Keine E-Card? AmberMed hilft

Nicht alle Menschen in Österreich haben Zugang zur Gesundheitsversorgung. AmberMed setzt hier an. Mariella Jordanova-Hudetz war selbst hierzulande unversichert, heute leitet sie die Einrichtung. Interview: Sónia Melo

Porträtfoto von AmberMed-Leiterin Mariella Jordanova-Hudetz. Mariella Jordanova-Hudetz hat lange, braune Haare, trägt ein schwarzes Oberteil, hat die Arme verschränkt und lächelt in die Kamera.
Mariella Jordanova-Hudetz © Diakonie/Marisa Vranjes

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist ein Interview. Sónia Melo spricht mit der AmberMed-Leiterin Mariella Jordanova-Hudetz. AmberMed ist eine wichtige Gesundheits-Einrichtung in Wien. Denn manche Menschen haben in Österreich keine Kranken-Versicherung. Die AmberMed-Leiterin sagt: Das Gesundheits-System in Österreich ist gut – aber nur für Menschen mit Kranken-Versicherung. Menschen ohne Kranken-Versicherung sind zum Beispiel: Geflüchtete Menschen mit negativem Asyl-Bescheid. Sie können zu AmberMed gehen. Ihre Kinder können auch hingehen. AmberMed versorgt auch Schwangere. Patient*innen müssen bei AmberMed nichts bezahlen. Bei AmberMed arbeiten zum Beispiel Ärzt*innen, Dolmetscher*innen, Sozialarbeiter*innen und Kranken-Pfleger*innen. Sie sprechen viele Sprachen. Im Jahr 2022 waren mehr als 4.000 Menschen ohne Kranken-Versicherung bei AmberMed.
In Wien gibt es außer AmberMed noch den Louisebus von der Caritas und das Gesundheits-Zentrum im Neunerhaus. Auch dort bekommen Menschen ohne Kranken-Versicherung eine medizinische Behandlung.

Diese Kurzfassung hat geschrieben: Bettina Enzenhofer
Wenn du zum Text eine Frage hast: schreib an be(at)ourbodies.at

Sónia Melo: Im vergangenen Jahr ermöglichte AmberMed über 4.000 unversicherten Menschen einen kostenlosen niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung, die sonst keinen hätten. Es heißt jedoch, Österreich habe ein vorbildliches Gesundheitssystem im internationalen Vergleich. Stimmt das etwa nicht? 

Mariella Jordanova-Hudetz: Wir haben ein fantastisches Gesundheitssystem in Österreich – für versicherte Menschen. Aber es exkludiert einen großen Teil der Menschen, nämlich jene, die nicht versichert sein dürfen. Das wird tabuisiert, es wird so getan, als gäbe es sie nicht.

S.M.: Wer sind diese Menschen, die zu AmberMed kommen? 

M.J.: Unsere Patient:innen sind Personen ohne Krankenversicherung, die sich dauerhaft in Österreich aufhalten. Das sind Geflüchtete mit einem negativen Asylbescheid, Asylsuchende, die das Bundesland wechseln und temporär nicht versichert sind, und andere Menschen, die über kurz oder lang keine Aufenthaltserlaubnis haben. 

Weit mehr als die Hälfte unserer Patient:innen sind Frauen. Wir behandeln auch viele Kinder, denn wenn die Eltern nicht versichert sind, sind es auch ihre Kinder nicht. Eine unserer Forderungen ist deshalb: Kein Kind, das in Österreich lebt, soll von Krankenbehandlung und Gesundheitsleistungen ausgeschlossen sein. Alle Kinder sollen – unabhängig von ihren Eltern – versichert sein. 

Auch viele schwangere Frauen ohne Krankenversicherung kommen zu uns. Schwangerschaft und Entbindung bildet einen wesentlichen Teil unserer Arbeit. Denn in Österreich sind zwar schwangere Frauen unabweisbar, das bedeutet, Krankenhäuser dürfen sie nicht abweisen und sind verpflichtet, sie medizinisch zu versorgen. So weit, so gut. Doch unversicherte Frauen, die ihre Kinder im Krankenhaus gebären, bekommen danach dicke Rechnungen nach Hause geschickt. Je nachdem ob ohne oder mit Komplikationen, kostet eine Geburt zwischen 4.000 und 14.000 Euro. Die Wenigsten können so eine Rechnung begleichen, aber es nicht zu tun, ist keine Option. Selbst wenn man nichts hat, was gepfändet werden kann, steht irgendwann der Gerichtsvollzieher um 7 Uhr morgens vor der Tür und will den Fernseher mitnehmen, um die Schulden zu tilgen. 

