„Mein Tod!“
Für X(1) war das Leben schon immer mit starkem Leiden verbunden – bis zur Unerträglichkeit. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, dieses Leben zu beenden, wäre assistierter Suizid ein Ausweg. Interview: Katharina Payk
Content Warnung
Dieses Interview beschäftigt sich mit dem Thema Suizid. Das kann bei manchen Menschen negative Gedanken und Gefühle auslösen. Hilfe bei Suizidgedanken und anderen psychischen Notsituationen findest du z.B. hier:
Österreich:
Telefonseelsorge: Tel.: 142 (Notruf)
Kriseninterventionszentrum: Tel.: 01 4069595
Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD: Tel.: 01 31330, täglich 0–24 Uhr
Deutschland: Bundeseinheitlichen Telefonnummer Telefonseelsorge: 0800-1110111
Schweiz: Erwachsene 143 (Notfall)
Katharina Payk: Nach einem entsprechenden Urteil in Deutschland im vergangenen Jahr ist nun auch in Österreich klar: Assistierter Suizid soll unter bestimmten Bedingungen, die es noch zu erarbeiten gilt, ab 2022 straffrei gestellt sein. Denn das derzeitige Verbot verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, so der Verfassungsgerichtshof. Wie nimmst du die Debatte wahr?
X: Bisher gibt es keine Ansagen zu konkreten Ausformulierungen des Gesetzes zum begleiteten Suizid. In Österreich wird sich das sicher in die Länge ziehen. Es wird also noch eine Weile dauern, bis Menschen das wirklich in Anspruch nehmen können. Leider wird in der Debatte meist nur von körperlich Kranken ausgegangen, aber es gibt ja auch Menschen, die psychisch krank sind und den assistierten Suizid in Anspruch nehmen wollen. So wie ich. Ich gelte mit meinen Mitte vierzig als relativ jung. Aber ich habe körperliche und psychische Erkrankungen, die meine Teilhabe am Leben massiv einschränken. Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch das Recht haben, sein Leben selbstbestimmt beenden zu können.
Es wäre deiner Meinung nach also wichtig, auch psychische Erkrankungen beim assistierten Suizid zu berücksichtigen?
Unbedingt. Psychische Erkrankungen können extrem quälend sein. Und du kannst deinem eigenen Hirn nicht entkommen! Was mich betrifft: Ich bin austherapiert – ich habe alle möglichen Psychopharmaka und mehrere hundert Stunden Psychotherapie durch, hatte viele Aufenthalte in der Psychiatrie. Für mich geht es nur noch um Leidensdruckreduktion bei jeder weiteren Maßnahme. Es gibt keine Perspektive für mich im Sinne: Dieses Problem muss ich bearbeiten, oder das muss ich reparieren, und dann kann ich wieder normal am Leben teilnehmen. Ich habe niemals normal am Leben teilnehmen können! Nie!
Was wäre dir noch wichtig bei der der Umsetzung des Gesetzes?
Ich wünsche mir, dass in der ganzen Debatte und der Umsetzung – zusätzlich zu Expert_innen aus Medizin, Rechtswissenschaft, Psychotherapie etc. – betroffene Menschen miteinbezogen werden. So wie es in anderen Ländern auch praktiziert wird, müsste es ein multiprofessionell begleitetes Prozedere geben für Personen, die den assistierten Suizid wünschen. Es muss dabei abgeklärt werden, dass es sich nicht um eine akute Krise bei der betroffenen Person handelt, dass es nicht auf Druck von anderen passiert, dass die Person bei klarem Verstand ist, dass es eine selbstbestimmte Entscheidung ist.
In Deutschland soll es eine Bedenkzeit zwischen der ersten Beratung und der Umsetzung des begleiteten Suizids geben. Hältst du das für sinnvoll?
Ja, aber der Zeitraum sollte nicht zu lange sein, maximal ein Monat, denn sonst geht das wieder zu Lasten der Betroffenen.
Gegner_innen des gesetzlich geregelten assistierten Suizids führen ins Feld, dass die Gefahr besteht, dass ein Geschäft mit dem Tod gemacht wird.
Das ist für mich ein absurdes Argument! Denn es wird derzeit ein Haufen Geld mit dem Sterben gemacht. Nicht nur die Pharmaindustrie profitiert immens davon, dass das Sterben in die Länge gezogen wird. Und auch die Folgen von gescheiterten Suizidversuchen sind eklatant – manche Menschen vegetieren danach nur noch an Maschinen vor sich hin. Natürlich müsste es aber, wie etwa in der Schweiz, gesetzlich gesichert sein, dass keine Gewinnerzielungsabsichten im Spiel sind.
Wenn nun also ein assistierter Suizid eine Art Kosteneinsparung fürs System bedeuten würde, wäre das nicht auch ein Argument dagegen? Aus ethischer Perspektive ist es doch wichtig, dass der begleitete Suizid nicht bedeutet, sich „kosten- und zeitaufwendiger Menschenleben“ zu entledigen.
Wenn es im System wirklich um Kosten-Nutzen ginge, würde viel mehr präventiv gemacht werden: medizinisch, psychotherapeutisch, psychiatrisch, um Verschlechterungen und Chronifizierungen vorzubeugen. Es gibt viel zu wenige Ressourcen und viel zu lange Wartezeiten für therapeutische Angebote. Auch die Tatsache, dass manchen Menschen nicht rechtzeitig geholfen wurde, weil sie nicht krankenversichert waren oder im bürokratischen Dschungel untergegangen sind, und später dann schwer krank sind, ist eine Schande. Viele Menschen mit Behinderungen bekommen Behelfe nicht bezahlt und verarmen.
