Stellen Sie sich nicht so an!“

Wie sich Rassismus auf die Gesundheit von People of Color, Schwarzen und Indigenen Menschen auswirkt. Von Yasmin El Basbasse und Sina Rahel Holzmair

Banner im öffentlichen Raum mit dem Text: Racism is a public health crises und dem Logo von Chase Brexton Health Care. Im Hintergrund ist eine Progress-Pride-Flagge sichtbar.
Foto: Elvert Barnes/Flickr – 03a.MTA.Bus.BaltimoreMD.9July2020 (Bildausschnitt zugeschnitten), CC BY-SA 2.0

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist ein Text darüber
wie sich Rassismus auf die Gesundheit auswirkt.
Menschen werden benachteiligt
wegen ihrer Hautfarbe
wegen ihrer Religion
wegen ihrer Herkunft.
Das nennt man Rassismus.
In Deutschland und Österreich gibt es wenig Forschung
zur Gesundheit von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.
Aber viele Menschen berichten von schlechten Erfahrungen
bei Ärzt*innen oder im Krankenhaus.
Zum Beispiel:
Vieles in der Medizin
ist auf helle Haut ausgerichtet.
Menschen mit dunklerer Haut
bekommen dann falsche Ergebnisse.
Es gibt auch viele Vorurteile.
Zum Beispiel glauben viele Ärzt*innen:
Menschen, die nicht weiß sind,
übertreiben.
Deshalb bekommen sie 
weniger Schmerzmittel.
Das ist falsch und gefährlich.
Rassistische Erfahrungen machen auch Stress.
Zum Beispiel fragen Menschen:
Wo kommst du wirklich her?
Darf ich deine Haare anfassen?
Das verletzt Menschen.
Sie fühlen sich dann anders und ausgeschlossen.
Rassismus in der Medizin
hat eine lange Geschichte.
Zum Beispiel:
Ärzt*innen haben Experimente
mit Menschen mit dunkler Haut gemacht.
Deshalb haben manche Menschen
wenig Vertrauen in die Medizin.
Wenn Menschen Rassismus in der Medizin erleben,
gehen sie unterschiedlich damit um.
Es ist wichtig sie zu bestärken.
Aber auch die Politik muss Dinge verbessern.
Damit alle Menschen eine gute Gesundheits-Versorgung haben.

Diese Kurz-Fassung hat geschrieben: Brigitte Theißl
Wenn du zum Text eine Frage hast:
schreib an be(at)ourbodies.at

Wann wurde dir das letzte Mal ungefragt in die Haare gegriffen? Wurdest du schon einmal ohne Grund von der Polizei kontrolliert? Betroffene von Rassismus erleben täglich solche und viele andere rassistische Übergriffe, die ihnen Andersartigkeit und Handlungsunfähigkeit vermitteln. Das kann auf Dauer nicht gesund sein. Doch was Betroffene schon lange durch eigene Erfahrungen wissen, wird erst seit relativ kurzer Zeit wissenschaftlich belegt. Vor allem im deutschsprachigen Raum fehlten verlässliche Zahlen, da die meisten Untersuchungen aus den USA kommen und wegen der unterschiedlichen Geschichte der Länder nur begrenzt übertragbar sind. Außerdem laufen viele Studien unter dem Thema Migration, was per Definition viele Lebensrealitäten von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) ausschließt. Doch immer mehr Studien stellen mittlerweile fest, was sich in der Coronapandemie nur noch verstärkt hat: Rassismus – Diskriminierung generell – hat einen starken Einfluss auf die Gesundheit. 

