Über die vermeintliche „Abschaffung von Mann und Frau“
Seit einer Änderung im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz sind darin auch geschlechtliche Minderheiten explizit vor Diskriminierung geschützt. Doch FPÖ und ÖVP wollen die Änderung zurücknehmen. Von Paul Haller
Das ist die Zusammenfassung von einem Kommentar von Paul Haller. Er ist einer der beiden Geschäftsführer*innen des Klagsverbands. Der Klagsverband hilft Menschen, die zum Beispiel am Arbeitsplatz diskriminiert werden.
Paul Haller schreibt über eine Änderung im Bundes-Gleichbehandlungs-Gesetz. Das Bundes-Gleichbehandlungs-Gesetz gilt für eine bestimmte Gruppe für Menschen: Es gilt für Menschen, die in einem Dienstverhältnis zum Bund stehen oder beim Bund eine Ausbildung machen. Menschen, die im Bundesdienst arbeiten, sind zum Beispiel Lehrer:innen, Richter:innen und Beamt:innen in einem Ministerium. Das Gesetz schützt diese Menschen vor Diskriminierung im Job.
Im September 2024 gab es eine wichtige Änderung im Bundes-Gleichbehandlungs-Gesetz: Das Gesetz schützt nun auch geschlechtliche Minderheiten, zum Beispiel trans, inter oder nicht-binäre Personen vor Diskriminierung im Job. Vorher hat das Gesetz nur Männer und Frauen vor Diskriminierung geschützt.
Die Grünen, die SPÖ und die ÖVP haben für die Gesetzesänderung gestimmt. Doch die ÖVP sagt, dass sie unabsichtlich dafür gestimmt hat. Sie will die Gesetzesänderung rückgängig machen. Auch die FPÖ kritisiert die Gesetzesänderung. Die FPÖ sagt, dass das neue Gesetz Männer und Frauen abschafft. Sie sagt: Frauen verlieren dadurch Schutzräume. Aber das ist falsch. Die Gesetzesänderung hat keine Auswirkung auf den Schutz von Frauen.
Geschlechtliche Minderheiten werden in Österreich oft diskriminiert. Das zeigen viele Studien. Zum Beispiel sagen 65 Prozent der trans Frauen, 60 Prozent der nicht-binären Menschen und mehr als die Hälfte der inter Personen in Österreich: Ich habe im letzten Jahr Diskriminierung erlebt.
Es ist deshalb wichtig, den Diskriminierungs-Schutz von geschlechtlichen Minderheiten auszubauen. Die Gesetzesänderung ist ein wichtiger Schritt, um Diskriminierungen zu verhindern.
Bettina Enzenhofer hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at
Eine kleine Änderung im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz hat im September 2024 für große Aufregung gesorgt. Anstelle von „Mann und Frau“ zielt der Gesetzestext nun auf die „Gleichstellung aufgrund des Geschlechts“ ab. Die Gesetzesänderung stellt zudem klar, dass das Geschlecht auch die Geschlechtsmerkmale, die Geschlechtsidentität, den Geschlechtsausdruck und die Geschlechterrolle umfasst. Damit sollen geschlechtliche Minderheiten explizit vor Diskriminierung geschützt werden. Neben den Grünen und der SPÖ hat auch die ÖVP der Änderung zugestimmt. Unabsichtlich, wie sich später herausstellte.
Gleichstellungsexpert*innen begrüßen die rechtliche Klarstellung, die auch in anderen Gesetzen übernommen werden sollte. Denn das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz gilt lediglich für Personen, die in einem Dienst- oder Ausbildungsverhältnis zum Bund stehen. Heftigen Gegenwind gab es hingegen von der FPÖ. Die ÖVP möchte die Gesetzesänderung zurücknehmen und hat bereits einen entsprechenden Antrag im Nationalrat eingebracht.
