Freiheit & Intersex

Was bedeutet Freiheit, wenn man nicht Mann oder Frau ist? Von Alex Jürgen*
Protokoll: Bettina Enzenhofer und Paul Haller

Kunst von Alex Jürgen*: ein schwarzes Geschlechtersymbol, das die Symbole von Frau und Mann vereint, im Hintergrund sind Regenbogenfarben. Das Bild besteht aus Papierstreifen.
© Alex Jürgen*

Freiheit bedeutet für mich, dass ich so sein darf wie ich bin. Wenn man wie ich geschlechtlich nicht Mann oder Frau ist, bedeutet Freiheit einfach so leben zu können wie man ist und nicht als krank behandelt oder zwangsbeschnitten zu werden. Es geht für mich um körperliche Unversehrtheit und um das Recht auf alle Möglichkeiten, d.h. um die selbstbestimmte Entscheidung, mit meinem Körper etwas zu tun oder nicht zu tun. Leider sind wir noch nicht so weit, denn auch heute noch wird beispielsweise intersexuellen Babys Testosteron gespritzt, um zu sehen, ob dadurch der Penis wächst. Dabei müssen fremdbestimmte Hormongaben und Genitaloperationen als irreversible Eingriffe verstanden werden. Ich finde es nicht gut, dass Eltern die Freiheit haben, das mit Kindern zu machen. Denn aus den Augen des Kindes ist das keine Freiheit. Wenn es zum Beispiel bei Operationen nur darum geht, ob das Kind im Stehen pinkeln kann, finde ich das fatal. Ich will mich selbst entscheiden können, ob ich Hormone nehme oder nicht. Nur naturbelassen stehen dir später alle Möglichkeiten offen.

In unserer Gesellschaft kann Geschlecht nur innerhalb vorgegebener Grenzen frei gelebt werden: Frau soll Frau sein, Mann soll Mann sein – man hat die ,Freiheit‘, als Frau Kinder aufzuziehen und als Mann arbeiten zu gehen. Aber wenn man außerhalb dessen lebt, was die Gesellschaft vorgibt, dann gibt es keine Freiheit, das eigene Geschlecht zu leben. Die Gesellschaft lässt keine Abweichungen zu. Intersex-Kinder werden beschnitten.

Es braucht Raum, um freier leben zu können. Ich habe in dem Zweigeschlechtersystem nicht den Raum – weder gesetzlich, noch gesellschaftlich – als ich selbst anerkannt zu werden. Der Raum, der uns derzeit zugestanden wird, hat Platz für zwei Geschlechter, Männer und Frauen, und beides bin ich offensichtlich nicht. Also kann ich nur existieren, wenn ich mich in eines dieser beiden Geschlechter einordne, mich in einen dieser beiden Räume einschleiche. Ich kann nicht so existieren, wie ich wirklich bin. Ich bin wie ein Alien, getarnt als Mensch. 

Selbstvertretungsorganisationen sind wichtig, weil es immer jemanden braucht, der sich diesen Raum erkämpft. Auch bei den Kämpfen von Homosexuellen hat es so angefangen, dass es Menschen gab, die sich diesen Raum genommen und ihre Rechte erkämpft haben, alles hat angefangen mit einer kleinen Gruppe. Andere Inter*Leute zu treffen, war das Wichtigste, das mir passiert ist, weil ich gesehen habe, dass es intersexuelle Menschen gibt, die sich diesen Raum nehmen. Wenn man merkt, dass es diese Leute gibt – das ist befreiend.

Alex Jürgen* war Vizeobmensch des Vereins Intersexueller Menschen Österreich (VIMÖ), Mitglied der Plattform Intersex Österreich und Protagonist* im Doku-Film „Tintenfischalarm“ (2006).

Dieser Text erschien zuerst in Paradigmata 13/Frühling 2016.

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