Physische Gesundheit: Körper of Color bekommen zu wenig Aufmerksamkeit

Wer sich zur Untersuchung in medizinische Einrichtungen begibt, macht sich angreifbar. Automatisch besteht eine Machtungleichheit, da von Angestellten in Arbeitsuniform und insbesondere von Ärzt*innen Autorität ausgeht. Wer dann auch noch rassistische Abwertung befürchten muss, zögert Praxis- oder Krankenhausbesuche vielleicht so lange wie möglich hinaus oder lässt es gleich. Rassismus im Gesundheitssystem ist leider keine Seltenheit und hat besonders dort schwerwiegende Folgen. So zeigt sich schon in der Diagnostik der eurozentrische Blick der Medizin. Standard-Messutensilien wie das Pulsoximeter (zur Messung der Sauerstoffsättigung im Blut) wurden beispielsweise nur an weißen Menschen getestet und können bei dunklerer Haut verzerrte Werte anzeigen, die zu Fehlversorgung führen können. Allgemein sind BIPoC im Lehrmaterial unterrepräsentiert und die Diagnostikkriterien dementsprechend nur auf weißeMenschen ausgerichtet (z.B. beim Erkennen von Hautkrankheiten). Aber auch in der Behandlung werden Unterschiede basierend auf rassistischen Stereotypen gemacht: Behandelnde schätzten in einer Studie den Schmerz von BIPoC im Vergleich zu weißen Menschen geringer ein und verabreichten folglich weniger Schmerzmittel, obwohl beide Patient*innengruppen eine gleich hohe Schmerzintensität angaben. Die Annahme, dass BIPoC in der Darstellung ihrer Schmerzen übertreiben, wird unter dem Namen „Morbus mediterraneus“ („Mittelmeersyndrom“) heutzutage immer noch verbreitet und suggeriert (fälschlicherweise!) eine wissenschaftliche Daseinsberechtigung. Ein Grund dafür könnte die sogenannte Empathie-Lücke sein. (Unbewusste) Vorurteile haben demnach Einfluss auf unser Empathieempfinden und können zu weniger Empathie gegenüber Menschen führen, die als nicht zugehörig zu der eigenen Gruppe wahrgenommen werden. Aber auch als medizinisches Personal bekommen BIPoC Rassismus zu spüren. Ärzt*innen wird die Kompetenz abgesprochen oder sogar die Behandlung durch BIPoC abgelehnt. 

Rassismus im Gesundheitssystem hat eine lange Geschichte. Viele medizinische Erkenntnisse und Errungenschaften basieren auf Forschung, die zu Kolonialzeiten ohne Einverständnis und zum Teil ohne Betäubung an BIPoC durchgeführt wurde. Daraus entstand in vielen Betroffenen ein tief verwurzeltes Misstrauen in die Medizin, das teilweise bis heute nachwirkt und ein weiteres Hindernis für angemessene gesundheitliche Versorgung darstellt. 

