„Auch schwanger hast du das Recht, schmerzfrei zu sein“
Ana Wetherall-Grujić hat ein Handbuch für die glückliche Mutter geschrieben. In „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ räumt sie mit misogynen Mythen auf und liefert eine feministische Kampfansage mit: „So wie bisher kann es nicht weitergehen!“ Interview: Brigitte Theißl
Brigitte Theißl: „Hier steht die Mutter im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu den vielen Büchern, die danach fragen, was das Beste für das Kind ist“, schreibst du im Vorwort zu „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“. Hat dich diese Perspektive Überwindung gekostet?
Ana Wetherall-Grujić: Durchaus, ich will schließlich auch das Beste für mein Kind. Aber mir ist schon in der Schwangerschaft aufgefallen, dass viele Menschen nur das Kind im Blick hatten und mich in den Hintergrund gedrängt haben. Diese Botschaft vermittelt dir die Gesellschaft: Das Baby hat immer Vorrang, die Mutter steht an zweiter Stelle. Als Mutter, als schwangere Person wirst du deshalb enorm unter Druck gesetzt. Deshalb war es eine Überwindung für mich, diesen Perspektivenwechsel auszuformulieren.
B.T.: Du schreibst, dass Schwangerschafts-Ratgeber Frauen zu Rabenmüttern machen, bevor sie überhaupt ein Kind zur Welt gebracht haben.
A.W.G.: Die Ratgeberindustrie gibt enorm viele Regeln vor. Darum werden sie ja auch von so vielen Menschen gekauft. De facto gibt es aber wenige wissenschaftlich gesicherte Verhaltensregeln. Ärzt*innen werden dir sagen: Rauch nicht, trink keinen Alkohol, konsumiere keine Drogen. Schwangerschaftsratgeber aber sind richtige Wälzer. Du bekommst das Gefühl, dass du keinen Schritt tun kannst, ohne über die möglichen Folgen für dein Kind nachzudenken. Das durchgehende Motiv in diesen Büchern ist: Es sind eh nur neun Monate, also tu, was wir dir sagen und hinterfrage das nicht. Färb dir nicht die Haare, lackier dir nicht die Nägel, kauf nur noch bio und regional – denn du willst ja das Beste für dein Kind. Wenn du doch gegen diese Regeln verstößt, dann bist du eine Rabenmutter. Das ist in sich frauenfeindlich.
B.T.: Viele Schwangere schildern, dass sie sich bei Ärzt*innen nicht ernst genommen fühlen, dass sie plötzlich nur noch ein schwangerer Körper sind. Du erzählst im Buch von deiner Hausärztin, die Schwangeren grundsätzlich keine Schmerzmittel verschreibt. Wird von Schwangeren erwartet, dass sie leiden müssen?
A.W.G.: Leiden in der Schwangerschaft wird normalisiert, Übelkeit und Unwohlsein zum Beispiel gehören einfach dazu. Besonders drastisch ist das bei der Geburt. Eine „normale“ Geburt ist eine vaginale Geburt und das heißt wiederum, ein Kind unter großen Schmerzen zu gebären. Und niemand stellt die Frage: Warum eigentlich? Für mich hat die Vorstellung einer vaginalen Geburt etwas von einem Iron-Man-Lauf, es ist eine körperliche Extremleistung. Wir aber haben sie zur Normalität erklärt. Alles, was weniger schmerzhaft ist, wird als bequem oder selbstsüchtig gelabelt. Der geplante Kaiserschnitt ist der Marker für die selbstsüchtige Mutter schlechthin. Krankenhäuser rühmen sich sogar damit, keine Wunschkaiserschnitte anzubieten. Sie verweigern werdenden Müttern also, auf ihre Wünsche einzugehen und prahlen auch noch damit.
B.T.: Du beschreibst sehr gut, wie verlockend es sein kann, esoterische oder alternativmedizinische Angebote in Anspruch zu nehmen, weil dort Menschen sind, die einem zuhören. Wo sieht du die größten Baustellen im österreichischen Gesundheitssystem bei der Betreuung von Schwangeren?