Unsere ärztliche Leiterin Monika Matal hat vor etwa drei Jahren eine Kooperation mit dem Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) ausgehandelt. Seitdem bekommen 50 nicht versicherte Frauen pro Jahr eine Geburt zu einem Sozialtarif von 800 Euro. Es ist ein großartiges Angebot. Ideal wäre es aber, wenn alle schwangeren Frauen kostenlos gebären könnten. 

Die meisten unserer Patient:innen werden von uns medizinisch begleitet und kommen dementsprechend öfters. Länger begleiten wir vor allem psychisch kranke Menschen sowie Menschen, die aufgrund fehlender Deutschkenntnisse und niedriger Bildungsqualifikationen keine geregelte Arbeit finden und angewiesen sind auf undokumentierte Arbeit. 

Unsere Patient:innen haben eines gemeinsam: Sie gehen alle arbeiten. Sie müssen Miete zahlen, sich Essen kaufen. Sie arbeiten undokumentiert, unter ausbeuterischen Bedingungen. Hier geht es teilweise um Stundenlöhne von zwei Euro. 

S.M.: Gibt es Länder, in denen der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht vom Aufenthaltsstatus abhängt und die uns vorführen, wie es anders gehen kann? 

M.J.: Ja, in Bulgarien, Rumänien und England sind Kinder bis zum 18. Lebensjahr beim Staat mitversichert, unabhängig von der Situation der Eltern. Das System ist sinnvoll und es funktioniert. Kinder sollten nicht leiden müssen aufgrund der Entscheidungen oder Lebenssituation der Eltern. 

Was die Gesundheitspolitik angeht, ist auch Portugal vorbildlich. Dort gebären schwangere Frauen immer gratis, unabhängig von ihrem Aufenthalts- und Versicherungsstatus. Wie wunderbar ist das?! 

S.M.: AmberMed existiert seit fast 20 Jahren, als Kooperation zwischen dem Österreichischen Roten Kreuz und dem Diakonie Flüchtlingsdienst seit 2006. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? 

M.J.: AmberMed ist 2004 als Ärzt:innen-Initiative für die niederschwellige medizinische Versorgung von Asylsuchenden entstanden, als es noch keine Gesundheitsversorgung für Menschen im Asylverfahren gab, später in Zusammenarbeit mit der Diakonie Flüchtlingsdienst. 2006 stieg das Rote Kreuz als Kooperationspartner ein. Das Rote Kreuz stellt die Räumlichkeiten im 23. Bezirk, Ressourcen für die Administration und die Medikamente kostenlos zur Verfügung. 

Damals wie heute wollen wir sicherstellen, dass alle Menschen in Österreich medizinisch versorgt werden. Wir füllen Versicherungslücken. Da wir seit vielen Jahren arbeiten, mit vielen Fachrichtungen, wissen viele von unserem Angebot. Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen, Hausärzt:innen informieren die Patient:innen, dass es uns gibt und so finden die Menschen den Weg zu uns. 

Neben AmberMed gibt es auch den Louisebus von der Caritas und auch das Gesundheitszentrum im Neunerhaus. Das sind wichtige Angebote für die medizinische Versorgung von Menschen ohne E-Card. 

S.M.: Wie setzt sich das Team von AmberMed zusammen? 

M.J.: Alle Ärzt:innen, Assistent:innen und Dolmetscher:innen – insgesamt 90 Tätige – arbeiten ehrenamtlich. Das hauptamtliche Team von Angestellten besteht aus Sozialarbeiter:innen, Krankenpfleger:innen, einer Gesundheitsreferentin, die für Projekte zuständig ist, und einem kleinen koordinativen, administrativen Team. 

Die Mehrheit unserer Ärzt:innen sind Pensionist:innen. Für pensionierte Ärzt:innen ist es teilweise sehr wichtig, weiterhin den Kontakt zu den Patient:innen zu haben, ihre Berufung auszuüben.

Wir sind ein durchmischtes Team, generationsübergreifend. Alle profitieren davon, junge arbeiten mit erfahrenen Ärzt:innen zusammen, lernen von ihnen, Fachärzt:innen mit Allgemeinmediziner:innen, aus der Großstadt und aus ländlichen Regionen. Ältere Ärzt:innen erfahren auch von neuen medizinischen Entwicklungen von den jüngeren. 

