Eine Geburt, über die niemand spricht

Viele Schwangerschaften finden vorzeitig von selbst ein Ende. Doch Fehlgeburten sind weiterhin ein Tabuthema. Von Bettina Enzenhofer

Gemälde auf einer alten Hauswand. Rechts ist eine Person mit langen Haaren, die eine Hand auf ihren Bauch legt, auf der linken Seite ist ein Embryo, der sich in einer roten Blase befindet.
Foto: Konstantinos Koukopoulos/Flickr – miscarriage, CC BY 2.0

„Mittlerweile fühle ich mich dazu verpflichtet, darüber zu reden. Falls in meinem Bekanntenkreis eine Frau bzw. ein Paar eine Fehlgeburt erleidet, sollen sie wissen, dass sie nicht die Einzigen sind“, sagt Mia K., die vor einem Jahr eine Fehlgeburt hatte und sich mit dieser Erfahrung völlig alleine fühlte. „Man kennt Statistiken und weiß, dass Fehlgeburten sehr häufig sind. Aber du weißt nicht, dass das im näheren Umfeld jemandem passiert ist oder z.B. einer gesunden Frau, die schon Kinder hat. Erst wenn du von deiner Fehlgeburt erzählst, erfährst du, wer alles schon eine Fehlgeburt hatte“, erinnert sich Julia E. „Generell will sich aber niemand damit beschäftigen. Frauen, die schwanger werden wollen, meiden das Thema sowieso. Ich wurde nach meiner Fehlgeburt in der Schwangerengruppe nicht mehr gegrüßt! Die Frauen versuchten tunlichst, mir aus dem Weg zu gehen. Jede Schwangere hat im Hinterkopf, dass es Fehlgeburten gibt, da will man sich mit so etwas nicht belasten.“

Das bestätigt auch Petra Hainz. Sie organisiert die Wiener Selbsthilfegruppe Regenbogen und leitet Geburtsvorbereitungskurse: „Ein großes Problem sind die Berührungsängste mit dem Thema. Vorträge sind schlecht besucht, die Zusammenarbeit mit Spitälern ist schwierig. Niemand beschäftigt sich freiwillig mit dem Thema, und wenn ich es im Geburtsvorbereitungskurs anspreche, finde ich oft kein Gehör, weil es für die werdenden Eltern zu deprimierend ist, darüber zu sprechen. Insofern liegt es in der Verantwortung der Ärzt_innen und Hebammen, die bei einer Fehlgeburt dabei sind, die Frauen gut aufzuklären.“ Dabei kann man an schlechter oder besser geeignetes Personal geraten, und im ersten Schock denken Betroffene möglicherweise nicht daran, ärztliche Empfehlungen wie z.B. das weitere Vorgehen zu hinterfragen bzw. sich nach alternativen Handlungsmöglichkeiten zu erkundigen. 

Ohne Herzschlag

Fehlgeburten zählen zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Etwa jede_r dritte Schwangere hat im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt, d.h. das Kind starb im Mutterleib, noch bevor es fünfhundert Gramm schwer war. Es wird geschätzt, dass die Hälfte aller befruchteten Eizellen mit einer Fehlgeburt abgehen. Das kann in einem so frühen Schwangerschaftsalter sein, dass die schwangere Person von ihrer Schwangerschaft noch gar nichts wusste und die Fehlgeburt für eine normale Regelblutung hält. Von den klinisch diagnostizierten Schwangerschaften tritt immer noch bei etwa 15 Prozent eine Fehlgeburt auf. Manchmal zeigt die Ultraschalluntersuchung, dass das Herz des Kindes nicht mehr schlägt, in anderen Fällen setzen plötzlich Schmerzen ein und der Embryo geht von selbst ab. 

Das Risiko einer Fehlgeburt sinkt mit zunehmender Schwangerschaftsdauer, etwa achtzig Prozent aller Fehlgeburten finden in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen statt. Wiegt das Kind mehr als fünfhundert Gramm und stirbt während der Schwangerschaft oder bei der Geburt, sprechen Mediziner _innen von einer Totgeburt. 