A.W.G.: Wir haben in Österreich eine Reihe von Standarduntersuchungen, die ich gut finde. Einzelne Untersuchungen kosten aber sehr viel Geld. Pränataldiagnostik müssen wir auf jeden Fall unter ethischen Gesichtspunkten diskutieren, aktuell entscheidet aber das Geld, nicht die Moral. Die regelmäßigen Untersuchungen für die Mutter hören außerdem auf, sobald das Kind da ist. Ich hatte einen Kaiserschnitt und sechs Wochen danach noch eine Kontrolluntersuchung bei meiner Frauenärztin – danach ist Schluss. Das hat mich überrascht, immerhin hatte ich eine schwere Bauchoperation hinter mir. Insgesamt fehlt es an verlässlicher Information. Warum kann man Gebärenden nicht von staatlicher Seite einen Ratgeber in die Hand geben, der die wichtigsten Fragen zu Schwangerschaft und Geburt beantwortet? Und zwar ausschließlich anhand wissenschaftlich gesicherter Informationen. Die große Unsicherheit von Schwangeren bietet ein riesiges Einfallstor für Esoterik. Auch Hebammen zum Beispiel empfehlen Bachblüten oder Heublütendampfbäder. Mich hat das richtig wütend gemacht. Ich stehe vor dieser riesigen körperlichen Herausforderung, ein Kind auf die Welt zu bringen, und alles, was ich bekomme, sind Aromabäder?
B.T.: Die vaginale Geburt gilt immer noch als die „bessere Geburt“, du hast dein Kind per Kaiserschnitt geboren. Was bedeutet für dich Selbstbestimmung bei der Geburt?
A.W.G.: Zuallererst heißt das für mich, mit offenen Karten zu spielen. Wir müssen Gebärende sachlich informieren: Hier sind die Statistiken, das ist der aktuelle Stand der Wissenschaft, das sind die Risiken. Zum Kaiserschnitt findet man bei einer Internetrecherche mehr Meinung als Fakten. Wie bei anderen Eingriffen auch besteht das Risiko von Thrombosen und Infektionen. Ein Kaiserschnitt heißt aber nicht, dass dein Kind eine gestörte Beziehung zu dir haben wird. Erst im Nachhinein, habe ich mit etwas Abstand realisiert, wie absurd diese Mythen rund um den Kaiserschnitt sind. Wie bitte soll der Moment der Geburt die Beziehung zwischen mir und meinem Kind für den Rest des Lebens definieren?
Schwangere bräuchten also eine möglichst wertfreie Aufklärung über die vaginale Geburt und den Kaiserschnitt. Auch eine vaginale Geburt hat Risiken, aber hier heißt es immer: Dein Körper ist dafür gemacht! Der Kaiserschnitt wiederum wird einerseits als schwere Operation bezeichnet, andererseits machst du es dir aber leicht, wenn du dich freiwillig dafür entscheidest. Sich einen geplanten Kaiserschnitt zu wünschen, ist absolut legitim. Ich kenne auch keine einzige Frau, die vorab zu einem Kaiserschnitt gedrängt wurde, wie das gerne verbreitet wird. Es gibt Notkaiserschnitte, die dramatische Erlebnisse sein können, aber das ist etwas ganz anderes als ein Wunschkaiserschnitt. Mich ärgert es enorm, dass die Geburt 2023 immer noch so geframt ist: Sie muss wehtun, du musst leiden und deinem Kind später davon erzählen können, wie du tagelang in den Wehen gelegen bist.
B.T.: Du beschreibst in deinem Buch sehr gut, wie viele Mythen rund um Schwangerschaft und Geburt existieren und wie Schwangere in Foren verzweifelt danach fragen, ob sie ihr Kind verlieren werden, weil sie eine Praline mit Alkohol gegessen haben. Werdende Eltern müssten sich so viele Informationen selbst erarbeiten. Warum sind Informationen zu Schwangerschaft und Geburt noch immer eine Art Geheimwissen, obwohl doch so viele Menschen davon betroffen sind?
