Ja – nein – weiß nicht

Ab sofort gibt es auch in Österreich die kostenlose HPV-Impfung für 9- bis 11-Jährige. Gebärmutterhalskrebs ist damit aber noch lange nicht besiegt. Von Bettina Enzenhofer

Ein Kind bekommt eine HPV-Impfung
Foto: Gabriel Jabur/Agência Brasília/Flickr – Vacinação contra o HPV tem baixa adesão, CC BY 2.0

Es sind drei Buchstaben, an denen sich derzeit jahrzehntealte Kritikpunkte der Frauengesundheitsbewegung aktualisieren: HPV. Ein medizinisches Thema, das viele betrifft, bevorzugt aber nur an der weiblichen Bevölkerung und mit einem moralisierenden und heteronormativen Blick abgehandelt wird („je mehr Sexualpartner die Frauen haben, umso höher ist ihr Erkrankungsrisiko“), bei dem mangels Transparenz unklar ist, inwieweit die Pharmaindustrie lobbyiert, und bei dem auffällt, wie schlecht informiert die meisten sind. HPV ist die Abkürzung für humane Papillomviren. Eine rund 600 Euro teure Impfung immunisiert gegen manche der mitunter krebsauslösenden Viren. Neu sind pro- und contra-Stellungnahmen zur HPV-Impfung nicht, aber mit Februar – wenn Österreich als letztes EU-Land die Impfung für Kinder öffentlich finanziert – werden sich auch hierzulande viele Eltern die Frage stellen, ob sie ihr Kind impfen lassen sollen. Sätze wie zum Beispiel „manchmal steht nur eine Impfung zwischen Leben und Tod“(1) richten sich allerdings nicht nur an Kinder, sondern adressieren auch junge und erwachsene Frauen. Und die Tatsache, dass bei Frauen Gebärmutterhalskrebs die zweithäufigste Krebsart und dritthäufigste Krebstodesursache – wohlgemerkt: weltweit – ist, klingt alarmierend.

Infektion trotz Verhütung

Insgesamt gibt es über 120 verschiedene humane Papillomviren, etwa vierzig infizieren den Genitalbereich. Von ihnen werden mehr als ein Dutzend als „High-Risk“ klassifiziert, weil sie Krebsvorstufen und Karzinome verursachen können. Die anderen genitalen HP-Viren werden als „Low-Risk“ eingestuft – sie können lästige, aber harmlose Feigwarzen zur Folge haben. Eine Übertragung findet durch intimen Hautkontakt (etwa Geschlechtsverkehr) statt, wobei die Benutzung von Kon- und ­Femidomen zwar die Übertragungsgefahr verringert, eine Infektion aber trotzdem stattfinden kann. Achtzig bis neunzig Prozent aller sexuell aktiven Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens, und bei den meisten heilt die Infektion von selbst wieder ab. Halten sich die HP-Viren hartnäckig, so können sie zu Zellveränderungen und in seltenen Fällen im weiteren Verlauf zu Gebärmutterhalskrebs führen.

Im Globalen Norden tritt das Zervixkarzinom allerdings vergleichsweise selten auf, in Europa ist die Zahl schon seit den 1950er-Jahren rückläufig. 2011 erkrankten beispielsweise in Österreich insgesamt 17.769 Frauen neu an Krebs, 9.371 verstarben. Gebärmutterhalskrebs ist in der von Brust-, Lungen- und Darmkrebs angeführten Statistik weit abgeschlagen: Hierzulande bekamen 2011 392 Frauen die Diagnose, 153 starben am Zervixkarzinom. Von hundert Frauen, die 75 Jahre alt werden, wird in Österreich eine an diesem Krebs erkranken.

Die 35-jährige Maria ist trotz des vergleichsweise geringen Risikos beunruhigt: Letztes Jahr war ihr Krebsabstrich auffällig, ein High-Risk-HPV konnte nachgewiesen werden. „Zuvor hatte ich noch nie von HPV gehört“, sagt Maria, „meine Gynäkologin sagte, dass eine Operation anstünde, sofern das Virus nicht von selbst weggehe.“

Impfen gegen Krebs?

