Covid ist nicht vorbei

Zu Beginn der Corona-Pandemie rückte die Gesellschaft zusammen, vier Jahre später wird die Gefahr verleugnet – obwohl die Pandemie ein gefährliches „Mass Disabling Event“ ist. Von Kirsten Achtelik

Eine Türschnalle, an der eine FFP2-Maske und ein Schlüsselbund hängen.
Foto: Silke / Unsplash

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist die Zusammenfassung von einem Text über Corona, Long Covid und fehlende Schutz-Maßnahmen. Kirsten Achtelik hat den Text geschrieben. Kirsten Achtelik ist Journalist*in und beschäftigt sich mit Behinderung und Inklusion.
Vor 4 Jahren hat die Corona-Pandemie begonnen. Vieles war schwierig für die Menschen. Aber es gab auch positive Entwicklungen: Menschen haben aufeinander Rücksicht genommen. Vieles war von Zuhause möglich, zum Beispiel an Veranstaltungen teilnehmen. Manche konnten auch zuhause arbeiten. Dadurch gab es mehr Barrierefreiheit. Es gab auch viele verpflichtende Maßnahmen zum Infektions-Schutz.
Heute gibt es diese Maßnahmen nicht mehr. Viele Menschen sagen: Corona ist vorbei. Aber Corona ist noch immer ein weltweites Problem. Alle Menschen können sich mit dem Coronavirus anstecken. 1 von 10 Personen hat nach einer Corona-Infektion langanhaltende Folgen. Man nennt das: Long Covid. Long Covid kann jeden Menschen treffen. Mit schwerem Long Covid ändert sich das Leben. Man kann nicht mehr arbeiten oder alltägliche Dinge machen. Es gibt zu wenig Anlaufstellen für Long Covid und zu wenig Wissen. Die Behandlung von Long Covid ist schwierig.
Wegen Corona gibt es weltweit immer mehr Krankheiten und Behinderungen. Dadurch sind immer mehr Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Deshalb sind Corona-Schutz-Maßnahmen noch immer wichtig. Wir müssen die gesellschaftliche Gefahr von Corona ernst nehmen und aufeinander Rücksicht nehmen. Und: Wir müssen für Inklusion kämpfen.

Bettina Enzenhofer hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at

An den Anfang der Corona-Pandemie erinnern sich die meisten Menschen nur noch ungerne, es war für viele eine Zeit voller Ängste und Unsicherheit, Verbote und Zwänge beschränkten den Alltag. Es gab noch keine Impfung, viele Menschen starben an den Folgen einer Covid-19-Infektion. Die Lockdowns waren aufreibend und bedrückend, man wurde im Alltag auf die Kleinfamilie zurückgeworfen. Die sozialen Spaltungen nahmen zu und die Lasten der Ansteckungsvermeidung waren ungerecht verteilt. 

Vieles wurde aber auch möglich, was vorher nicht oder kaum existierte: Veranstaltungen fanden online statt, was auch Menschen, die abseits großer Städte leben oder die oft wegen fehlender Barrierefreiheit von Veranstaltungen ausgeschlossen sind, die Teilnahme ermöglichte. Dinge online zu erledigen wurde normalisiert. Leute mit Bürojobs, die lange Arbeitswege hatten, gewannen durch Homeoffice Lebenszeit zurück. Es gab mehr Nachbarschaftshilfe und Rücksichtnahme. Niemand ging mit Symptomen einer Erkältung zur Arbeit oder zum Einkaufen. Zwar wurden vom Staat vor allem die großen Unternehmen gerettet, es gab in Deutschland aber auch Gelder zu beantragen für Lüftungsanlagen und Digitalisierung, eine Steuererleichterung fürs Homeoffice und kostenlose Tests, in Wien sogar kostenlose PCR-Tests für alle. Plötzlich war da einiges an Barrierefreiheit und Rücksichtnahme möglich – manche prophezeiten schon, dass sich die Gesellschaft grundlegend ändern und es einen neuen Zusammenhalt geben würde. 

