Bloody Business: Können Menstruations-Apps gefährlich werden?

Millionen von Menstruierenden tracken ihre Periode mithilfe von Zyklus-Apps. Die intimen Daten werden oft unbemerkt für Werbezwecke weitergegeben – auch an die Polizei. Von Sophia Krauss

Blatt Papier mit der Überschrift "Period Tracker". Eingezeichnet sind 31 nummerierte Zeilen. Eine Hand hält einen roten Stift. Ein Feld auf dem Blatt ist rot ausgemalt.
Foto: cottonbro studio / Pexels

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist die Zusammenfassung von einem Text über Zyklus-Apps. Die Journalistin Sophia Krauss hat ihn geschrieben.

Sophia Krauss hat eine Zyklus-App auf ihrem Handy. In die App kann sie Daten über ihren Menstruations-Zyklus eingeben. Die App zeigt dann, wann du bestimmte Zyklus-Phasen hast. Außerdem informiert dich die App über Menstruations-Gesundheit.

Sophia hat von der App viel über ihren Körper gelernt. Vorher wusste sie zum Beispiel nicht, was die Luteal-Phase ist. Die Luteal-Phase ist nach dem Eisprung. Sophia ist in dieser Phase oft müde und hat Stimmungs-Schwankungen.

Es gibt viele solcher Zyklus-Apps. die bekanntesten sind „Clue“ und „Flow“. Diese Apps sind ein gutes Geschäft für die Betreiber, sie verkaufen nämlich die Daten der Nutzer*innen. Wenn eine Person zum Beispiel schwanger ist, ist das eine wertvolle Information für die Werbe-Industrie. Schwangere Menschen verändern nämlich ihr Kauf-Verhalten. Außerdem wird Werbung auch je nach dem Zyklus angezeigt, um Menstruierende zu beeinflussen.

Menstruations-Apps können aber für Nutzer*innen gefährlich werden. Zum Beispiel könnte die Polizei Zugriff auf die Daten verlangen, wenn sie vermutet, dass eine Person einen illegalen Schwangerschaftsabbruch gemacht hat. Das ist im Vereinigten Königreich bereits passiert.

In Berlin hat Marie Kochsiek deshalb das „Bloody Health Collective“ gegründet. Sie betreiben die App „drip.“. Die App ist genderinklusiv und nicht kommerziell. Es werden keine Daten an Dritte weitergegeben.

Sophia Krauss sagt: Solche Initiativen sind wichtig. Technik kann nämlich dabei helfen, Wissen über den eigenen Körper und damit mehr Selbst-Bestimmung zu bekommen. Aber wir dürfen unsere Daten nicht einfach Unternehmen überlassen.

Brigitte Theißl hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at

Der „Menstrual Hygiene Monitor 2019“, eine repräsentative Umfrage unter Frauen in Deutschland, brachte vor einigen Jahren auf den Punkt, was vielen Menstruierenden ohnehin längst klar war: Menstruation ist immer noch ein Tabu-Thema. Laut der Studie fühlen sich 15 Prozent der Frauen in Gesprächen über Menstruation unwohl. Jeder zehnten Frau ist der Kauf von Menstruationsprodukten unangenehm. Menstruierende Personen, die sich nicht als Frau identifizieren, wurden in der Studie nicht befragt.

Als Jugendliche hat mich meine Großmutter regelmäßig ermahnt, meine Binden und Tampons sorgsam zu verstecken. Niemand durfte mein Bluten bemerken. Ich wusste bis 25 nicht, was eine Lutealphase ist. Es ist die Zyklus-Phase nach dem Eisprung, in der ich oft von Müdigkeit und Stimmungsschwankungen geplagt bin. Gelernt habe ich das erst, als mir eine Freundin letztes Jahr eine Menstruations-Tracking-App empfahl.

Lukratives Geschäft: Femtech

Zyklus-Apps sind zu einer der weitverbreitetsten Technologien des „Femtech“-Markts avanciert. Es gibt über hundert solcher Apps, die bekanntesten wohl „Clue“ oder „Flo“, die mehr als 200 Millionen Mal heruntergeladen worden sein sollen. Diese Apps wirken auf den ersten Blick wie eine Intervention in den gesellschaftlichen Status Quo: Viele Menstruierende erleben die Scham, die mit der Menstruation immer noch verbunden ist. Und sie erleben die fehlende Forschung und Bildung rund um die Menstruation im Besonderen und nicht-cis-männliche Gesundheit im Allgemeinen am eigenen Körper. Ich sehne mich nach mehr Kontrolle und mehr Wissen über meinen Körper. Aber sind Zyklus-Apps das richtige Instrument, um dies zu erreichen? 