„Leben retten“, so heißt es aus dem Gesundheitsministerium, wolle man nun durch die Aufnahme der HPV-Impfung ins kostenlose Kinderimpfprogramm. Wer im September in die vierte Schulstufe kommt, also das neunte Lebensjahr vollendet hat, kann sich kostenlos zwei „Gardasil“-Teilimpfungen verabreichen lassen. Und während in den meisten anderen Ländern nur Mädchen geimpft werden, können in Österreich alle Schüler_innen dieser Altersklasse an der HPV-Immunisierung teilnehmen. „WissenschaftlerInnen sagen, dass die Übertragung auch durch Burschen stattfindet, deshalb ist es wichtig, die Impfung auch bei ihnen vorzunehmen“, sagt Gesundheitsminister Alois Stöger im an.schläge-Interview. Sektionschefin Pamela Rendi-Wagner ergänzt, dass neunzig Prozent der Anal- und Peniskarzinome mit HPV assoziiert seien, Burschen somit also auch einen direkten Schutz hätten. Für einen Herdenschutz(2) würden WissenschaftlerInnen mit einer Impfrate von etwa siebzig Prozent spekulieren – für Rendi-Wagner und Stöger ein „ambitioniertes Ziel“, das sie aber zumindest in der Alterskohorte zu erreichen glauben.

Doch selbst wenn ein Herdenschutz gegeben ist: „Gardasil“ immunisiert nur gegen zwei High- und zwei Low-Risk-HP-Viren (HPV 16 und 18 bzw. 6 und 11). HPV 16 und 18 werden für siebzig Prozent aller Gebärmutterhalskarzinome verantwortlich gemacht, HPV 6 und 11 für neunzig Prozent aller Genitalwarzen. Gegen alle anderen HP-Viren kann die Impfung nichts ausrichten, wenn auch eine gewisse Kreuzprotektion gegen andere HPV-Typen erwartet wird. Eine bereits bestehende HPV-Infektion wird durch die Impfung nicht beseitigt, weshalb sich Impfempfehlungen vorrangig an noch nicht sexuell Aktive richten.

Krebsvorsorge oder -früherkennung?

Frauengesundheitszentren sehen die HPV-Impfung schon seit Jahren kritisch. Für das Feministische FrauenGesundheitsZentrum (FFGZ) in Berlin ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis negativ, die Datenlage nicht ausreichend. Außerdem gebe es den PAP-Abstrich, der allerdings verbesserungsfähig sei. „Wichtig ist, sich nicht nur die Impfung anzusehen, sondern was sie bezwecken soll, nämlich die Reduktion von Gebärmutterhalskrebs. Ob das durch sie erreicht wird, wissen wir allerdings erst in einigen Jahrzehnten. Doch die Reduktion kann auch durch andere Maßnahmen erreicht werden, die aber nicht vermittelt werden“, sagt Cornelia Burgert vom FFGZ. Das sieht auch Sylvia Groth, die Leiterin des Grazer Frauengesundheitszentrums, so: „Der PAP-Abstrich ist, wie eine aktuelle Studie zeigt, mangelhaft. Aktuell sollen zwar alle Frauen einen PAP-Abstrich machen, sie können aber keine ausreichende Qualität erwarten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.“ Denn auch wenn die HPV-Impfung eine Krebsvorsorge- und der PAP-Abstrich eine Krebsfrüherkennungsmaßnahme ist, seien aus einem Public-Health-Standpunkt beide dazu geeignet, das eigentliche Ziel zu erreichen: weniger Zervixkarzinome.