Wird eine frühe Fehlgeburt diagnostiziert, so wird oft sofort eine Kürettage vorbereitet, bei der die Gebärmutter ausgeschabt wird. Als „ungewollte Abtreibung“ erlebte das Mia K., Julia E. wiederum war froh über diese Möglichkeit. Dass eine Kürettage aber zwingend notwendig ist, wird heute von Ärzt_innen immer mehr infrage gestellt. Je nach Art der Fehlgeburt können unterschiedliche Vorgehensweisen angezeigt sein, beispielsweise kann auch eine medikamentöse Geburtseinleitung folgen oder der Einsatz natürlicher Wehen abgewartet werden. Die Entscheidung für eine bestimmte Variante ist aber in den meisten Fällen etwas, mit dem man sich Zeit lassen kann, wie auch Petra Hainz betont: „Generell wird zwar die Aufklärung in den Spitälern viel besser, das muss man wirklich anerkennen. Aber ein großes Problem ist der Zeitdruck, der noch immer oft gemacht wird. Es wäre wünschenswert, den Eltern mehr Zeit zu geben, sodass sie beim Eingriff nicht mehr so unter Schock stehen. Das würde den Trauerprozess sehr begünstigen.“

Als wäre nichts gewesen

Trauern bei Fehlgeburten ist eine Herausforderung: Denn wie verabschiedet man sich von einem Kind, das nie außerhalb der Gebärmutter gelebt hat? Und wie viel Unterstützung bekommt man vom sozialen Umfeld? „Bei einem lebenden Kind, das gestorben ist, kann jede_r die große Trauer nachvollziehen. Aber bei einem Kind, das nie auf der Welt war, kennt nur die Mutter das Kind. Es gibt auch Betroffene, die den Verlust leichter wegstecken und die Trauer von anderen Betroffenen nicht nachvollziehen können“, sagt Hainz. 

Freund_innen und Familie wissen meist nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. „Die meisten tun so, als ob ich nie schwanger gewesen wäre. Einige sagen: ,Dann mach doch ein Neues!‘ Eine Geschmacklosigkeit höchster Grausamkeit, die mich sehr verletzt hat“, erzählt Mia K. Auch Julia E. berichtet: „Es ist schräg, dass alle so tun, als wäre nichts gewesen. Niemand fragt nach, man ist auf eine Art unberührbar. Reaktionen wie ,wird schon wieder‘, ,ist ja nicht so schlimm‘ oder ,schade, jetzt gibt es kein Enkelkind‘ waren sehr schlimm für mich. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es wahrscheinlich aber auch schwierig, sich in die Situation hineinzudenken.“

Aus ihrer Erfahrung in der Selbsthilfegruppe hält Hainz es für wichtig, dass Angehörige erstmal konkrete Grundbedürfnisse decken, z.B. kochen oder die Wohnung aufräumen, weil die Betroffenen dafür oft keine Energie haben. Außerdem sollten Angehörige die Betroffenen als Eltern wahrnehmen: „Angehörige haben oft Angst, die Eltern an das Kind zu erinnern. Aber die Eltern denken sowieso an das Kind! Man darf also ruhig danach fragen. Man sollte außerdem den Trauernden Zeit geben und nicht glauben, dass der Trauerprozess zwei Wochen nach der Geburt wieder vorbei sein müsse. Die Trauerzeit ist individuell unterschiedlich, ein richtig oder falsch gibt es nicht.“

Mit der Angst leben lernen

Neben der eigentlichen Trauer fühlen sich die Betroffenen nach einer Fehlgeburt oft schuldig. „Was habe ich falsch gemacht?“, fragte sich Mia K. „Es kam mir wie ein Versagen meines Körpers vor. Ich musste erst wieder lernen, meinen Körper als das, was er ist, annehmen zu können – und zu akzeptieren, dass ich ihn nicht bewusst steuern kann“, sagt Julia E. Die Psychotherapeutin Eva Javorszky kennt solche Gedanken aus ihrer Praxis: „Die Frauen leiden, das ist auch normal und das dürfen sie auch. Mein Anliegen ist dabei, dass die Frauen nicht im Verlustgefühl hängenbleiben. Die Frage nach dem Warum bringt oft nichts. Besser ist es, zu fragen, was ihnen gut tun würde, um mit dieser Situation umgehen zu können. So kommen die Frauen wieder ins Leben, in die eigene Aktivität.“

Mia K. und Julia E. waren mittlerweile wieder guter Hoffnung – diesmal mit Happy End. Allerdings: „Ich habe mich neun Monate lang gefürchtet. Bis zum Schluss der Schwangerschaft konnte ich mir nicht vorstellen, dass mir das vergönnt ist. Es wäre schön gewesen, wenn ich von den Ärzt_innen mit meinen Ängsten, wieder eine Fehlgeburt zu erleiden, ernster genommen worden wäre“, sagt Julia E. Und an ein Detail denkt sie noch oft: „Dieses flapsige ,Warum habt ihr noch kein Kind?‘, das oft an kinderlose Paare gerichtet wird, ist eine furchtbare Frage. Damit kannst du jemandem sehr nahetreten, denn du weißt nie, was dahintersteckt.“

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge Februar 2013.
Für Our Bodies wurde er im März 2022 geringfügig geändert: alle Geschlechter können schwanger werden und eine Fehlgeburt haben – dies wurde an allen Stellen außerhalb der direkten Zitate berücksichtigt.

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