Die Schutzmaßnahmen weg, die Viren noch da

Diese Hoffnung hat sich allerdings nicht realisiert. Wir leben im Jahr vier einer anhaltenden globalen Gesundheitskrise, deren Folgen sich jedoch fast vollständig ins Private verschoben haben. In Deutschland gibt es keine verbindlichen Schutzmaßnahmen mehr, keine Maskenpflicht, nicht mal im Gesundheitswesen, keine kostenlosen Tests, sogar zur Arbeit dürfen bzw. müssen Covid-infizierte Leute gehen. Übrig bleibt in Deutschland nur eine Impfempfehlung für ältere Menschen und die sogenannten Risikogruppen. Aber selbst hier ist die Definition sehr eng, sie bezieht sich nur auf ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko und ignoriert die Gefahr für Long Covid. In Österreich empfehlen die Behörden allen Menschen ab 12 eine Schutzimpfung, „besonders ab dem Alter von 60 Jahren, für Risikopersonen und Gesundheitspersonal“, und auch hier wird kaum von Long Covid gesprochen.

In kleineren Städten ist es mittlerweile auch für diejenigen, denen eine Impfung empfohlen wird, schwer eine zu bekommen. Das Mantra „Die Pandemie ist vorbei“, das sich in Medien und im Alltagsverstand in „Corona ist vorbei“ übersetzt, hat durchschlagenden Erfolg. Dabei hat die Pandemie die ohnehin bestehende Krise und Überlastung der Gesundheits- und Sorgesysteme weiter verschärft.

Was bedeutet das aber für Menschen, die sich weiter schützen wollen oder aufgrund von Vorerkrankungen schützen müssten? Für sie haben die Lockdowns quasi nicht geendet – es ist nur alles noch anstrengender, weil fast niemand mehr mitmacht. Sie sind noch mehr auf ihren innersten Zirkel zurückgeworfen. Wenn sie Kinder haben oder mit Menschen zusammenleben, die kein Homeoffice machen können, ist ein konsequenter Ansteckungsschutz fast unmöglich. Selbst da, wo Luftfilter angeschafft worden waren, sind sie häufig im Zuge der Energiekrise wieder aus den Klassenzimmern und Kitas entfernt worden, dabei verbrauchen Filter nicht einmal viel Strom. Ohne Lockdown und Maßnahmen bleibt es in jeder „Erkältungswelle“ den einzelnen überlassen, sich um ihre Kinder zu kümmern und gleichzeitig zu arbeiten, wenn der Kindergarten wegen Personalmangel schließt.

Risikogruppe, welche Risikogruppe?

Trotz allerlei Programmen und politischen Beteuerungen trifft es diejenigen, die von einer Virusinfektion Folgeschäden davongetragen haben, weiterhin hart. Nach Schätzungen der WHO führt etwa eine von zehn Covid-Infektionen zu Long Covid. Studien zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit von Long Covid mit weiteren Ansteckungen erhöht, je nach Variante und Impfstatus. Gefährdet für langanhaltende Symptome scheinen nicht nur Menschen mit schweren Verläufen zu sein, sondern auch Erkrankte, die nahezu symptomfrei waren, Frauen und eher jüngere Menschen als ältere. Angesichts dessen wirkt das Reden von Risikogruppen, die sich selbst schützen müssen, etwas obsolet.

Schwere, langwierige Verläufe können die Betroffenen komplett aus dem Leben reißen, viele können nicht mehr arbeiten oder alltägliche Dinge erledigen. Manche leiden so stark unter Schmerzen, können kein Licht und Geräusche ertragen, dass sie ihre Tage in abgedunkelten, stillen Räumen verbringen. Viele stoßen auf Unverständnis im Umfeld und Hilflosigkeit bei den Ärzt*innen. Forscher*innen beginnen erst zu verstehen, was bei und nach einer Infektion im Körper passiert. Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild, die Ursachen sind weiterhin weitgehend ungeklärt. Das erschwert die Diagnostik und die Behandlung. Die wenigen Anlaufstellen haben lange Wartezeiten, Betroffene sind weitgehend auf sich alleine gestellt.

Keine gesellschaftliche Teilhabe

Wegen des Ausmaßes der Problematik sprechen Fachleute von Covid als einem „Mass Disabling Event“, einem Auslöser für einen weltweit massiven Anstieg von Krankheiten und Behinderungen. Das bedeutet, dass in behindertenfeindlichen Gesellschaften voller Barrieren immer mehr Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden.

Teilhabe muss man sich in solchen Gesellschaften erkämpfen, wenn man die Kraft dafür hat. Das war in einem auf optimierte Ausbeutung ausgerichteten System (man nennt es auch Kapitalismus, äh, soziale Marktwirtschaft) schon immer so. Die Pandemie hat dies allerdings noch mal verdeutlicht und verschärft. Wenn man sich vorstellt, dass einem das selbst oder seinen Lieben passieren könnte, bekommt man es ganz schön mit der Angst zu tun. Viele Gründe also eigentlich, zumindest den Selbstschutz beizubehalten – sollte man zumindest meinen.