Kosten-Nutzen-Rechnung

„Nur die Impfung einzuführen und das Screening unverändert zu belassen, ist nicht nur unverantwortlich für die betroffenen Frauen, sondern auch aus ökonomischen Gründen nicht akzeptabel“, resümierte auch Ingrid Zechmeister-Koss in einem Kommentar in der Tageszeitung „Der Standard“. Schon 2007 ergab eine von ihr geleitete Studie des Ludwig Boltzmann Instituts, dass unter „maximal optimistischen Annahmen“ mit der Impfung von zwölfjährigen Mädchen und Burschen bis zum Jahr 2060 im Jahresdurchschnitt nur etwa 71 Zervixkarzinom-Neuerkrankungen und 26 Todesfälle weniger zu erwarten wären. Die Studie resümiert mit verschiedenen Handlungsoptionen. Eine von ihnen ist die „Impfung unter verbessertem Preis-Leistungsverhältnis“. Das sei nun erreicht, sagt Alois Stöger. Welcher Preis für Bund, Länder und Sozialversicherung konkret verhandelt wurde, war allerdings auch im an.schläge-Interview nicht zu erfahren – nur, dass er „in der Größenordnung anderer Impfungen“ liege.

Informiert entscheiden

Für die individuelle Impfentscheidung sind aber ohnehin andere Fragen relevanter: Unklar ist etwa, wie lange die Impfwirkung anhält. Entsprechende Studien laufen erst seit neun Jahren; dass der Impfschutz länger besteht, ist zwar möglich, derzeit aber wissenschaftlich nicht gesichert. Hinsichtlich schwerer unerwünschter Wirkungen – in den vergangenen Jahren kam es zu einzelnen Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit der HPV-Impfung – heißt es heute, es könne kein kausaler Zusammenhang bestätigt werden.

Wichtig ist jedenfalls, was Frauengesundheitszentren seit jeher betonen: evidenzbasierte, umfassende, unabhängige Aufklärung über Nutzen und Schaden – das beinhaltet auch die Frage, was passiert, wenn man sich nicht impfen lässt, wie der natürliche Verlauf der Erkrankung aussieht und welche weiteren Möglichkeiten es gibt, Zellveränderungen vorzubeugen, erklärt Sylvia Groth. Doch die meisten Jugendlichen sind über HPV, Übertragungswege und die Folgen einer Infektion schlecht informiert.

Sonja ist 36. Bei ihr wurden vor längerer Zeit „sämtliche High- und Low-Risk-HPV“ nachgewiesen. Geimpft ist sie bis heute nicht, ihre Kinder möchte sie aber impfen lassen: „Impfungen halte ich dann für sinnvoll, wenn Krankheiten, die lebensbedrohlich oder mit einer hohen Sterbewahrscheinlichkeit einhergehen, ausgerottet werden können. Dennoch will ich jede einzelne Impfung genau unter die Lupe nehmen.“ Ausreichend aufgeklärt fühlt sich Sonja nicht. Auch Jasmin wird ihren Sohn impfen lassen, er soll kein HPV-Überträger sein. Birte ist 32, HPV-negativ und wird sich demnächst impfen lassen. Die 600 Euro sind für sie kein Thema, solange sie mit keinen schweren Impfschäden rechnen muss. Und Maria erfährt demnächst, ob ihr High-Risk-HPV noch nachweisbar ist. Geholfen hätte ihr die Impfung allerdings nichts: In ihren Zellen hat sich HPV 66 eingenistet – ein High-Risk-HPV, gegen den die HPV-Impfung nicht immunisiert.

Fußnoten:
(1) Motto der HPV-Kampagne der Österreichischen Gemeinschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie
(2) Bei der Herdenimmunität ist die Immunität innerhalb einer Population derart weit verbreitet, dass auch ungeimpfte Personen geschützt sind.

Weiterführende Informationen:
Feministisches Frauen­GesundheitsZentrum Berlin: clio 73. Erst die Infektion und dann? Erkrankungen und Stärkung des Unterleibs, 2011
Frauengesundheitszentrum, Graz: Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs/HPV-Impfung. Informationen und Erfahrungen. Eine Entscheidungshilfe, 2010 (PDF)
Frauengesundheitszentrum Kärnten: Orientierungshilfen zur HPV-Impfung

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge I/2014.

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