In den Zyklus-Apps können Nutzer_innen einfach ihre Menstruation tracken: An welchen Tagen beginnt die Regelblutung? Habe ich heute eine Schmierblutung? Welche Konsistenz hat das Vaginalsekret? Künftige Perioden und fruchtbare Fenster werden angekündigt und es gibt manchmal auch niederschwellige Informationen rund um Menstruationsgesundheit. Die Apps sammeln Daten rund um Schwangerschaft, Sexleben, psychische und physische Gesundheit. Online-Anwendungen wie diese sind Teil eines größeren Trends: „Femtech“, ein stetig wachsender Markt für digitale Produkte, Dienstleistungen und Technologien, die Gesundheit und Wohlbefinden von Frauen fördern wollen. Ein lukratives Geschäft, mit dem 2020 bereits 22 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet wurden. Bis 2027 wird der „Femtech“-Branche ein Marktwert von über 60 Milliarden Dollar prognostiziert. Bei Zyklus-Apps geht es also nicht nur um medizinische Gleichberechtigung, sondern vor allem auch um viel Geld. Doch warum sind sie so lukrativ? Viele der Anwendungen sind für Nutzer_innen schließlich kostenlos, zumindest in der Standard-Version. 

Dein Tagebuch ist nicht privat

Zyklus-Apps haben mir geholfen, meinen Körper besser zu verstehen. Bevor ich begonnen habe, meine Menstruation zu tracken, wusste ich nicht einmal, wie viele Zyklusphasen es gibt. Heute bemerke ich ziemlich genau, wie die Phasen meines monatlichen Zyklus meinen Körper und mein Gemüt beeinflussen. Es ist Wissen, das ich gerne seit meiner Jugend gehabt hätte.

Trotzdem sind Zyklus-Apps keine rein emanzipatorische Innovation. Sie sind auch Teil eines kapitalistischen Systems: Viele der heutigen Self-Tracking-Anwendungen, wie z.B. Smartwatches, verkaufen Nutzer_innendaten an Dritte weiter, um Gewinne zu erzielen. Recherchen aus den Jahren 2018 und 2019 konnten nachweisen, dass 61 Prozent der getesteten Zyklus-Apps die gespeicherten Daten rund um Schwangerschaftswunsch oder Zyklusphase beim Öffnen automatisch an Facebook übermittelten. 

Viele Nutzer_innen sind immer noch überzeugt: Die eigenen Daten seien wohl kaum wichtig genug, um verkauft und tatsächlich für irgendetwas genutzt zu werden – das zeigen unterschiedliche Studien. Nutzer_innen begreifen die Zyklus-App als privaten Raum. Sie wird zum Tagebuch, voll mit intimsten Informationen über Sex und Gesundheit. Auch politische Entscheidungsträger_innen sind sich der Risiken zu wenig bewusst. Tatsächlich helfen viele Menstruationstracking-Apps täglich dabei, detailreiche Verbraucher_innenprofile zu erstellen. Und scheinbar ist das Wissen über den Beginn meiner unterschiedlichen Zyklusphasen nicht nur für mich persönlich von großer Bedeutung – sondern auch für Werbetreibende. 

Werbekörper

Forscher_innen analysieren, wie hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus beeinflussen können, welche Produkte und Werbeanzeigen wir interessant finden. Was dystopisch klingt, ist schon längst Realität: menstruationszyklusbasiertes Marketing. 

Die kostbarste Information, die verkauft werden kann: ob eine Person schwanger ist oder eine Schwangerschaft plant. Für die Werbeindustrie ist eine Schwangerschaft ebenso ein Wendepunkt wie für die schwangere Person – ein Wendepunkt nämlich, der das Kaufverhalten drastisch verändern wird. Wer ist schwanger und wer will es werden? Wer die Antwort auf diese Frage kennt, verfügt über eine der gefragtesten und teuersten Informationen der digitalen Werbung.

