Sprache macht Geschlecht

Das „zwanghafte“ Erhalten der Zweigeschlechternormen in der Verwaltung von Trans*Personen in Österreich. Von Persson Perry Baumgartinger

Plakat in den Farben der Trans-Flagge mit dem Text "Fight for trans rights the way they fought for yours"
Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona / Unsplash

Dieser Artikel baut auf meinem laufenden Dissertationsprojekt über die staatliche Regulierung von Geschlecht als Zweigeschlechterkonstrukt in Österreich von 1980-2010 auf. Staatliche Regulierung wird dabei als ein komplexes Gefüge diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken sowie Gegenständen (Regulierung) innerhalb eines komplexen und pluralen Settings (Staat) verstanden. Ich untersuche die Entstehung und Verhandlung des sogenannten „Transsexuellen-Erlasses“ (TS-Erlass)(1), der im Zweigeschlechterdispositiv rund um Trans* in Österreich eine zentrale Rolle spielt. Dafür habe ich einen eigenen methodologischen Zugang entwickelt – die kritische Diskurshistorische Dispositivanalyse. Im Folgenden geht es um Aspekte der Verhandlung des Erlasses von staatlicher Verwaltung und zivilgesellschaftlicher Interessen.

Am 2. November 2006 stellt eine Trans*Person einen Antrag auf „Änderung der im Geburtenbuch eingetragenen Beurkundung ihres Geschlechts von ‚männlich‘ auf ‚weiblich'“ (VwGH v 27.2.2009)(2). Im Bescheid vom 15. März 2007 weist das Innenministerium diesen Antrag ab. Die Trans*Person geht in Berufung und das Innenministerium verfasst einen weiteren negativen Bescheid. Daraufhin geht die Trans*Person vor den Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Das Erkenntnis des VwGHs vom 27. Februar 2009 hebt den Bescheid des Innenministeriums auf. Hauptstreitpunkt ist die „deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“. Während das Innenministerium davon ausgeht, dass sie sich über geschlechtsangleichende Operationen (incl. Kastration bzw. Sterilisation) definiert, fordert die Trans*Person eine Personenstandsänderung ohne diese Eingriffe. Der VwGH stimmt zu, dass „schwerwiegende operative Eingriffe“ keine Voraussetzung für eine Personenstandsänderung sein können. Weiters stellt der VwGH fest, dass das Innenministerium das übliche „Ermittlungsverfahren“ über ein Sachverständigengutachten (ohne operative Eingriffe) unterlassen hat. Daraufhin gibt das Innenministerium ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten in Auftrag. In diesem wird bestätigt, dass die Trans*Person alle zentralen Kriterien für „Transsexualität“ erfüllt habe. Allerdings sei die „Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ nicht deutlich genug, da keine geschlechtsangleichende Operation stattgefunden habe. Mit dieser Argumentation weist das Innenministerium in dem Bescheid vom 27. Oktober 2009 den Antrag der Trans*Person abermals ab. Die Trans*Person bekämpft diesen Bescheid wieder vor Gericht. Mit dem Erkenntnis vom 17. Februar 2010 hebt der Verwaltungsgerichtshof auch diesen Bescheid des Innenministeriums wieder auf. Er erinnert das Innenministerium daran, dass geschlechtsangleichende Operationen spätestens seit dem Erkenntnis vor gut einem Jahr in Österreich nicht mehr entscheidend sind für die Änderung des Geschlechtseintrages im Geburtenbuch. Damit fällt in Österreich der Operationszwang für Trans*Personen und das Innenministerium hat keine zentrale Entscheidungsmacht mehr über die Personenstandsänderungen.

Während der Aufhebung des TS-Erlasses zwischen 2009 und 2010 liefen noch mindestens drei weitere ähnliche Auseinandersetzungen vor Gericht. Wie kommt es dazu, dass das Innenministerium bis zuletzt und immer rigider auf seiner konservativen Definition von Geschlecht besteht?

In Österreich wird, wie auch in vielen anderen Staaten weltweit, ‚zwanghaft‘ eine Zweigeschlechternorm Mann/ Frau eingefordert. Innerhalb einer Woche nach der Geburt muss nach dem Personenstandsgesetz (PStG) ein lebendgeborenes Kind beim Standesamt registriert werden. Für den Geschlechtseintrag gibt es nur zwei Möglichkeiten: männlich oder weiblich. Laut Namens- und Personenstandsgesetzen muss mindestens der erste Vorname eindeutig dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht entsprechen. Dabei ist Geschlecht im österreichischen Recht nicht definiert, sondern folgt vielmehr der unbegrün- deten Vorannahme: „Die österreichische Rechtsordnung (vgl. etwa Art. 7 Abs. 3 B-VG und Art. 12 MRK) und das soziale Leben gehen von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch entweder weiblichen oder männlichen Geschlechts ist“ (VwGH v. 30.9.1997; s.a. Greif 2005).

