Mein Leben mit Morbus Crohn
Bauchschmerzen, Durchfall, und lange keine Diagnose. Was bedeutet es, mit einer chronischen Darmerkrankung zu leben? Katja Krüger über ihren Alltag zwischen Schub und Besserung – und über das letzte Tabu.
Morbus Crohn ist – genauso wie Colitis Ulcerosa – eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Ich habe bereits beide Diagnosen bekommen. Die Krankheiten sind sich sowohl in den Symptomen als auch in der Therapie ähnlich: Bauchschmerzen und Durchfall gehören zu den häufigsten Symptomen. Ist auch kein Wunder, wenn Teile des Darms entzündet sind. Oft kommen auch noch Fieber, Übelkeit und Erbrechen hinzu. Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, bei Kindern auch Wachstumsstörungen, können ebenfalls zu den Begleiterscheinungen zählen.
Die Ursache für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen ist nicht bekannt. Bisher konnte nicht nachgewiesen werden, ob genetische oder umweltbedingte Einflüsse in irgendeiner Form ausschlaggebend für die Erkrankung sind. Auch die Ernährung ist weitestgehend zu vernachlässigen, wenn es um Diagnose und Therapie geht: Eine „gesunde Diät“ lindert die Symptome nicht, geschweige denn würde eine spezielle Ernährungsweise meinen Morbus Crohn heilen, egal wie viele Instagram-Werbungen ich diesbezüglich erhalte.
Auch wenn Morbus Crohn eine chronische Krankheit ist, gibt es Phasen der Remission, in der die Beschwerden nachlassen, und Schubphasen. Die Symptome können mit der richtigen Therapie für extrem lange Zeit vollkommen verschwinden, manchmal passiert das sogar ohne Medikation. Die meiste Zeit allerdings nimmt man auch in Remissionsphasen Medikamente oder bekommt Infusionen, damit die Phase so lange wie möglich anhält. Ich bekomme derzeit einmal im Monat eine Infusion, bei der ich ambulant vier Stunden lang dem neuesten Gossip aus dem Gesundheitszentrum Mariahilf zuhöre – dafür brauche ich aber keinerlei Tabletten mehr.
Mein Weg zur Diagnose
Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. Die ersten Symptome hatte ich schon mit 16 Jahren. Ab und zu hatte ich Durchfall und hin und wieder Bauchschmerzen. Das ist doch ganz normal, dachte ich. Die Bauchschmerzen habe ich stoisch auf meine Menstruation zurückgeführt, ob ich nun meine Tage hatte oder nicht – Bauchschmerzen und Uterus gehören einfach zusammen. Und mit ein bisschen Durchfall wollte ich auch nicht zur Ärztin gehen, da war mein Leidensdruck einfach nicht groß genug.
Dass die Schmerzen immer schlimmer wurden und der Durchfall immer häufiger kam, nahm ich jahrelang in Kauf. Schließlich hatte ich immer noch einen Uterus und Durchfall kann so viele Ursachen haben. Bestimmt ernähre ich mich nur falsch! Als ich mit 22 Jahren eine Blasenentzündung hatte und bei meiner Ärztin vorstellig wurde, sprach ich den Durchfall an. Sie schickte mich zum Ultraschall, doch dieser zeigte keine Abnormalitäten. Für die Ärztin war das Thema somit gegessen und ich war weiterhin bestärkt in meiner Annahme, dass Durchfall und Bauchschmerzen eben doch sehr normal sind und zu meinem Leben einfach dazugehören.
Bis ich endlich meine Diagnose bekam, sollte es noch zwei weitere Jahre dauern. Durch den stets präsenten Durchfall bekam ich eines Tages Hämorrhoiden und dachte im ersten Moment, ich hätte den sagenumwobenen „Blut im Stuhl“. Letztendlich war es nur Blut auf dem Stuhl und schnell wieder behoben, aber mein Arzt schickte mich dennoch zum Ultraschall. Wider Erwarten bekam ich bei diesem zweiten Ultraschall die lang ersehnte Diagnose – Morbus Crohn. Für die meisten Menschen scheint es unlogisch, sich über die Diagnose einer chronischen Krankheit zu freuen. Nach so langer Zeit der Ungewissheit war es für mich allerdings eine große Erleichterung. Denn mit einer Diagnose kann man endlich auch eine Therapie beginnen.
Alltag zwischen Schub und Remission
Ich bekam Mesalazin verschrieben – das gängigste „Einstiegsmedikament“ für Morbus Crohn – und war binnen kürzester Zeit wieder symptomfrei, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Ich fühlte mich absolut fantastisch und war eine riesige Sorge in meinem Leben los, zumindest vorerst. Das Konzept „Chronische Krankheit“ erhielt in meinem Kopf immer wieder neue Bedeutungen, ich durchlebte verschiedene Phasen der Erkenntnis, was es bedeutet, mit einer chronischen Krankheit zu leben.
