Schutz und rechtliche Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen

Alex Jürgen* musste bis vor den Verfassungsgerichtshof ziehen, um rechtlich mit der eigenen Geschlechtsidentität anerkannt zu werden. Österreich schützt intergeschlechtliche Menschen noch immer nicht ausreichend. Von Paul Haller und Theresa Hammer

Reisepass von Alex Jürgen* mit einem "X" beim Feld "Geschlecht"
Alex Jürgens* Reisepass im Haus der Geschichte Österreich, Foto: Lorenz Paulus/hdgö, CC BY-NC 4.0

Inhalt in Einfacher Sprache

Alex Jürgen* ist intergeschlechtlich. Das bedeutet: Alex Jürgen* ist nicht Mann und nicht Frau. Die körperlichen Geschlechts-Merkmale von Alex Jürgen* sind nicht männlich und nicht weiblich. Ungefähr 1,7 Prozent aller Menschen sind intergeschlechtlich.
In vielen wichtigen Dokumenten steht das Geschlecht. Zum Beispiel im Reisepass. In Österreich hat das Gesetz lange Zeit nur zwei Geschlechts-Einträge erlaubt: männlich und weiblich. Deshalb hat Alex Jürgen* eine Klage eingereicht. Alex Jürgen* hat die Klage gewonnen und hat nun ein „X“ im Reisepass. In Österreich gibt es heute 6 Geschlechts-Einträge: weiblich, männlich, inter, divers, offen und kein Geschlechts-Eintrag („keine Angabe“). Aber es gibt immer noch Probleme. Zum Beispiel: Nur wenige Menschen dürfen sich selbst einen Geschlechts-Eintrag aussuchen. Ein anderes Problem ist: Intergeschlechtliche Menschen werden heute noch immer an ihren Geschlechts-Merkmalen operiert. Diese Operationen sind nicht selbst-bestimmt und nicht notwendig. Sie haben negative Folgen. Die Vereinten Nationen haben Österreich oft dafür kritisiert. Denn Österreich schützt intergeschlechtliche Kinder nicht genug.

Diese Kurz-Fassung hat geschrieben: Bettina Enzenhofer
Wenn du zum Text eine Frage hast: schreib an be(at)ourbodies.at

Alex Jürgen* ist intergeschlechtlich. Nicht Mann, nicht Frau, sondern dazwischen oder außerhalb dieser Kategorien. Als intergeschlechtliche Person kam Alex Jürgen* mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt, die nicht in die engen medizinischen und gesellschaftlichen Vorstellungen von männlichen und weiblichen Körpern passen. Wer fest davon ausgeht, dass es zwei und nur zwei „Geschlechter“ gibt, mag davon irritiert sein. Dabei ist Intergeschlechtlichkeit gar nicht so selten. Bis zu 1,7 Prozent der Weltbevölkerung sind intergeschlechtlich, heißt es in einem Fact Sheet der Vereinten Nationen. Je nach Betrachtungsweise und Definition variieren die Zahlen. Was jedoch feststeht: Es gibt Menschen, deren Körper auf anatomischer, chromosomaler, hormoneller oder gonadaler(1) Ebene eine Variation der Geschlechtsmerkmale aufweisen. Viele von ihnen identifizieren sich als Frauen oder Männer (mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale, kurz: VdG), manche als intergeschlechtlich.

Um auch rechtlich als intergeschlechtlich anerkannt zu werden, zog Alex Jürgen* mit einer Klage bis vor den Verfassungsgerichtshof und klagte auf einen Geschlechtseintrag abseits von „weiblich“ und „männlich“. Der Geschlechtseintrag wird in Österreich auf Basis des Personenstandsgesetzes grundsätzlich innerhalb einer Woche nach der Geburt eines Kindes erfasst und in der Geburtsurkunde sowie im Zentralen Personenstandsregister eingetragen. Der Verfassungsgerichtshof prüfte im Verfahren von Alex Jürgen*, ob Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat, die individuelle Geschlechtsidentität von intergeschlechtlichen Menschen als Teil des Privat- und Familienlebens schützt. In einer bahnbrechenden Entscheidung im Juni 2018 bejahte das Höchstgericht schließlich diese Frage und entschied, dass intergeschlechtliche Menschen ein Recht darauf haben in ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, auch wenn diese nicht „weiblich“ oder „männlich“ ist. Heute führt Alex Jürgen* den Geschlechtseintrag „inter“ in offiziellen Dokumenten und behördlichen Ausweisen, im Reisepass steht ein „X“ bei Geschlecht. In Österreich sind mittlerweile sechs Geschlechtseinträge anerkannt: weiblich, männlich, inter, divers, offen und die gänzliche Streichung des Geschlechtseintrags („keine Angabe“). Der Zugang zu den alternativen Geschlechtseinträgen gestaltet sich allerdings schwierig. Mitgliedsorganisationen des Klagsverband wie Venib – Verein Nicht-Binär oder der Verein Intergeschlechtliche Menschen Österreich (VIMÖ) fordern, dass trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ihren Geschlechtseintrag unbürokratisch und selbstbestimmt ändern lassen können.