Der Geschlechtseintrag ist eine Beurkundung der sogenannten „materiellen Wahrheit“ – die österreichische Verwaltung bestimmt also das Geschlecht nicht, sondern dokumentiert es. Nach dem PStG muss eine Beurkundung u.a. dann geändert werden, wenn sie nach dem Eintrag unrichtig geworden ist.

Es gibt keine gesetzliche Regelung von Trans* in Österreich im Sinne eines „Transsexuellen-Gesetzes“, sondern verschiedene Verwaltungsschriften und Gerichtserkenntnisse. Der sogenannte „Transsexuellen-Erlass“ besteht insgesamt aus neun Schriftstücken. Im Erlass von 1983 werden vier zentrale Kriterien für die Änderung des Geschlechts- und Vornamenseintrags festgelegt. Als Vorlage dient ein Gutachten des Obersten Sanitätsrats, das ebenfalls 1983 erstellt wurde. Die vier zentralen Kriterien mussten über ein Sachverständigengutachten „beweisen“, dass:
1) die Trans*Person „unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht anzugehören“,
2) diese Vorstellung so „zwanghaft“ war, dass die Person sich „geschlechtskorrigierenden Maßnahmen […] unterziehen“ musste,
3) „diese Maßnahmen zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ führten und
4) sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit […] am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern“ werde (BMI 1983).
Praktisch bedeutete das für Trans*Personen bis 2010 eine ganze Reihe an Untersuchungen und Diagnos- tizierungen, verschiedene Gutachten, 50 Psycho- therapiestunden, einen sogenannten „Alltagstest“, Hormoneinnahmen sowie operative Eingriffe mit Kastrations- bzw. Sterilisationszwang etc.

Der TS-Erlass ist u.a. eingewoben in Diskurse zu Normalität, Heteronormativität, Reinheit und Einheitlichkeit und beruht auf der Vorannahme der Zweigeschlechtlichkeit. Wie ich in meiner Dissertation zeigen werde, kann der TS-Erlass in vier Phasen eingeteilt werden: 1) seine Entwicklung von 1980 bis 1983; 2) seine Anwendung von 1983 bis Anfang 1990er; 3) seine Verhandlung in den 1990ern und 2000ern – sowohl durch die Trans*Bewegung, die immer stärker mit unterschiedlichen Aktionen für ihre Rechte in die Öffentlichkeit geht, parteipolitisches Lobbying betreibt und parlamentarische Anfragen stellt (vgl. Verein ][diskursiv 2011), als auch durch einzelne Trans*Personen, die gegen Inhalte des Erlasses vor Gericht gehen; und 4) seine Aufhebung von 2009 bis 2010.

Um auf weitere strukturelle Diskriminierung durch den österreichischen Verwaltungsapparat reagieren zu können, lohnt es sich genauer zu fragen: Wie argumentiert das Innenministerium sein Beharren auf einem Operationszwang? Mit welchen (sprachlichen) Mitteln wird diese Haltung argumentiert?