Österreich gehört laut einem aktuellen Bericht der Europäischen Grundrechteagentur zu jenen Ländern, in denen Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität am häufigsten vorkommt. Die Daten in dem Bericht basieren auf der wohl größten Online-Umfrage zur Lebenssituation von LGBTIQ*-Personen, dem „EU LGBTIQ Survey III“ aus dem Jahr 2023. Dabei wurden über 100.000 LGBTIQ*-Personen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie den EU-Kandidatenländern Albanien, Nordmazedonien und Serbien befragt, unter anderem zu ihren Diskriminierungserfahrungen. Die Zahlen für Österreich sind ernüchternd und geben Einblicke in die Lebensrealitäten von geschlechtlichen Minderheiten. So berichteten 65 Prozent der befragten trans* Frauen von Diskriminierungserfahrungen innerhalb der letzten 12 Monate vor der Befragung. Damit reiht sich Österreich gemeinsam mit Deutschland auf dem unrühmlichen sechsten Platz der Länder mit der höchsten Diskriminierung von trans* Frauen ein, dicht gefolgt von Belgien (67 Prozent), Irland (69 Prozent), Frankreich (70 Prozent), Italien (75 Prozent) und Portugal (77 Prozent). Unter nicht-binären Menschen berichteten sechs von zehn Personen von Diskriminierung – auch hier gehört Österreich vor Griechenland (61 Prozent), Bulgarien, der Slowakei und Serbien (allesamt 62 Prozent) zu den Schlusslichtern. Auch mehr als die Hälfte der intergeschlechtlichen Befragten hat Diskriminierung erlebt.
Die nackten Zahlen deuten bloß an, mit welchen Problemen trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen in einer Gesellschaft konfrontiert sind, die ihnen grundlegende Rechte verwehrt. Geschlechtliche Minderheiten sind weder „woke“ noch „Trend“, wie rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien gerne behaupten, sie sind schlicht Teil unserer Gesellschaft.
Die FPÖ sparte in einer Aussendung vom 20.09.2024 nicht mit Effekthascherei und sprach im Zusammenhang mit der Änderung des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes von einer „Abschaffung von Mann und Frau“. Schutzräume für Frauen und Mädchen würden durch die sprachliche Änderung im Bundesgesetz zerstört, die Stellung von Frauen in der Gesellschaft „massiv eingeschränkt“ und „jegliche Errungenschaft zur Gleichstellung von Mann und Frau“ vernichtet werden. All dies ist schlicht falsch. Wahr ist, dass es mit der Dienstrechtsnovelle vom September zu keiner Verschlechterung des Diskriminierungsschutzes von Frauen kam. Die im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz verankerten Maßnahmen zu Frauenförderung und der Diskriminierungsschutz von Frauen bleiben erhalten.
Ein politisches Klima, in dem geschlechtliche Minderheiten zur Zielscheibe von rechten Agitatoren werden, fördert mit Sicherheit nicht den Abbau von Diskriminierungen. Eine solide gesetzliche Grundlage, die umfassend vor Diskriminierung schützt, jedoch schon. Umso begrüßenswerter ist die rechtliche Klarstellung, die im Rahmen der Novellierung des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes getroffen wurde – ob unabsichtlich oder nicht. Die drohende Rücknahme dieser Verbesserung tut dem Diskriminierungsschutz nichts Gutes und sendet ein verheerendes Signal.
Paul Haller ist Co-Geschäftsführer des Klagsverbands zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern und Mitglied des OBDS.
Dieser Text erschien zuerst in der SIÖ – Fachzeitschrift für Soziale Arbeit in Österreich 4/2024.
Glossar (ohne Vollständigkeits- oder Allgemeingültigkeitsanspruch):
Geschlechtsidentität, auch: „psychisches Geschlecht“: beschreibt das innere Empfinden über die eigene Geschlechtlichkeit und die Identifikation damit. Die Geschlechtsidentität kann nicht „gewählt“ oder von außen geändert werden, jedoch im Laufe des Lebens fluide sein. Sie kann mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmen oder auch nicht.