Ungelöst bleibt auch ein weiteres Problem: Bis heute erfahren intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche medizinische Eingriffe, für die sie sich nicht selbst entschieden haben und die gesundheitlich nicht notwendig sind. Auch Alex Jürgen* hat in der Kindheit Operationen erlebt, die den Körper irreversibel verändert haben. Spätestens seit den 1990er Jahren kritisieren intergeschlechtliche Menschen diese nicht-notwendigen und nicht-selbstbestimmten medizinischen Eingriffe als Genitalverstümmelung an intergeschlechtlichen Menschen (auf Englisch: Intersex Genital Mutilation, IGM). Sie berichten von negativen Folgen wie Traumatisierungen, Schmerzen, Störungen der Sexualität, des Lustempfindens oder der Körperwahrnehmung, Inkontinenz und vielem mehr.

Österreich wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, Kinder mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale bzw. intergeschlechtliche Kinder nicht ausreichend zu schützen: 2015 vom UN-Ausschuss gegen Folter, 2020 vom UN-Kinderrechtsausschuss. Auch auf europäischer Ebene wird ein besserer Schutz eingefordert – nicht nur von Selbstvertretungsorganisationen wie dem Europäischen Dachverband OII Europe, sondern auch in der EU-Kinderrechte-Strategie und der „EU-LGBTIQ Equality Strategy“ der Europäischen Kommission.

Doch wozu braucht es überhaupt nicht-notwendige medizinische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen? Letztlich dienen sie dazu, eine starre Einordnung in Mädchen und Bub, Mann und Frau aufrechtzuerhalten. Das darf kein Grund für medizinische Eingriffe sein, die nicht-notwendig und nicht-selbstbestimmt sind. Es ist höchste Zeit für einen gesetzlichen Schutz und eine umfassende Anerkennung von intergeschlechtlichen Menschen!

Fußnote:
(1) Gonaden ist ein anderes Wort für Keimdrüsen und der Überbegriff für Hoden, Eierstöcke und Mischgonaden.

Theresa Hammer ist fachliche Geschäftsführerin und Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands. Die Juristin ist Expertin im Antidiskriminierungsrecht und in Gleichstellungsfragen und vertritt den Klagsverband in Monitoring-Ausschüssen zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Paul Haller ist wirtschaftlicher Geschäftsführer und Leitung der Öffentlichkeitsarbeit des Klagsverbands. Der Sozialarbeiter und Sexualpädagoge ist seit vielen Jahren in der LGBTIQ*-Community aktiv.

Der OBDS und der Klagsverband unterstützen gemeinsam mit über 70 Organisationen die Petition Schützen Sie intergeschlechtliche Kinder- und Jugendliche!

Dieser Text erschien zuerst in der Fachzeitschrift SIÖ 3/2023.

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Alex Jürgen* ist intergeschlechtlich. Das bedeutet: Alex Jürgen* ist nicht Mann und nicht Frau. Die körperlichen Geschlechts-Merkmale von Alex Jürgen* sind nicht männlich und nicht weiblich. Ungefähr 1,7 Prozent aller Menschen sind intergeschlechtlich.
In vielen wichtigen Dokumenten steht das Geschlecht. Zum Beispiel im Reisepass. In Österreich hat das Gesetz lange Zeit nur zwei Geschlechts-Einträge erlaubt: männlich und weiblich. Deshalb hat Alex Jürgen* eine Klage eingereicht. Alex Jürgen* hat die Klage gewonnen und hat nun ein „X“ im Reisepass. In Österreich gibt es heute 6 Geschlechts-Einträge: weiblich, männlich, inter, divers, offen und kein Geschlechts-Eintrag („keine Angabe“). Aber es gibt immer noch Probleme. Zum Beispiel: Nur wenige Menschen dürfen sich selbst einen Geschlechts-Eintrag aussuchen. Ein anderes Problem ist: Intergeschlechtliche Menschen werden heute noch immer an ihren Geschlechts-Merkmalen operiert. Diese Operationen sind nicht selbst-bestimmt und nicht notwendig. Sie haben negative Folgen. Die Vereinten Nationen haben Österreich oft dafür kritisiert. Denn Österreich schützt intergeschlechtliche Kinder nicht genug.

Diese Kurz-Fassung hat geschrieben: Bettina Enzenhofer
Wenn du zum Text eine Frage hast: schreib an be(at)ourbodies.at

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