Tatort Kreißsaal

Die Geburt ist ein schmerzhafter Vorgang. Trotzdem ist es nicht in Ordnung, Gebärenden zusätzliche Schmerzen zu verursachen. Gewalt während der Geburt ist ein riesengroßes Tabu, Konsequenzen bleiben aus. Von Gabi Horak

Kreißsaal mit Bett, Schränken, Monitoren und Infusionsständer, eine Person liegt im Bett
Foto: george ruiz/Flickr – labor – the delivery room , CC BY 2.0

Schwangere empfinden es ja schon fast als normal, dass während der Untersuchung die Ärzt*innen ohne zu fragen ihre Hände in den Muttermund schieben. Und wenn sie schon drinnen sind, wird gleich ein bisschen gedehnt. Nicht, weil es ein Notfall wäre, es um Leben und Tod geht. Es beschleunigt das Ganze nur ein bisschen. Und es tut furchtbar weh. Dasselbe gilt für den Dammschnitt. Oft ohne Vorwarnung und erst Recht ohne Erlaubnis wird während der Presswehen mit einer Schere in die Genitalien geschnitten.
Eingriffe am Körper der Patient*innen ohne Vorbesprechung, ausdrückliche Erlaubnis oder Vorliegen eines Notfalls wären in anderen medizinischen Bereichen undenkbar. In der Geburtshilfe wird es nicht einmal problematisiert.

Gewalt in der Geburt ist frauenfeindliche Gewalt

„Sie verletzt die Menschenrechte der Gebärenden“, macht Christina Mundlos klar. Sie hat sich für ihr 2015 erschienenes Buch „Gewalt unter der Geburt“ sehr genau mit dem Thema beschäftigt und damit auch für einiges an Aufsehen im deutschsprachigen Raum gesorgt. „Keine Demokratie kann es sich leisten, massenhaft systematische, psychische und körperliche Gewalt zu dulden oder zu ignorieren“, schreibt sie. Doch genau das passiert. Gewalt im Kreißsaal ist „eins der letzten großen Tabus. Die Öffentlichkeit ist nicht darüber informiert, dass es diese Gewalt gibt, dass sie massenweise vorkommt und dass sie in den wenigsten Fällen geahndet wird.“

Die WHO schätzt, dass bei bis zu der Hälfte aller Geburten gewaltsame Übergriffe stattfinden. Und zahllose Expertinnen – Hebammen, Therapeutinnen, Ausbildnerinnen sowie Betroffene selbst – zeichnen dasselbe Bild: Übergriffe im Kreißsaal sind keine Ausnahme, sondern systemimmanent. „Wahrscheinlich hat jede Hebamme im Krankenhaus schon einmal Gewalt an einer Gebärenden miterlebt“, schreibt Hebamme Eva Schranz Anfang des Jahres in der „Österreichischen Hebammenzeitung“. „Gewalt aus Gedankenlosigkeit – anders kann ich das nicht nennen, gepaart mit Abgestumpftheit.“

Eine andere Hebamme, Tara Franke, wird in Mundlos’ Buch zitiert: „Es ist nicht üblich, die Frau vor jeglicher Untersuchung um Erlaubnis zu bitten und ein Nein zu akzeptieren. Frauen und Paare, die vom vorgesehenen Prozedere abweichen möchten, werden eher als Störfaktoren wahrgenommen.“

Ein Hauptgrund für die Gewalt, auch darin sind sich Expertinnen einig, ist die Unterfinanzierung der Geburtshilfe, der Mangel an Hebammen und die stressige Arbeitsplatzsituation. Und das sei wiederum Resultat einer „frauenfeindlichen Gesundheitspolitik“, so Mundlos. Hebammen betreuen in Spitälern mitunter bis zu sechs Geburten gleichzeitig, Ärzt*innen haben wenig Zeit. „Wenn Menschen unter Druck stehen, neigen sie eher dazu, übergriffig zu werden.“ Das ist „Arbeiten wie am Fließband“, schreibt Hebamme Eva Schranz und teilt den Befund auch für Österreich.

Endlich darüber reden

Das Tabu funktioniert auch deshalb so gut, weil die Betroffenen nicht darüber reden (können). „Mütter, die Gewalt unter der Geburt erlebt haben, schweigen fast immer vor allem aus einem Grund: aus Scham“, schreibt Christina Mundlos. Es sei dieselbe Scham, die alle Gewaltopfer verspüren. „Bei Gebärenden kommt noch hinzu, dass ihnen oft mit Unverständnis begegnet wird, wenn sie auch nur andeuten, dass ihre Geburtserfahrung kein erfüllendes Erlebnis war.“

Doch immer mehr Menschen brechen das Schweigen. Seit 2011 gibt es den „Roses Revolution Day“, der seit 2013 auch in Deutschland am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, begangen wird. An diesem Tag legen Frauen rosafarbene Rosen vor die Kreißsaaltür, hinter der ihnen Gewalt widerfahren ist. Meist still und anonym, manchmal mit Briefen, die das Erlebte schildern. In Sozialen Netzwerken werden die Erfahrungsberichte ebenfalls geteilt.