In der Post-Roe v. Wade-Ära

Auf der Webseite mozillafoundation.org werden viele der gängigen Zyklus-Apps und deren Datenschutzrichtlinien genau und in zugänglicher Sprache unter die Lupe genommen. Nicht nur Werbetreibende sind ein Risiko für Nutzer_innen, die ihre Menstruations-Daten leichtfertig teilen. Eine an der Universität Cambridge tätige Forschungsgruppe listet in einem ausführlichen Paper weitere Gefahren auf. 
In ihrem Paper „The High Stakes of Tracking Menstruation“ schreiben die Forscher_innen, dass die generierten Daten zu Diskriminierung bei Krankenversicherungen oder Problemen bei der Jobsuche führen könnten, zum Beispiel aufgrund eines Schwangerschaftswunsches. Außerdem besteht für trans* Personen ein besonderes Risiko: Trackt ein menstruierender trans* Mann seinen Zyklus, könnten diese Daten an Dritte gelangen und die Person gegen ihren Willen in einem möglicherweise gefährlichen Umfeld outen.

Das hat heute bei vielen dazu geführt, dass sie den Schutz ihrer gesundheitlichen Daten stärker hinterfragen: Eine US-amerikanische Studie, die sich mit den Bedenken von 
Frauen hinsichtlich der Sicherheit von Zyklus-Apps in der Post-Roe v. Wade-Ära beschäftigt hat, zitiert eine Teilnehmerin: „I deleted it after Roe v. Wade was overturned“. Frauen äußerten vor allem Bedenken, dass Informationen über ihren Zyklus an die Exekutive weitergegeben werden würden, auch wenn diese Angst nicht immer im Zusammenhang mit dem gekippten Recht auf Abtreibung steht. Die Autor_innen der Studie gehen jedoch davon aus, dass unter vielen der Teilnehmenden Unkenntnis darüber herrscht, welche Risiken Zyklus-Apps nach der Aufhebung von Roe v. Wade bergen könnten. 

In Zeiten wie diesen müssen die Daten von Personen mit Uterus rund um ihre reproduktive Gesundheit und Schwangerschaften dringender denn je geschützt werden. Im Vereinigten Königreich heißt es in der Datenschutzerklärung der Zyklus-App „Flo“ hingegen ausdrücklich, dass personenbezogene Daten „als Reaktion auf gerichtliche Anordnungen oder rechtliche Verfahren“ weitergegeben werden können. Was dort bereits passiert ist: Die Polizei wollte auf die Daten einer Menstruationstracking-App zugreifen, um einen illegalen Schwangerschaftsabbruch nachzuweisen. Es stellt sich also die dringende Frage: Sollten wir unsere Zyklus-Apps wieder löschen – zur eigenen Sicherheit?

Bloody Health und Feminist Tech

Seit 2021 kann in allen AppStores eine aufmüpfige Alternative heruntergeladen werden: Marie Kochsiek gründete in Berlin das „Bloody Health Collective“ – und entwickelte eine genderinklusive und nicht-kommerzielle Zyklus-App namens „drip.“ Diese geht nicht davon aus, dass alle Nutzer_innen automatisch schwanger werden möchten. Außerdem gibt „drip.“ die gesammelten Daten nicht an Dritte weiter. Die Daten werden nur auf dem eigenen Endgerät gespeichert. Die App kann außerdem dabei helfen, eine symptomthermische Methode zur Verhütung einzusetzen: Hier messen Menstruierende täglich ihre Körpertemperatur, ebenso wie die Temperatur des Cervix-Schleims, um die jeweilige Zyklusphase zu bestimmen. In die App ist ein gynäkologisches Regelwerk integriert, das jene symptomthermische Methode – die zur Verhütung weitaus besser geeignet ist, als simples Menstruations-Tracking – eingehend erläutert. 

Statt alle Apps zu löschen oder sich unserer Handys gleich ganz zu entledigen, sollten wir dafür kämpfen, dass aus „Femtech“ „feminist tech“ wird. Es gilt, sich nicht den Geboten des Marktes zu beugen, sondern sich die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters selbstbestimmt zu Nutze zu machen: Alle Geschlechter haben das Recht auf Aufklärung über ihre Körper – das kann heute durch Apps schnell und niederschwellig ermöglicht werden. Die Digitalisierung beinhaltet emanzipatorische Potentiale: Wenn ich vor einem Jahr keine Zyklus-App heruntergeladen hätte, würde ich meinen Körper heute viel schlechter verstehen. Diese Chancen dürfen wir uns nicht durch die Ausbeutung sensibelster Daten und polizeiliche Repression zunichtemachen lassen. Gerade jetzt brauchen wir dringend Technologien, die in Utopien denkt – und weniger „tech bros“, in deren Ideologie wir nur gebärfähige Körper oder zahlende Konsument*innen sind.

Sophia Krauss ist freie Journalistin und Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge.

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