Queersensible Geburtshilfe
Stillberatung für trans Frauen, barrierefreie Räume, Sensibilität für unterschiedliche Bedürfnisse: Laura Warria ist Hebamme in Wien und hat Sara Ablinger im Interview erzählt, wie wichtig ein Safer Space in der Geburtshilfe ist.
Sara Ablinger: Laura, wie bist du zur Geburtshilfe gekommen?
Laura Warria: Ich bin seit zwei Jahren Hebamme. Ich habe ursprünglich Soziologie und Gender Studies studiert und bin über die Gender Studies auf die Hebammenausbildung gestoßen. Bereits während der Ausbildung war ich unsicher, wie ich arbeiten will. Ein Artikel über das queer-feministische Hebammenkollektiv in Berlin hat mich später dazu inspiriert, mich selbstständig zu machen. Ich habe ein halbes Jahr im Krankenhaus gearbeitet, das war aber ganz, ganz schlimm für mich. Das war überhaupt nicht meine Arbeitsweise. Danach habe ich mich selbstständig gemacht.
S.A.: Du bietest seit 2022 gemeinsam mit Martha Kuderer Geburtsvorbereitungskurse für queere und trans Personen in Wien an. Wie ist es dazu gekommen?
L.W.: Vorletztes Jahr habe ich Martha Kuderer kennengelernt, die beim Hebammenkollektiv in Berlin ein Praktikum gemacht hat und einen Kurs für queere und trans Personen anbieten wollte. Wir haben die ersten Kurse bereits im Hebammenzentrum Wien angeboten, beim ersten waren fünf Personen dabei – eine Einzelperson und eine Vierer-Konstellation. Wir werden dort regelmäßig Geburtsvorbereitungskurse anbieten.
S.A.: Wie kann eine Hebamme, wie du es bist, queere Menschen in ihren Schwangerschaften und Geburtsprozessen empowern?
L.W.: Der Kurs ist ein Wochenendkurs und ausschließlich für queere und trans Personen. Die Räumlichkeiten sind barrierefrei. Inhaltlich ist es mehr oder weniger dasselbe wie bei einem anderen Kurs, aber es ist einfach ein Safer Space, in dem die Atmosphäre unaufgeregt ist. Es ist, glaube ich, wertvoll für die Menschen, dass sie sich nicht erklären müssen. Es wird nicht misgendert, was ja viele im Gesundheitssystem nicht hinkriegen oder hinkriegen wollen, und es wird einiges geschlechtsneutraler formuliert. Es schafft ein anderes Vertrauen, wenn eins weiß, die Person ist auch ähnlich verortet. Ich versuche mich auch mit Dingen auseinanderzusetzen, die für queere und trans Personen wichtig sein könnten, sodass ich zum Beispiel eine transfeminine Person, die stillen möchte, beraten kann.
S.A.: Ich habe vorhin verstanden, dass ihr in einem Kurs eine Vierer-Konstellation hattet. Heißt das, ihr seid auch offen für alternative oder polyamore Konstellationen?
L.W.: Unbedingt. Es ist eine ähnliche Problematik, wie wenn man trans ist. Die Leute in der Geburtshilfe wissen nicht, was sie damit anfangen sollen, weil das System auf cis und heterosexuelle Zweierkonstellationen ausgerichtet ist. Das ist der Grund, warum wir bei unseren Kursen für Begleitpersonen einen reduzierten Preis haben. Für größere Konstellationen wäre das sonst sehr, sehr teuer und so können alle relevanten Personen mitkommen. Das kann ein Poly-Setting sein oder auch eine Schwangere, die über Samenspende schwanger geworden ist und eine Freundin im Kurs und bei der Geburt dabeihaben möchte. Außerdem sind wir selbstverständlich offen für Persönliche Assistenz oder Gebärdensprachdolmetscher*innen. Das Thema ist mir auch ein persönliches Anliegen, weil ich auch poly lebe.
S.A.: Hast du oder habt ihr die Ambition ein queer-feministisches Hebammenkollektiv wie in Berlin oder Hamburg in Wien aufzuziehen?
L.W.: Eigentlich ja. Es gibt einige Kolleg*innen, mit denen wir etwas zusammen machen wollen. Ich würde gerne auch Hausgeburten mit einem guten Team betreuen, alleine ist das schwer machbar. Ich konnte auch zum Beispiel einem Elternpaar, wo beide trans waren, keine Hebamme für eine Hausgeburt empfehlen. Das ist echt schwierig.
S.A.: Welche Betreuung bietest du derzeit an?