Am liebsten haben die Ärzt:innen, wenn Allgemeinmediziner:innen mit Fachärzt:innen zusammenarbeiten. Das kommt auch den Patient:innen zugute. Denn wenn sie zur gleichen Zeit Dienst haben, müssen oft keine Termine vergeben werden, Patient:innen werden gleich an die Fachärzt:innen vermittelt. 

S.M.: AmberMed bietet aber auch soziale Beratung an. 

M.J.: Richtig. Den Erstkontakt mit Neupatient:innen haben unsere Sozialarbeiter:innen. Diese führen die sogenannten Clearing-Gespräche. Es wird geklärt, ob die Patient:innen ein soziales Umfeld haben, wie ihre Wohnsituation ist, ob wir Schritte in Richtung Krankenversicherung setzen sollen oder nicht. Das ist auch für die Ärzt:innen sehr hilfreich, wenn sie mehr über die Patient:innen wissen, die sie behandeln. 

Wir sind ein sehr multisprachliches Team. Jede:r von uns im Team spricht mindestens eine Fremdsprache und versteht sich gut in einer zweiten Fremdsprache. Wir sind deswegen oft die einzige Brücke für Personen, die gar kein Deutsch sprechen und verstehen, zur österreichischen Behördenwelt. Sie nutzen die Gelegenheit, uns auch Fragen zu anderen Lebensbereichen zu stellen. Wir vermitteln sie zu anderen Einrichtungen, mit denen wir gut vernetzt sind und wo sie Unterstützung finden. Somit entsteht Vertrauen. Sie vertrauen uns und wissen, dass wir ihre Situation auch vertraulich behandeln. 

Auch die Dolmetscher:innen leisten Beziehungsaufbau. Ich selber habe als ehrenamtliche Dolmetscherin bei AmberMed begonnen 2009 und mache die Arbeit weiterhin sehr gerne, sofern ich Zeit dafür habe. Ich war zehn Jahre lang hierzulande nicht versichert. Ich bin als 17-Jährige mit meinen Eltern aus Bulgarien nach Österreich gekommen, als Bulgarien noch nicht der EU angehörte. Mit der Volljährigkeit war ich demnach unversichert, weil ich keine Arbeitserlaubnis hatte. Ich habe geschaut, dass ich nicht krank werde. 

S.M.: Was taten Sie, wenn Sie trotzdem krank wurden? 

M.J.: Ich bekam abgelaufene Medikamente von Nachbar:innen. Mit etwas Glück versorgte mich die Apothekerin mit nicht rezeptpflichtigen Medikamenten. Ich kann mich gut an diese Zeit erinnern, deswegen liebe ich meine Arbeit so sehr. 

AmberMed Öffnungszeiten:
Allgemeinmedizin: Montag und Mittwoch 13.30–16 Uhr
Fachmedizin: Dienstag und Donnerstag 8.30–11 Uhr 
Offene Kindersprechstunde: Montag 10–12 Uhr 
Telefon: +43 1 589 00 847 

Dieses Interview erschien zuerst in Augustin 568 – 3/2023.

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Das ist ein Interview. Sónia Melo spricht mit der AmberMed-Leiterin Mariella Jordanova-Hudetz. AmberMed ist eine wichtige Gesundheits-Einrichtung in Wien. Denn manche Menschen haben in Österreich keine Kranken-Versicherung. Die AmberMed-Leiterin sagt: Das Gesundheits-System in Österreich ist gut – aber nur für Menschen mit Kranken-Versicherung. Menschen ohne Kranken-Versicherung sind zum Beispiel: Geflüchtete Menschen mit negativem Asyl-Bescheid. Sie können zu AmberMed gehen. Ihre Kinder können auch hingehen. AmberMed versorgt auch Schwangere. Patient*innen müssen bei AmberMed nichts bezahlen. Bei AmberMed arbeiten zum Beispiel Ärzt*innen, Dolmetscher*innen, Sozialarbeiter*innen und Kranken-Pfleger*innen. Sie sprechen viele Sprachen. Im Jahr 2022 waren mehr als 4.000 Menschen ohne Kranken-Versicherung bei AmberMed.
In Wien gibt es außer AmberMed noch den Louisebus von der Caritas und das Gesundheits-Zentrum im Neunerhaus. Auch dort bekommen Menschen ohne Kranken-Versicherung eine medizinische Behandlung.

Diese Kurzfassung hat geschrieben: Bettina Enzenhofer
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