Die „Roses Revolution Austria“ ist seit Ende 2014 aktiv. Nina Piribauer ist eine von sechs Frauen, die versucht, die Vernetzung über Soziale Medien voranzutreiben. „Viele Frauen erkennen die Gewalt oft selbst nicht oder erst Jahre später“, sagt sie im an.schläge-Interview. „Wir werden von der Gesellschaft so geprägt, dass Geburt nun mal so ist, dass Übergriffe normal sind.“ Welche Möglichkeiten bleiben Betroffenen? Zunächst können sie vom Krankenhaus den Geburtsbericht anfordern, der dreißig Jahre lang aufgehoben werden muss. „Aber darin stehen oft falsche Dinge, oder es fehlt einiges“, sagt Piribauer. Nachdem das aber das einzige schriftliche Dokument ist, wird es mit der Beweisführung im Falle einer Klage schwierig. „Es ist trotzdem gut zu klagen, denn so wird es Thema und die Kliniken merken, dass nicht alles durchgeht.“ Das Tabu wankt und in Zukunft werde es mehr Klagen geben, ist sie überzeugt.

Sylvia Sedlak, Geschäftsführerin der Geburtsallianz Österreich, sieht das ähnlich: „Das Thema kommt an die Oberfläche.“ Derzeit melden sich jedes Monat betroffene Frauen, die sich beraten lassen wollen. „Früher hatten wir nie solche Anrufe.“ Das liegt auch daran, dass die Geburtsallianz selbst Flyer produziert hat und das Thema offensiv in die Öffentlichkeit bringt. Einige der betroffenen Frauen würden Beschwerdebriefe an die Spitäler schreiben, oft ohne Antwort und wenn, „sind es meist Reaktionen wie: Seien Sie froh, Sie haben ein gesundes Kind“. Auf Nachfrage bei der „Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft“ ließ diese ausrichten, dass „keine derartigen Fälle aufliegen“. Werden Täter*innen zur Rechenschaft gezogen? „Überhaupt nicht!“, sagt Sylvia Sedlak. „Das fällt alles unter medizinisch notwendig. Es gibt kaum Reflexion oder Änderung des Verhaltens.“ Für politisches Lobbying fehlen der NGO die Ressourcen. „Wir haben es einmal probiert, aber es hat sich niemand dafür interessiert.“

Strategien gegen die Gewalt

Sie wurde bewusstlos vor Schmerzen. Nach der Geburt war die Plazenta nicht von selber abgegangen, deshalb machte die Ärztin eine Ausschabung – ohne Betäubung. „Sie dachten, die PDA wirkt eh noch.“ Für Andrea Surek war die Geburt ihres ersten Kindes ein traumatisches Erlebnis. Schon vor der Kürettage ohne Narkose erlebte sie die diensthabende Ärztin als übergriffig und gewaltsam. Andrea Surek hat ihr Trauma überwunden, sich sogar für ein zweites Kind entschieden. Und noch mehr: Sie möchte etwas ändern. Zum einen organisiert sie monatliche Treffen für Betroffene in Wien.

Zum anderen hat Surek eine Ausbildung zur Doula gemacht. Das Konzept der Geburtsbegleiterin ist in Österreich noch eher unbekannt. Die Hoffnung: Wenn Frauen eine Doula dabei haben, dann können auch seltener gewalttätige Übergriffe passieren. „Die Doula kennt die Wünsche der Frau und kann sie in ihren Interessen unterstützen, auch in Situationen, wo die Gebärende und die Begleitperson überfordert sind.“ Auch die Hebamme Eva Schranz hat Strategien entwickelt, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Die meisten Frauen gebären unter ihrer Betreuung am Boden und nicht im Bett liegend. Ärzt*innen hätten ihrer Erfahrung nach „viel mehr den Drang sich einzumischen, wenn die Gebärende direkt vor ihnen auf dem Bett liegt und sie freie Sicht auf das Geschehen haben“.
Die Ausbildung des medizinischen Personals ist für die Lehrhebamme Renate Mitterhuber ein wesentlicher Angelpunkt im Kampf gegen Gewalt in der Geburt. Sie selbst bietet seit 15 Jahren Fortbildungen für Hebammen, Krankenpflegepersonal und Ärzt*innen an. Tatsächlich sitzen selten Ärzt*innen in ihren Kursen. Sie würden das Thema teilweise verleugnen, „das gibt es bei uns nicht“. Deshalb ist für Mitterhuber eine weitere Maßnahme unerlässlich: systematische Evaluierung. Jede Gebärende sollte die Möglichkeit haben, Feedback zu geben. Das müsse dann aber auch ernst genommen werden. „Ich wünsche mir, dass Spitäler mehr reflektieren.“

Dass Gewalt in der Geburt mehr und mehr in der Öffentlichkeit ankommt, sei gut, „aber solange sich in den Institutionen nichts bewegt, wird sich auch nichts ändern“. Die Einstellung „Hauptsache ein gesundes Kind“ sei ihr als Hebamme viel zu wenig. „Frauen sollten gestärkt aus einem Geburtserlebnis gehen und nicht geschwächt und erniedrigt.“

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge VII/2019.

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