L.W.: Ich mache Vor- und Nachbetreuung und Kurse.Meistens sieht man sich das erste Mal zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche. Da ist das sogenannte Mutter-Kind-Pass-Gespräch, das vollständig von der Krankenkasse übernommen wird. Deshalb finde ich das auch gut, wenn man das als Kennenlern-Termin nimmt. Und dann kommt es darauf an, welche Begleitung die Person möchte. Ich habe zum Beispiel eine Klientin, die sich sehr früh bei mir gemeldet hat und eine engere Betreuung möchte. Andere wiederum verbleiben mit mir so, dass sie sich melden, wenn das Kind da ist. Das Problem ist, dass die Krankenkasse sehr wenig übernimmt. Nur wenn eine ambulante Geburt geplant ist, übernehmen sie zwei Hausbesuche in der Schwangerschaft, bei einer Krankenhausgeburt einen Hausbesuch ab der 32. Schwangerschaftswoche. Ich bin Wahlhebamme, das heißt meine Klient*innen zahlen den Besuch privat und die Kasse erstattet einen Teilbetrag zurück. Die Geburt selbst wird, wenn es eine Krankenhausgeburt ist, komplett oder bei einer Hausgeburt zum Teil übernommen. Aber wenn jemand die eigene Hebamme mit ins Spital nimmt, zahlt die Krankenkasse leider nichts.
Nach der Geburt sind es 13 Besuche innerhalb von acht Wochen. Die ersten fünf Tage nach der Geburt komme ich täglich. Die Leute schreiben mir, wenn das Kind da ist, und dann machen wir uns etwas aus für die Tage, sobald sie zu Hause sind.
Die Nachsorge bedeutet, vorerst einmal die Lage und Befindlichkeit abzuchecken. Es gibt meistens viele Fragen und Unsicherheiten. Dann gibt es Routineuntersuchungen der Person, die das Kind geboren hat. Ich untersuche also die Uterusrückbildung, die Blutung, die Nähte, Blutdruck, Temperatur, ob die Brust geschwollen ist oder ob es zum Milcheinschuss gekommen ist. Und dann schaue ich mir das Kind an, lege es auf die Waage, schaue mir Haut und Nabel an, checke die Temperatur, wenn eine Infektionsgefahr besteht. Viele brauchen Hilfe beim Stillen, da unterstütze ich natürlich auch.
S.A.: Was sind die nicht so schönen Facetten der Geburtsbegleitung, die du erlebt hast?
L.W.: Es ist eine Glückssache, ob du queerfreundliche Hebammen oder Ärzt*innen bekommst. Das ist auch das Problem, weil man nicht weiß, was oder wer auf eine*n zukommt. Der Geburtsvorgang selbst ist ein Prozess, wo oft Druck gemacht wird und es einen gewissen Zeitrahmen gibt, in dem der Geburtsvorgang beendet werden soll.
Ich habe unter Kolleg*innen Privatgespräche erlebt, die rassistisch, homo- oder transphob waren. Das war auch einer der Kündigungsgründe damals. Ich habe allerdings selbst keine problematischen Situationen oder Gewalt im Kontext von Geschlecht und Queerness erlebt. Wenn ich gewaltvolle Situationen erlebt habe, dann waren sie allgemein auf die Geburt bezogen. Ich habe viel Rassismus erlebt. Das wird vielen Menschen nicht direkt gesagt, vieles wird hintenrum gesprochen.
S.A.: Was ist das ideale Setting einer Geburt in deinen Augen – für dich und für eine gebärende Person?
L.W.: Für meine Arbeit wäre eine Hausgeburt oder ein inklusives Geburtshaus mit queerem Fokus, wo es Zeit und Ruhe gibt, ideal. Für die Gebärenden selbst ist es sehr individuell. Für eine ängstliche Person zum Beispiel ist eine Hausgeburt nicht unbedingt eine gute Wahl. Wenn sie im Krankenhaus ist, hat sie das Gefühl, gut aufgehoben zu sein und das entspannt sie mehr als zu Hause zu sein.
Mehr über Laura Warria: https://www.hebammenzentrum.at/warria-laura
Geburtsvorbereitungskurse für Queers:
Österreich:
Wien, 19.–21.5.2023: Geburtsvorbereitungskurs für Queers und Trans* mit Laura Warria (BPoC, nonbinary, Pronomen: sie*/they) und Martha Kuderer (weiß, cis, ally, Pronomen: sie) im Hebammenzentrum Wien
Herbst/Wintertermine:
September im Regenbogenfamilienzentrum Wien
Dezember im Hebammenzentrum Wien
Deutschland:
Berlin, 10.–11.6.2023: Geburtsvorbereitungskurs für Queers beim Queerfeministischen Hebammen*kollektiv Cocoon
Hamburg, 17.–18.6.2023: Geburtsvorbereitungskurs für queere werdende Eltern beim Hebammen*kollektiv Hamburg
Sara Ablinger von Big Body Love ist Bodyworkerin und Workshopleiterin in Wien und Europa. Sara bietet Massagen, sinnlich-erotische Körperrituale und Workshops zu den Themen Bodypositivity, Radical Self-Care, Konsens und Kommunikation, Intimität und Sexualität an. Sie schafft Räume für Empowerment und Authentizität, Sinnlichkeit und Lust, oft mit einem Schwerpunkt auf marginalisierte wie queere, dicke und behinderte Körper.