Entwicklungshilfe für Österreich

Sie sind die Retterinnen der österreichischen Pflege, und das schon seit Jahrzehnten: migrantische Pflegekräfte, u.a. aus Asien. Auch im aktuellen Pflegenotstand gelten sie als Hoffnungsträger. Doch ein Blick in die vergessene Geschichte der Pflegemigration zeigt viele Fehler, die sich zu wiederholen drohen. Von Vina Yun

3 Panels aus einem Comic in schwarz-weiß. Gezeichnet ist eine Flugzeuglandung am Wiener Flughafen von 26.8.1972. Mehrere Frauen steigen aus. Eine sagt: "Oh Gott! Alles tut mir weh. Ich fliege die wieder, das schwör ich dir!"
Aus dem Comic „HOMESTORIES“ © Tine Fetz, Vina Yun

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist ein Text über migrantische Pflegekräfte in Österreich. Aktuell sprechen wir von einem „Pflegenotstand“. Mitarbeiter*innen in der Pflege fehlen und zukünftig wird noch viel mehr Personal gebraucht. Der „Pflegenotstand“ ist aber kein neues Phänomen. Schon in den 1960er-Jahren wurden Krankenschwestern aus Korea angeworben. Migrantische Arbeitskräfte fangen schon immer die Krise auf. In Österreich arbeiten viele 24-Stunden-Betreuerinnen aus osteuropäischen Ländern. Die Geschichte der koreanischen Krankenschwestern ist in Österreich kaum bekannt. Eine koreanische Frauengruppe sagt: Mit dem Anwerbe-Abkommen wurde nicht Korea geholfen, sondern Entwicklungshilfe für den Westen geleistet. Aktuell werben österreichische Bundesländer wieder Pflegekräfte an: zum Beispiel aus Kolumbien und Vietnam. Migrantische Pflegekräfte sind oft stärker belastet und verdienen weniger. Eine Debatte darüber fehlt. 

Diese Kurzfassung hat geschrieben: Brigitte Theißl
Wenn du zum Text eine Frage hast: schreib an be(at)ourbodies.at

Es ist Winter in Frankfurt am Main, als nach einer fast 24-stündigen Reise 128 Koreanerinnen aus dem Flugzeug steigen. Auf der Landebahn werden die Frauen von einem Transparent auf Koreanisch und Deutsch begrüßt: „Willkommen in Frankfurt Deutchland“. Vor lauter Eile hat man auf das „S“ im Namen vergessen – was aber erst später auffällt, als das Foto der Ankunft in den Zeitungen erscheint. Doch dies tut der Erleichterung keinen Abbruch – Hauptsache: Die Krankenschwestern sind endlich da! Es ist das Jahr 1966.

Asiatische Gastarbeiter*innen in der Pflege

Ob in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – schon damals war von einem „Pflegenotstand“ die Rede, der durch den Einsatz migrantischer Arbeitskräfte entschärft werden sollte. Nicht nur in Korea, auch in Indien, den Philippinen und anderen Ländern wurde Personal für Krankenhäuser und Pflegeheime angeworben. Nachdem sich die Stadt Wien das deutsche Anwerbeprogramm zum Vorbild genommen hatte, kamen im August 1972 die ersten 50 koreanischen Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen, wie sie damals genannt wurden, in Schwechat an. Doch sie waren nicht die ersten, die als „Gastarbeiterinnen“ geholt und in den hiesigen Spitälern eingesetzt wurden: Schon 1965 linderten diplomierte Krankenschwestern aus Indonesien den Personalmangel im heimischen Gesundheitswesen.

Vielfach galten die damaligen Anwerbeabkommen mit den armutsbetroffenen, oftmals autokratisch regierten Staaten Asiens (Korea etwa galt zu jener Zeit als sogenanntes Dritte-Welt-Land) als „Entwicklungshilfsmaßnahme“ des Westens. „Doch wer half hier wem?“, fragt die Koreanische Frauengruppe, ein aktivistischer Zusammenschluss ehemaliger Krankenschwestern in Deutschland. Sie konstatiert: „Die asiatischen/koreanischen Fachkräfte leisteten einen Beitrag zur Sicherung und zur Entwicklung der deutschen Gesundheitsversorgung. Das ‚Korea-Programm‘ ist deshalb eher als eine umgekehrte Entwicklungshilfe für das deutsche Gesundheitswesen zu verstehen.“

Pflegemigration: eine vergessene Geschichte

Bis heute sind es vor allem Migrant*innen, die die Krise in der Pflege auffangen. Dennoch lässt die öffentliche Debatte einen Perspektivwechsel, die ihn die Koreanische Frauengruppe einmahnt, vermissen. Ohnehin hat sich das Vokabular in Hinblick auf migrantische Pflegekräfte nur wenig geändert: War vor einigen Jahrzehnten bei den asiatischen Krankenpflegerinnen euphemistisch von den „gelben Engeln“ die Rede, werden gegenwärtig die 24-Stunden-Betreuerinnen aus osteuropäischen Ländern als „Hausengel“ beworben. Bei letzteren ist die Arbeitssituation besonders prekär: Während sie als preiswerte Lösung der öffentlichen Versorgungslücke in der Alten- und Krankenpflege herhalten, bleiben sie als Scheinselbstständige von arbeitsrechtlichen Standards weitgehend ausgenommen.