A.W.G.: Die einfache Antwort wäre wohl: Das liegt am Patriarchat. Das spielt auch auf jeden Fall eine Rolle, aber ich denke es ist komplizierter. Das gesamte Thema ist einer Tabuzone, es betrifft die Genitalien, es betrifft meistens unsere Sexualität. Und in den allermeisten Fällen auch noch Frauen. Es gibt ja diesen Running Gag: Wenn cis Männer schwanger werden könnten, würde es an jeder Tankstelle Abtreibung und die Anti-Baby-Pille geben. Eine Frau hingegen ist schon Mutter, bevor sie ein Kind hat, sie steht auf einem Podest und ihre menschlichen Probleme interessieren uns nicht. Wer spricht schon über Hämorrhoiden in der Schwangerschaft, die für viele ein Problem sind? Das Ganze als „Frauensache“ abzustempeln, über die wir nicht öffentlich sprechen, ist bequem – denn dann müssen wir ja auch nichts gegen Missstände unternehmen.
„Schwangerschaft ist keine Krankheit“ war ein berechtigter feministischer Slogan, um sich Selbstbestimmung über den Körper zurückzuholen. Zugleich ist die Schwangerschaft aber auch eine herausfordernde Phase, und Menschen sollen wissen, was das bedeutet. Durch dieses Mantra, dass Schwangerschaft mit Leid verbunden ist, wird jeder ernste Schmerz Teil der Schwangerschaft-Erfahrung. Das muss nicht so sein. Auch wenn du schwanger bist, hast du das Recht, schmerzfrei zu sein, ohne Beschwerden zu leben. Das muss unser Ziel sein.
B.T.: Viele Anstrengungen, die Mutterschaft bzw. Elternschaft mit sich bringen, werden privatisiert. Ähnlich gilt das auch für Menschen, die Angehörige pflegen oder chronische Erkrankungen haben. Was würde für dich eine Care Revolution bedeuten, die Feminist*innen einfordern?
A.W.G.: Für mich persönlich war eine zentrale Erkenntnis, wie ignorant ich eigentlich war, bevor ich selbst ein Kind bekommen habe. Ich dachte immer, ich wäre so wahnsinnig reflektiert und wüsste ganz genau, wie schwierig es ist für Menschen, die Care-Arbeit leisten, die Menschen pflegen, die gebären. Jetzt habe ich ein Kind und sehe, dass das noch mal ganz was anderes ist, tatsächlich betroffen zu sein. Anfangs war ich total überfordert, ich hatte das Gefühl, nichts geregelt zu kriegen. Aber dann habe ich realisiert: In diesem Boot sitze ich nicht alleine, wir sind viele. Das war der Gamechanger für mich.
Care-Arbeit wird gesellschaftlich unsichtbar gemacht, sie stört in unserer Leistungsgesellschaft. Aber Care-Arbeit ist etwas, das du nicht einfach wegmanagen kannst. Du kriegst sie nicht mit einer To-Do-Liste in den Griff. Sie zeigt uns vielmehr, dass wir in einer Gesellschaft aufeinander angewiesen sind. Es braucht Solidarität.
Fun Fact übrigens: Ich wollte mich näher mit der Care-Revolution beschäftigen und habe es nicht geschafft, weil ich mich um mein Kind kümmern musste. An den Reaktionen zu meinem Buch merke ich, dass vor allem Frauen sich dem Thema widmen. Frauen, die ein Kind wollen oder planen oder Frauen, die gute Freundinnen sein wollen. Wir müssen uns aber alle mit Care-Arbeit beschäftigen, es ist ein brennendes Thema, das uns alle betrifft.
„Das Baby ist nicht das verdammte Problem“, Kremayr & Scheriau 2023