Psychische Gesundheit: Was Rassismus in unseren Köpfen anrichtet

„Wo kommen Sie wirklich her?“ „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Wer diese oder ähnliche scheinbar harmlose Aussagen kennt, hat sogenannte Mikroaggressionen erlebt. Mikroaggressionen sind mehr oder weniger subtile rassistische Angriffe, die BIPoC täglich begegnen. Ob es nun unangenehme Blicke, unangebrachte „Witze“ oder Pseudo-Komplimente zu Deutsch-Kenntnissen sind – eins haben alle Formen der Mikroaggressionen gemeinsam: Sie verletzen. Unabhängig davon, ob es beabsichtigt passiert oder nicht, werden Betroffene exotisiert oder ausgeschlossen. Und da Bindung und Zusammengehörigkeitsgefühl Grundbedürfnisse von uns Menschen sind, führt eine Verletzung dieser Bedürfnisse nachweislich zu körperlichem Stress. Zumal BIPoC zusätzlich zu rassistischen Vorfällen auf zwischenmenschlicher Ebene mit zahlreichen Hindernissen auf struktureller und institutioneller Ebene kämpfen müssen. Beispielsweise gestaltet sich die ohnehin schon schwierige Suche nach einem kassenfinanzierten Psychotherapieplatz für BIPoC besonders kompliziert, da in der Therapie selbst die Gefahr der Reproduktion von Rassismus besteht. Im 2020 veröffentlichen Afrozensus gaben 62 Prozent der Menschen an, dass ihre Rassismuserfahrungen in der Psychotherapie infrage gestellt wurden. Außerdem gibt es bisher trotz hoher Nachfrage – unter anderem durch Ungleichheiten im Zugang zum Bildungssystem – wenige Psychotherapeut*innen of Colour oder explizit rassismussensible Therapeut*innen. Umgang mit Rassismus ist auch kein verpflichtender Teil der Psychotherapieausbildung. Dabei gäbe es genügend Gründe dazu. Studien zeigen, dass das wiederholte Erleben von Rassismus zu trauma-ähnlichen Reaktionen wie erhöhter Aufmerksamkeit und Erregbarkeit, Albträumen und Flashbacks führen kann. Dieses Phänomen wird „racism-based traumatic stress“ – rassismus-basierter traumatischer Stress – genannt. Trotzdem findet sich „Diskriminierungserfahrung“ bisher nur unspezifisch und als Zusatz in den etablierten Diagnostikmanualen, was zu unzureichenden Behandlungen führt. Generell spiegeln sich die psychischen Folgen von Rassismus in einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Angststörungen und Psychosen wider. Auch bei Suizidversuchen zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen Migrant*innen (15,3 Prozent) und Menschen ohne Migrationshintergrund (8,9 Prozent). Spezifische theoretische Konzepte zu Rassismusfolgen und deren Verbreitung in der Lehre sind also längst überfällig, denn spätestens nach diesen Zahlen sollte klar sein: Rassismus tötet.

Eine Diskriminierung kommt selten allein

Rassismus kann im Gesundheitssystem gravierende Folgen haben. Ist man von mehreren Diskriminierungsformen betroffen, verstärken sich diese Folgen um ein Vielfaches. Die von Kimberlé Crenshaw beschriebene Intersektionalität beschreibt diese Verschränkung verschiedener Diskriminierungsmerkmale wie Genderidentität, Behinderung, sexuelle Orientierung, Fluchterfahrung, Klassenzugehörigkeit, Religion oder Körpergewicht. Treffen mehrere dieser Merkmale zu, führt das laut Afrozensus zu deutlich häufigerer Diskriminierung. Schwarze trans*, inter* und nicht-binäre Menschen erleben verglichen mit cis Personen besonders häufig Diskriminierung im Gesundheitskontext, zum Beispiel auf individueller Ebene durch die Verweigerung von Behandlung oder das Aberkennen der selbstgewählten Genderidentität. Strukturell ist bereits der Zugang zu Gesundheitsversorgung für einige Gruppen erheblich erschwert. Beispielsweise können für geflüchtete Menschen die Sprachbarriere und eventuell fehlende finanzielle und rechtliche Möglichkeiten zusätzliche Probleme darstellen. Das kann dazu führen, dass Krankheiten verspätet erkannt werden oder falsch kommuniziert werden. 

Empowerment und Validierung: Wie finden wir einen Umgang?

Mindestens genauso wichtig wie die Darstellung der möglichen Folgen von Rassismus sind allerdings die Strategien, damit umzugehen. Nicht alle Menschen tragen psychische Störungen von rassistischen Erfahrungen davon, sondern haben Wege zum Verarbeiten dieser gefunden. Es gibt nicht den einen „richtigen“ Umgang mit rassistischen Diskriminierungen, jede Person entscheidet individuell, was ihr hilft und guttut. Zwei wichtige Stichwörter sind dabei Empowerment, also Selbstermächtigung, und die Validierung, also das Anerkennen des erlebten Rassismus. Betroffene wollen nicht als passive Opfer gesehen werden, sondern aktiv werden und Handlungsmacht haben. Viele Menschen suchen sich Austauschmöglichkeiten, Alternativen zur „klassischen“ Psychotherapie (z.B. Empowerment) oder engagieren sich aktivistisch. Solche Zusammenschlüsse stellen z.B. konkrete Forderungen an die Politik, um die Verantwortung weg vom Einzelnen hin zu den Institutionen und Strukturen zu lenken. Beispielsweise fordern das Bundesfachnetz Gesundheit und Rassismus und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden die Aufnahme von Anti-Rassismus in die Ausbildungen, die Anerkennung der gesundheitlichen Folgen von Rassismus und die Finanzierung zu Forschung in diesem Bereich. Denn die lange Geschichte von Rassismus sorgt dafür, dass die Machtposition der weißen Mehrheitsgesellschaft strukturell verankert ist und sich selbst aufrechterhält. Es darf nicht nur darum gehen, wer was aus böser Absicht gesagt oder getan hat. Wie es die Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin und Politikerin Natasha A. Kelly in ihrem 2021 veröffentlichten Buch auf den Punkt bringt: Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen. 

