Binegativität macht krank

Die Gesundheitslage von LGBTIQ-Personen ist noch immer schlecht erforscht – jene von bisexuellen Frauen ganz besonders, weiß die Expertin Renate Baumgartner. Interview: Bettina Enzenhofer

Vorurteile über Bisexualität sind auf eine Bisexualität-Pride-Flagge geschrieben. Text in der Mitte: "Bi-Negativität", Vorurteile: "Bisexualität existiert nicht.", "Kannst du dich nicht entscheiden?", "Das ist nur eine Phase!", "Du bist eigentlich homo-/heterosexuell.", "Du willst nur Aufmerksamkeit!", "Du bist sicher untreu!"
Illustration: Christine Weidhofer

Bettina Enzenhofer: LGBTIQ-Personen sind in puncto Gesundheit auf vielen Ebenen mit Ungleichheiten konfrontiert. Sie erleben Barrieren beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, z. B. durch Diskriminierung seitens des Gesundheitspersonals, das wenig über die spezifischen Bedürfnisse von LGBTIQs weiß. Du hast dich in einer Studie mit Binegativität beschäftigt, also Diskriminierung, der bisexuelle Frauen ausgesetzt sind.

Renate Baumgartner: Lange Zeit wurde angenommen, dass lesbische Frauen gesundheitlich schlechter gestellt wären als heterosexuelle und dass bisexuelle Frauen sich irgendwo dazwischen befinden. Erst als man sich die Gruppen einzeln angesehen hat, wurde klar, dass bisexuelle Frauen in einigen Bereichen am schlechtesten dastehen – z. B. haben laut einer aktuellen US-Studie 46 Prozent der bisexuellen Frauen mittelschwere bis schwere psychische Belastungen. Bisexuelle Frauen sind vor allem mit binegativen Zuschreibungen der Untreue, Unzuverlässigkeit und Hypersexualisierung konfrontiert. Außerdem wird Bisexualität von vielen nicht als sexuelle Orientierung ernst genommen, à la: „Das ist nur eine Phase, irgendwann musst du dich entscheiden.“ Bisexuelle gelten innerhalb der LGBTIQ-Communitys als privilegiert, weil sie vermeintlich auch als heterosexuell durchgehen können. Bisexualität ist durch unsere monosexuelle Norm – man hat entweder heterosexuell oder homosexuell zu sein – vielen schwer verständlich. Da viele Wissenschaftler*innen ähnliche Vorurteile haben, wurde die Gesundheit bisexueller Frauen lange Zeit nicht erforscht. All dies führt dazu, dass bisexuelle Menschen wenige Orte haben, wo sie sich willkommen und verstanden fühlen, aber auch Wissen austauschen können. Sie trauen sich oft nicht in die LGBTIQ-Communitys, aber auch der Hetero-Mainstream ist, wie wir wissen, kein sicherer Ort für sie. Die generelle Unsichtbarmachung von Bisexualität macht es auch schwieriger, sich zu vernetzen. Es gibt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch nur wenige dezidierte Bi*Communitys. All dies wirkt sich auch auf die Gesundheit bisexueller Frauen aus.

Sie haben u. a. ein höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs, Sucht- und psychische Erkrankungen als heterosexuelle und lesbische Frauen. Wie lässt sich das erklären?

Die meisten Studien mutmaßen, dass bisexuelle Frauen von mehreren Seiten Diskriminierung und Marginalisierung erfahren – was Stress verursacht, der sich negativ auf die Gesundheit auswirkt – und auf wenig Rückhalt zurückgreifen können. Dass sie seltener geoutet sind, erschwert es zusätzlich, dass sie sich vernetzen. Das ist ein Nachteil, denn psychischer Stress könnte mit einem unterstützenden Netzwerk bzw. eigenen Bewältigungsmechanismen abgefangen werden. Es ist auch bekannt, dass sexuelle Minderheiten im Allgemeinen weniger oft zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Dies erhöht z. B. die Wahrscheinlichkeit, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken.

Ebenso sind bisexuelle Frauen weit häufiger von sexueller Gewalt betroffen als lesbische oder heterosexuelle Frauen. Warum?

Auch hier lässt sich nur mutmaßen. Die von bisexuellen Frauen erfahrene körperliche Gewalt geht meist von Männern aus. Gründe könnten sein, dass bisexuelle Frauen stark hypersexualisiert werden und ihnen Untreue vorgeworfen wird – was weder mit der Realität zu tun hat noch Gewalt rechtfertigt. Und bisexuelle Frauen haben wie schon erwähnt gesellschaftlich weniger Rückhalt. All dies schwächt ihre Position auch innerhalb von Partnerschaften.

Warum weiß man so wenig zu den Hintergründen dieser speziellen Risiken? 

Bisexualität wird, abgesehen von einigen wenigen Studien, einfach nicht mitgedacht, in den Frauengesundheitsberichten kommen bisexuelle Frauen in der Regel gar nicht vor. Expert*innen erkennen erst langsam die Relevanz des Themas. Da gibt es einen großen Unterschied zum wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs in Ländern mit jahrzehntelangem Bi*Aktivismus wie Großbritannien oder den USA.

Im Bi*Aktivismus wird „bisexuell“ als Überbegriff für nicht-monosexuelle oder plurisexuelle Identitäten verwendet bzw. um auszudrücken, mehr als ein Geschlecht zu begehren. Wie wird Bisexualität in der Gesundheitsforschung definiert, und ist hier Mehrfachdiskriminierung ein Thema? 

Die Gesundheitsforschung fragt üblicherweise nach der Selbstdefinition. Da heißt es etwa: „Wie würden Sie sich selbst beschreiben: als homosexuell, heterosexuell oder bisexuell?“ Nur wenige Studien unterscheiden noch mal spezifischer zwischen Selbstdefinition, Praxis, Partner*innenwahl und Fantasien. Die wenigen Studien zu Mehrfachdiskriminierung, z. B. zu Jugend und Alter, sprechen selten dezidiert über bisexuelle Personen, sondern fassen meist Daten von lesbischen und bisexuellen Frauen zusammen. Studien über Bisexualität und andere Arten der Mehrfachdiskriminierung fehlen noch grundsätzlich, wie etwa zu den Überschneidungen mit Dis_ability, Trans*, sozialer Herkunft oder Ethnizität.

Was müsste für die Gesundheit bisexueller Frauen getan werden? Was können Akteur*innen im Gesundheitswesen und politische Entscheidungsträger*innen, aber auch die LGBTIQ-Communitys tun? 

Es geht prinzipiell darum, bisexuelle Frauen und ihre Gesundheit ernst zu nehmen. Akteur*innen im Gesundheitswesen und politische Entscheidungsträger*innen sollten über spezifische gesundheitliche Herausforderungen bisexueller Frauen Bescheid wissen und diese in ihren Programmen mitbedenken. In den LGBTIQ-Communitys geht es darum, Binegativität innerhalb der eigenen Zusammenhänge zu sehen und einen Selbstreflexionsprozess anzuregen. Ein Anfang wäre, die Selbstdefinition bisexueller (und pansexueller, fluider usw.) Personen einfach mal anzuerkennen. Also ihnen nicht ständig ihre Selbstbezeichnungen abzusprechen oder infrage zu stellen, ob es so etwas wie Bisexualität überhaupt gibt. 

Renate Baumgartner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Zum Weiterlesen:
Bi*Aktivist*innen Shiri Eisner („Bi: Notes For A Bisexual Revolution“) und Robyn Ochs

Dieses Interview erschien zuerst in Missy Magazine 1/2019. Das Missy Magazine freut sich über Abos.

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