Es ist insbesondere diese „private“, an Migrant*innen ausgelagerte Sorgearbeit, die unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle bleibt, solange sie „normal“ funktioniert. Erst in Krisensituationen – wie etwa während der Corona-Lockdowns – entlädt sich die Anspannung des Sorgesektors, wie feministische Stimmen immer wieder betonen, und die viel beschworene „Systemrelevanz“ der großteils migrantischen Arbeiter*innen tritt zutage. Zugleich ist der „Pflegenotstand“ eben kein neues Phänomen, sondern hat Geschichte – und damit auch die schwierigen, risikoreichen Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Pflege und den Krankenhäusern. Denn schon seit seinen Anfängen im späten 18. Jahrhundert ist die organisierte (und zum „Frauenberuf“ idealisierte) Pflege durch niedrige Bezahlung, schwierige Beschäftigungsverhältnisse und mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung gekennzeichnet. 

Neue Gastarbeiter*innen“?

Rund um den „Tag der Pflege“ am 12. Mai wurden die Mahnungen angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege wieder besonders laut. Prognosen sagen bis 2030 einen zusätzlichen Bedarf von 80.000–100.000 Pflegekräften in Österreich voraus. Klar ist: In praktisch allen Industrieländern der Welt werden Pflegekräfte gesucht, doch kaum eines wird es schaffen, genügend Pflegepersonal aus eigenen Ressourcen zu rekrutieren. Auch Österreich nicht, Pflegereform hin oder her. Zuwanderung ist also vorprogrammiert, würde doch das Gesundheitswesen ohne die Arbeit von Migrant*innen zusammenbrechen. Schon jetzt werben einige Bundesländer mit eigenen Abkommen selbstständig Pfleger*innen in Drittstaaten – darunter Kolumbien, Philippinen oder Vietnam – an. Welche Auswirkungen ein solcher „Brain Drain“ (sprich das Abwerben von hochqualifizierten Arbeitskräften ins Ausland) in den Herkunftsländern hat, interessiert dabei hierzulande kaum jemanden.

Ob damals oder heute: Die Suche nach Pflegekräften aus anderen Kontinenten hat Konjunktur. Dabei hat sich die Haltung, mit der professionelle Pflegende nach Österreich gerufen werden, kaum verändert. „Wir brauchen neue Gastarbeiter in der Pflege“, äußerte etwa die für Sozialwesen und Pflege zuständige SP-Stadträtin in Salzburg. Gastarbeiter*innen? Jenseits des Nützlichkeitsdiskurses sollte vielleicht besser die Frage diskutiert werden, was Österreich für Pflegearbeitende im Ausland interessant macht. Eine Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index aus dem Jahr 2021, herausgegeben vom Sozial- und Gesundheitsministerium, legt nahe, dass migrantische Pflegebeschäftigte im Vergleich zu ihren nicht-migrantischen Kolleg*innen u. a. über deutlich weniger Ressourcen (Gestaltung-, Mitsprache-, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten) verfügen, um das Doppelte körperlichen Belastungen ausgesetzt sind und gleichzeitig weniger verdienen. Traurig, aber wahr: Nicht nur der Pflegenotstand, auch die Schlechterstellung und Ausbeutung migrantischer Pflegekräfte ist neue alte Normalität.

Vina Yun ist freie Journalistin und Autorin in Wien. 2017 veröffentlichte sie den Comic „HOMESTORIES“ über die Arbeitsmigration koreanischer Krankenschwestern in den 1970ern nach Österreich und das Aufwachsen der zweiten Generation in Wien.

Dieser Text erschien zuerst im Online-Magazin tag eins.

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist ein Text über migrantische Pflegekräfte in Österreich. Aktuell sprechen wir von einem „Pflegenotstand“. Mitarbeiter*innen in der Pflege fehlen und zukünftig wird noch viel mehr Personal gebraucht. Der „Pflegenotstand“ ist aber kein neues Phänomen. Schon in den 1960er-Jahren wurden Krankenschwestern aus Korea angeworben. Migrantische Arbeitskräfte fangen schon immer die Krise auf. In Österreich arbeiten viele 24-Stunden-Betreuerinnen aus osteuropäischen Ländern. Die Geschichte der koreanischen Krankenschwestern ist in Österreich kaum bekannt. Eine koreanische Frauengruppe sagt: Mit dem Anwerbe-Abkommen wurde nicht Korea geholfen, sondern Entwicklungshilfe für den Westen geleistet. Aktuell werben österreichische Bundesländer wieder Pflegekräfte an: zum Beispiel aus Kolumbien und Vietnam. Migrantische Pflegekräfte sind oft stärker belastet und verdienen weniger. Eine Debatte darüber fehlt. 

Diese Kurzfassung hat geschrieben: Brigitte Theißl
Wenn du zum Text eine Frage hast: schreib an be(at)ourbodies.at

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