Geschlechtsmerkmale, auch „körperliches Geschlecht“: beschreibt die körperliche Ebene von Geschlecht und umfasst Chromosomen, Hormone, Anatomie (Genitalien und Gonaden) sowie sekundäre Geschlechtsmerkmale, die sich in Pubertätsverläufen unterschiedlich ausbilden können.
Geschlechtsausdruck, auch „Geschlechtspräsentation“: beschreibt, wie Menschen ihre Geschlechtlichkeit nach außen zeigen, z.B. durch Kleidung, Verhalten, Accessoires, Frisur, Make-up und weitere Attribute.
Geschlechtseintrag, auch „juristisches Geschlecht“: beschreibt den rechtlichen Eintrag im Zentralen Personenstandregister (ZPR). In Österreich gibt es die Geschlechtseinträge „weiblich“, „männlich“, „divers“, „inter“, und „offen“. Die Erfassung des Geschlechtseintrages kann auch ausbleiben oder ersatzlos gestrichen werden, was durch „keine Angabe“ gekennzeichnet wird. Der Geschlechtseintrag kann geändert oder berichtigt werden, wobei ein selbstbestimmter, nicht-pathologisierender Zugang immer noch nicht sichergestellt ist.
Geschlechterrolle: beschreibt die gesellschaftlichen Erwartungen an Verhaltensweisen die für ein bestimmtes Geschlecht als typisch oder akzeptabel gelten und unterliegt einem zeitlichen und kulturellen Wandel.
Trans: Als trans bezeichnen sich Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Trans ist ein Begriff von vielen zur Beschreibung der Geschlechtsidentität und gleichzeitig ein Überbegriff für vielfältige geschlechtliche Selbstdefinitionen.
Trans* Frau: Als trans* Frauen bezeichnen sich Menschen, denen bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, die sich aber als Frauen identifizieren.
Trans* Mann: Als trans* Männer bezeichnen sich Menschen, denen bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde, die sich aber als Mann identifizieren.
Nicht-Binär: Als nicht-binär bezeichnen sich Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht oder nicht ausschließlich männlich oder weiblich ist.
Intergeschlechtlich: Als intergeschlechtlich oder inter* bezeichnen sich Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht den medizinischen oder gesellschaftlichen Normen von weiblich und männlich entsprechen. Intergeschlechtlichkeit ist ein Sammelbegriff und umfasst Menschen mit unterschiedlichen Variationen der Geschlechtsmerkmale. Viele intergeschlechtliche Menschen verstehen sich als Frau oder Mann, manche bezeichnen ihre Geschlechtsidentität als inter*/intergeschlechtlich, nicht-binär oder mit einem anderen selbst gewählten Begriff.
LGBTIQ*: Das Akronym stammt aus dem Englischen und steht für Lesbisch, Schwul (Gay), Bisexuell, Trans, Inter* und Queer. Der Asterisk oder Genderstern kommt aus der EDV und steht als Platzhalter für vielfältige Selbstbezeichnungen im Feld der geschlechtlichen Vielfalt.
Anmerkung zum Glossar: Begriffe und Definitionen sind nicht allgemeingültig und entwickeln sich stetig weiter. Menschen können unterschiedliche Bezeichnungen für sich nutzen oder unterschiedliche Verständnisse von den jeweiligen Begriffen haben. Im Sinne der Selbstbestimmung ist es wichtig, die Selbstbezeichnungen von Menschen zu respektieren und herrschende Deutungshoheiten kritisch zu hinterfragen. So wie Frau-sein oder Mann-sein individuell unterschiedlich erlebt wird, variiert auch das individuelle Erleben von trans*, intergeschlechtlichen oder nicht-binären Menschen von Person zu Person. Andere und weitere Definitionen finden Sie zum Beispiel im Queer Lexikon.