Quellen:
Beekman, J. B., Stock, M. L., & Marcus, T. (2016). Need to belong, not rejection sensitivity, moderates cortisol response, self-reported stress, and negative affect following social exclusion. The Journal of social psychology, 156(2), 131-138.
Carter, R. T. (2007). Racism and psychological and emotional injury: Recognizing and assessing race-based traumatic stress. The Counseling Psychologist, 35(1), 13-105.
Crenshaw, K. W. (2017). On intersectionality: Essential writings. The New Press.
Fereidooni, K., & El, M. (Eds.). (2016). Rassismuskritik und Widerstandsformen. Springer-Verlag.
Forgiarini, M., Gallucci, M., & Maravita, A. (2011). Racism and the empathy for pain on our skin. Frontiers in psychology, 2, 108.
Gutsell, J. N., & Inzlicht, M. (2012). Intergroup differences in the sharing of emotive states: neural evidence of an empathy gap. Social cognitive and affective neuroscience, 7(5), 596-603.
Kelly, N. A. (2021). Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!. Atrium Verlag AG.
Sjoding, M. W., Dickson, R. P., Iwashyna, T. J., Gay, S. E., & Valley, T. S. (2020). Racial bias in pulse oximetry measurement. New England Journal of Medicine, 383(25), 2477-2478.

Sina Rahel Holzmair und Yasmin El Basbasse sind aktiv im Bundesfachnetz Gesundheit und Rassismus.

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist ein Text darüber
wie sich Rassismus auf die Gesundheit auswirkt.
Menschen werden benachteiligt
wegen ihrer Hautfarbe
wegen ihrer Religion
wegen ihrer Herkunft.
Das nennt man Rassismus.
In Deutschland und Österreich gibt es wenig Forschung
zur Gesundheit von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.
Aber viele Menschen berichten von schlechten Erfahrungen
bei Ärzt*innen oder im Krankenhaus.
Zum Beispiel:
Vieles in der Medizin
ist auf helle Haut ausgerichtet.
Menschen mit dunklerer Haut
bekommen dann falsche Ergebnisse.
Es gibt auch viele Vorurteile.
Zum Beispiel glauben viele Ärzt*innen:
Menschen, die nicht weiß sind,
übertreiben.
Deshalb bekommen sie 
weniger Schmerzmittel.
Das ist falsch und gefährlich.
Rassistische Erfahrungen machen auch Stress.
Zum Beispiel fragen Menschen:
Wo kommst du wirklich her?
Darf ich deine Haare anfassen?
Das verletzt Menschen.
Sie fühlen sich dann anders und ausgeschlossen.
Rassismus in der Medizin
hat eine lange Geschichte.
Zum Beispiel:
Ärzt*innen haben Experimente
mit Menschen mit dunkler Haut gemacht.
Deshalb haben manche Menschen
wenig Vertrauen in die Medizin.
Wenn Menschen Rassismus in der Medizin erleben,
gehen sie unterschiedlich damit um.
Es ist wichtig sie zu bestärken.
Aber auch die Politik muss Dinge verbessern.
Damit alle Menschen eine gute Gesundheits-Versorgung haben.

Diese Kurz-Fassung hat geschrieben: Brigitte Theißl
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