Könnte für manche Menschen ein Druck entstehen, sich das Leben zu nehmen, wenn sie das Gefühl haben, selbst eine Belastung (für andere) zu sein?
Das gibt es ja jetzt schon! Leute hängen sich auf dem Dachboden auf, jagen sich eine Kugel in den Schädel oder bauen sich mit dem Auto in die Mauer ein. Oder reißen sich selbst irgendwelche Schläuche raus, wenn sie bettlägerig sind … Die Möglichkeit, sich zu suizidieren, gibt es ja – aber nicht medizinisch kontrolliert bzw. menschlich begleitet. In der Umsetzung eines assistierten Suizids wird von professioneller Seite darauf geachtet, dass er wirklich auf eigenen Wunsch geschieht, nicht auf Druck von außen.
Würde ein besseres Auffangsystem den assistierten Suizid überflüssig machen?
Nein, das glaube ich nicht. Denn man kann nicht jeden Fall lösen. Es gibt Zustände, Erkrankungen, die sind austherapiert, die werden sich nicht mehr verbessern. Lebensqualität ist dann nicht mehr gegeben. Und Menschen, die davon betroffen sind, sollten nicht dazu gezwungen werden, weiter zu leiden.
Dies würde dem vielfach geäußerten Gegenargument widersprechen, dass ein Sterbewunsch eigentlich immer ein Appell ist, ein Hilferuf.
Richtig! Und was sagt das über unsere Welt aus, dass ein Mensch erst eine so krasse Handlung wie einen Suizidversuch setzen muss, damit man hinschaut und hilft! Ich bin ganz klar für Suizidprävention, da wird viel zu wenig getan. Aber um diese Personengruppe geht es hier nicht.
Wie ist das mit deinem eigenen Sterbewunsch: Ist der (k)ein Ruf nach Hilfe?
Nein. Er ist der Ruf nach selbstbestimmtem Sterben. Das schönste Geschenk, das mir ein Mensch in meinem Leben machen kann, ist mein eigener Tod.
Du ziehst also die Möglichkeit des assistierten Suizids in Betracht, wenn er legal ist?
Definitiv! Ich habe mich sehr über das Gerichtsurteil gefreut. Allein die Option zu haben, schenkt mir Lebensqualität. Ich bin so im Arsch, aber ich versuche, mit meinen verbleibenden Ressourcen die Welt noch ein Stückerl schöner zu machen, solange es die Möglichkeit des assistierten Suizids noch nicht gibt. Vor einigen Jahren habe ich einen Suizidversuch leider überlebt – ich wollte wirklich sterben. Die Perspektive, mein Leben beenden zu können, hatte mir immer Freiheit gegeben und mich gestärkt. Doch seitdem habe ich das Gefühl nicht mehr, dass ich ja gehen kann, wenn ich will.
Was hat sich verändert?
Ich frage mich seither immer: Was ist, wenn ich’s wieder überlebe? Mit massiven Schäden etwa, so dass ich vielleicht nicht einmal mehr äußern kann, dass ich sterben will. Und ein anderer wichtiger Punkt ist: Ich weiß, was ich dem Menschen angetan habe, dessen Wohnung ich mir für den Suizidversuch ausgeborgt habe! Oder denen, die dann erfahren hätten, ich bin plötzlich tot, wenn’s funktioniert hätte! Das alles fällt weg, wenn es legal ist, das eigene Leben zu beenden – durch ein sicheres Medikament, schmerzfrei. Ich kann dann den Zeitpunkt bestimmen, mich vorher mit meinen Leuten treffen, ihnen das in Ruhe erklären und die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen.
Eine Legalisierung bringt also auch Enttabuisierung und damit einen besseren Umgang für alle Beteiligten?
Ja, man könnte miteinander Abschied nehmen und geben. Und jeder Mensch, der drüber nachdenkt, wünscht sich ein gutes Sterben. Was immer das dann bedeutet: nicht allein zu sein, schmerzfrei zu sein, an der Hand eines lieben Menschen einfach einzuschlafen. Ich spreche immer wieder theoretisch über (begleiteten) Suizid. Aber mit viel zu wenigen Menschen kann ich über meine ganz persönliche Situation reden. Ich wünsche mir, dass wir viel authentischer damit umgehen können. Ich denke, das könnte anders werden, wenn assistierter Suizid endlich legal ist.
Fußnote:
(1) Name und Geschlecht wurden unkenntlich gemacht.
Assistierter Suizid und Sterbehilfe
Assistierter Suizid bedeutet Selbsttötung mit Hilfe einer Person, die ein Mittel dazu bereitstellt. Der Tod wird von der Person selbst herbeigeführt. Er ist zu unterscheiden von aktiver Sterbehilfe, bei der ein Mensch das Leben eines anderen etwa durch Medikamente beendet, sowie passiver (Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen) und indirekter Sterbehilfe (Beschleunigung des Sterbens durch Nebenwirkungen bestimmter Medikamente, z.B. palliativer).
Assistierter Suizid ist in Österreich noch verboten und kann mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren belegt werden. Im Dezember 2020 verlautbarte der Verfassungsgerichtshof allerdings, dass Beihilfe zum Suizid ab 1. Jänner 2022 unter bestimmten Bedingungen nicht mehr strafbar ist.
Dieses Interview erschien zuerst in an.schläge II/2021.