Die sehr furchtbare erste Zeit der Unkenntnis – auch der Ärzt*innen – hatte ich nun schon hinter mir. Mit meinen eigenen Symptomen kannte ich mich nun bereits aus und hatte auch schon die richtige Medikation gefunden. Doch der Weg, gemeinsam mit der Krankheit durchs Leben zu gehen, hatte gerade erst begonnen. Auch wenn man sich in einer Remissionsphase befindet, bleibt immer die Angst, dass jederzeit ein Schub kommen kann. Und tatsächlich bekam ich kurze Zeit später, noch mitten in der symptomfreien Remissionsphase, die Diagnose einer Depression.
Ein Viertel aller Menschen mit chronischen Krankheiten und/oder einer Behinderung haben mindestens einmal im Leben eine Depression. Der Alltag der meisten chronisch kranken Personen ist nachhaltig und mehr oder weniger schwerwiegend durch die Krankheit beeinflusst oder beeinträchtigt. Selbst in Zeiten, in denen die Symptome in den Hintergrund rücken, ist der Kopf noch mit dem Thema beschäftigt. Denn eine chronische Krankheit bleibt für immer. Jede Entscheidung im Leben und jeder Gedanke an die Zukunft ist mit der Krankheit gemeinsam zu denken. Wenn man das vernachlässigt, könnte eine neue und ungewohnte Situation Stress auslösen und der eigene Zustand verschlechtert sich – Stress verschlechtert bei den allermeisten chronischen Krankheiten den Zustand.
Was außerdem extrem nervt: Morbus Crohn ist eine unsichtbare Krankheit. Manchmal wünsche ich mir, man könnte meinen körperlichen Zustand von außen sehen, damit ich weniger erklären müsste, damit andere mehr Rücksicht nehmen, weniger Fragen stellen, mehr Unterstützung anbieten. Aber ich sehe so gesund aus wie die meisten anderen Menschen auf der Straße und sie sehen aus wie ich. Gehe ich wiederum ins Spital oder in die Ambulanz, kann es passieren, dass mir nicht sofort geglaubt wird, wenn ich mich zur Infusion anmelde oder ein Rezept für Antidepressiva hole: „Sie sehen so fröhlich aus!“ Ja, das habe ich wortwörtlich von einem Psychiater gehört, der die Urlaubsvertretung meiner Ärztin war. Eine Frau Mitte 20 mit bunter Kleidung ernst zu nehmen, ist für viele Männer, Arzt oder nicht, sehr schwer bis unmöglich. Das habe ich gelernt.
Das große Tabu
Jetzt kommt ein spezieller Teil der Geschichte, auf den man nicht vorbereitet werden kann, egal wie viel man über eine Krankheit vorab liest. Das letzte Tabu für viele – vor allem für Frauen, weil Frauenkörper immer gepflegt, schick, herzeigbar und normschön sein müssen. Hier kommt’s: Mit Morbus Crohn scheißt man sich in die Hose. Vielleicht nicht oft, vielleicht nicht öffentlich, vielleicht nur allein zuhause, einmal. Ich wünschte, ich hätte irgendjemanden gehabt, mit dem ich darüber hätte sprechen können, aber nicht einmal mit meinen engsten Freund*innen konnte ich über dieses Thema reden. Sich unkontrolliert einzukoten ist als erwachsene Person unheimlich schambehaftet. Egal wie oft man einem Baby die Windel wechselt oder das Katzenklo saubermacht, die Kontrolle über seinen eigenen Anus zu verlieren, ist eine furchtbare Erfahrung. Es wird auch mit der Zeit nicht unbedingt leichter zu ertragen. Für Menschen mit chronischer Darmentzündung ist es aber „normal“, es kommt einfach vor. Stuhlgang ist in der westlichen Welt eines der Themen, die lediglich in extremen Ausnahmen offen besprochen werden, zum Beispiel mit medizinischem Personal.
Daher tut es mir richtig gut, nach so langen Jahren endlich in einem Text vor einer Vielzahl Menschen zu erzählen: Ich habe mir schon oft in die Hose geschissen und ich habe mich unglaublich dafür geschämt. Selbst, wenn ich ganz alleine zuhause war, habe ich deswegen geweint, mich drei Tage lang extrem dreckig (!) gefühlt und nicht die Wohnung verlassen. Einmal ist es mir direkt vor meinem Freund passiert, mit dem ich noch nicht sehr lang zusammen war. Sofort versteckte ich mich heulend im Badezimmer und sah unsere Beziehung vor meinen Augen zerbrechen, stattdessen aber half er mir, meine Kleidung in die Waschmaschine zu geben und tröstete mich in einer Art und Weise, die ich noch nie zuvor erlebt habe. Und solche Geschichten gibt es auch, die herzerwärmenden Momente, die einem die Hoffnung zurückgeben, dass es Empathie und Verständnis überall gibt und man mit dem richtigen Umfeld alles viel leichter ertragen kann.
Und damit möchte ich meine kurze Geschichte auch beenden. Morbus Crohn kann eine große Einschränkung im Leben bedeuten, aber genauso kann es zu einer kleinen Randnotiz im Alltag werden. Egal, in welcher Phase man sich gerade befindet, das Wissen, dass man nicht allein mit der Krankheit ist, hilft am meisten.
Katja Krüger lebt mit Freund und zwei Katzen in Wien, wo sie im 15. Bezirk einen feministischen Geschenkwarenladen führt: www.metaware.wien