Das Beispiel eingangs zeigt, wie über Sprachhandlungen staatliche Macht über einzelne Körper ausgeübt wird, wie eine anscheinend natürliche, gesunde biologische Zweigeschlechtlichkeit über krankmachende (pathologisierende) Verwaltungspraktiken erzeugt wird. Dies findet nicht nur, wie hier gezeigt, im juristischen Feld und in der ministeriellen Verwaltung statt, sondern zeigt ein Zweigeschlechterregime an, das im Rahmen des Zweigeschlechterdispositivs bestimmte Praktiken und Argumentationen hervorbringt und rechtfertigt. Die staatliche Verwaltung von Trans* in Österreich kann damit als jahrelange transfeindliche Praxis und strukturelle Diskriminierung gesehen werden. Sie war in einer Vorstellung von zwei biologisch klar bestimmbaren Geschlechtern verhaftet und soll über eine rigide Verwaltungspraxis, sogar über die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofs hinaus, erhalten bleiben – das Zweigeschlechterdispositiv als Folie, das Innenministerium als Verwalterin von staatlicher Seite. Dafür wurden vom Innenministerium sprachliche Mittel eingesetzt, die:
• Trans*Personen diskreditieren, indem etwa Selbstbezeichnungen der Trans*Bewegung („Transgender“) angeeignet und mit Verweis auf die englische Unterscheidung von sex als biologischem Geschlecht und gender als sozialem Geschlecht gegen die Interessen der Trans*Person verwendet werden: Sie weise „Transgendermerkmale“ vor, „also nur die sozialen Geschlechtsmerkmale, die zwar typisch für das weibliche Geschlecht“ seien, „jedoch nicht die körperlichen Geschlechtsmerkmale, weshalb eine Berichtigung der Eintragung im Geburtenbuch nicht durchgeführt“ werden könne (vgl. VwGH v 27.2.2009).
• Trans*Personen die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen absprechen, indem etwa das Innenministerium in ihrer Argumentation gegen die Personenstandsänderung in Frage stellt, warum eine Trans*Person den beruflichen Erfolg (bzw. die finanzielle Existenz) vor eine geschlechtsangleichende Operation stellen könne, da „[g]erade die Entfernung der primären Geschlechtsorgane […] von Transsexuellen als notwendig empfunden [werde], um tatsächlich das Wunschgeschlecht zu erhalten.“ Mit dieser Argumentationsstrategie wird einer Person, die viele Jahre für eine ihrem Geschlecht angemessene Beurkundung im Geburtenbuch bis hin zum Verwal- tungsgerichtshof geht, das Gewicht ihres Anliegens in Frage gestellt.
• jahrelange Forderungen der Trans*Bewegung sowie wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, indem bis zuletzt auf einer Zweigeschlechterordnung beharrt wird, die im Erlass von 2009 mit der detaillierten Aufzählung von geschlechtsangleichenden Operationen gipfelt – zu einer Zeit also, in der bereits genau diese Zwangsoperationen vor Gericht verhandelt und wenige Tage vor dem Erlass vom Verwaltungsgerichtshof als unzulässig beurteilt werden. Auch sind zu dieser Zeit die Interessensvertretungen von Trans*Personen bereits in Österreich und international gegen psychiatrische und medizinische Zwangsmassnahmen laut und wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen auf, dass Geschlecht nicht (nur) biologisch über den Körper begründet werden kann.
• Trans*Personen ihre Rechte verweigern, indem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs ignoriert werden und auch nach dem Erkenntnis von 2009, das „schwerwiegende operative Eingriffe“ nicht als Voraussetzung für Personenstandsänderungen gelten lässt, eine geschlechtsangleichende Operation zur einzig fehlenden Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenbuch gemacht wird.

Die Analyse zeigt auch, wie kritisch gedachte Begriffe und Konzepte der Gender Studies angeeignet und im Sinne eines biologischen Zweigeschlechterregimes verwendet werden können, indem auf die Unterscheidung von sex und gender als körperliches und soziales Geschlecht in den Gender Studies verwiesen und mit dieser Argumentation gegen Trans*Personen angewendet wird. Möglicherweise funktioniert diese Strategie auch deshalb, weil die Begriffe soziales Geschlecht (gender) und Geschlechterrolle (gender role) selber in einer pathologisierenden, medizinischen Praxis zu „Intersexualität“ – und damit im Rahmen der Erhaltung eines Zweigeschlechterregimes – entstanden sind (s. Klöppel 2012).

Allein diese wenigen Beispiele der Verhandlung des sogenannten „Transsexuellen-Erlasses“ vor Gericht zeigen, wie Zweigeschlechtlichkeit staatlich verordnet und damit erzwungen, heteronormative Ordnung eingeschrieben und damit wiederum „materielle Wahrheit“ geschaffen wird. Der „Transsexuellen-Erlass“ – eine eigentlich ministerieninterne Anleitung von Gesetzesanwendungen in den jeweiligen Behörden – wird in der Verwaltungspraxis also zum wirkmächtigen Instrument staatlicher Regulierung von Geschlecht als Zweigeschlechterkonstrukt.

Fußnoten:
(1) Der Begriff „TS-Erlass“ wird hier sowohl als zählbares Wort (die einzelnen Erlässe von 1980-2010) als auch als Überbegriff („Der Transsexuellen-Erlass“) verwendet.
(2) Alle Zitate in dieser „Erzählung“ sind aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 27.2.2009. Der Ablauf wurde aus den beiden Erkenntnissen des VwGHs vom 27.2.2009 und 17.2.2010 rekonstruiert.

Literatur:
Bundesministerium für Inneres (BMI): Transsexuelle. Personenstandsrechtliche Stellung, 1983, Zahl 10.582/24-IV/4/83.
Elisabeth Greif: Doing Trans/Gender. Rechtliche Dimensionen, Linz: Trauner 2005.
Ulrike Klöppel, Medikalisierung „uneindeutigen“ Geschlechts, in: APuZ 20-21 Jg., 2012, S. 28-33.
Verein ][diskursiv: Where Have All The Trannies Gone, Wien 2011. Online unter: www.diskursiv.at (18.11.2014).

Dieser Text erschien zuerst in genderstudies #26. Zeitschrift des interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung IZFG. Frühling 2015

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