage ist, zeigt, wie dringend nötig eine Debatte über Sexismus ist.

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge II/2013.

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