Irrationale Angstbewältigung

Menschen gehen aber mit Gefahren, vor denen sie sich nicht wirklich schützen können, nicht besonders rational um. Die einfachste und beliebteste Methode ist Verleugnung: Abstreiten, dass es überhaupt eine Gefahr gibt, anzweifeln, dass man sie abwenden könnte und annehmen, dass es einen selbst schon nicht treffen wird. Dafür ist einem auch zwielichtige Halbinformation recht, die es ja zur Genüge gibt. Leute, die einen damit nicht davonkommen lassen, wird häufig offene oder unterschwellige Aggression entgegengebracht. Genauso wie Menschen, die weiterhin in der Öffentlichkeit Maske tragen.

Die Angst vor Covid wird aber nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich verdrängt. Dazu trägt der im deutschsprachigen Raum weit verbreitete Ableismus und die Angst vor Behinderung bei. Ableismus ist der Name für ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das gesunde, leistungsfähige Menschen ohne Behinderung als normal setzt – und damit Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten als nicht normal, defizitär und bedauernswert definiert und als Last für die Gesellschaft. 

Falscher Fokus

Jede öffentliche Diskussion um das Pro und Kontra von Schutzmaßnahmen scheitert seit Langem daran, dass die Mortalität und der drohende Zusammenbruch des Gesundheitssystems die einzigen interessanten Größen waren. Wie viele Betten auf den Intensivstationen sind noch frei? Bekommt man bei einem schweren Verlauf noch eine Beatmungsmaschine? Es ist gut und erleichternd, dass diese Sorgen nun nicht mehr nötig scheinen. Der Fokus auf diese technischen Fragen war auch schon zu Anfang der Pandemie falsch und problematisch, weil ein Großteil des Versorgungsproblems am fehlenden Personal in einem unterbezahlten und immens stressigen Job bestand. Spätestens mit dem Aufkommen von Long Covid-Symptomen aber hätte sich dieser Fokus auf die Auslastung der Intensivstationen ändern müssen, um einen informierten und vernünftigen Umgang mit der Erkrankung und eine Eindämmung des „Mass Disabling Events“ zu ermöglichen. Hunderttausende Menschen kämpfen mittlerweile in Deutschland und Österreich nach ihrer Infektion mit den Langzeitwirkungen der Coronaerkrankung – Tendenz immer weiter steigend.

Dringend nötig: Schutzmaßnahmen und Inklusion

Diese Belastung für die Produktivität und die Wirtschaftsleistung – wegen der durch Long Covid neu behinderten Menschen und wegen der vielen Krankschreibungen – scheint zur Zeit der einzige Motivator zu sein, doch Schutzmaßnahmen vor Ansteckungen zu erwägen. Ausgerechnet das Manager Magazin veröffentlichte Ende 2023 einen längeren Text mit praktischen Tipps für Unternehmen, wie sie das Ansteckungsrisiko ihrer Angestellten senken könnten. Arbeitgebende sollten schon aus Eigeninteresse großzügig mit ihren Homeofficeregeln umgehen, die Autorin empfiehlt auch Luftfilter aufzustellen und Präsenztreffen zu reduzieren. Den verbreiteten Desinformationen könne mit Informationskampagnen begegnet werden – ein Hinweis, den auch die eine oder andere Regierung beherzigen sollte. 

Solche Maßnahmen bräuchte es nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in Kita, Schule, im medizinischen Bereich, in Geschäften und Gaststätten. Covid und Long Covid als gesellschaftliche Gefahr ernst zu nehmen würde bedeuten, Schutzmaßnahmen wieder selbstverständlicher und zugänglicher zu machen, Betroffene nicht alleine zu lassen und in Forschung, Prävention und Behandlung zu investieren. Um das Problem von Ableismus anzugehen und damit die in einer Leistungsgesellschaft nicht nur irrationale Angst vor Behinderung bräuchte es zudem deutlich mehr Bemühungen um Inklusion. 

Kirsten Achtelik ist Diplom-Sozialwissenschaftler*in, Journalist*in und Autor*in von Büchern über Abtreibung, Pränataldiagnostik, Selbstbestimmung und die „Lebenschutz“-Bewegung. Their thematischen Schwerpunkte sind Gender/Antifeminismus, Behinderung/Anti-Ableism, soziale Bewegungen, Gesundheits- und Antidiskriminierungspolitik. Selbst von Brustkrebs betroffen, setzt they sich für eine inklusivere Versorgung und gegen binäre Zuschreibungen ein.

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