Keine Heulsusen

Endometriose ist die zweithäufigste Erkrankung von Personen mit Uterus und trotzdem weitgehend unbekannt. Bis zur Diagnose vergehen oft viele Jahre. Von Bettina Enzenhofer

Schwarz-weiß Porträtbild einer Frau, auf ihrer Stirn ist der Schriftzug "Heulsuse"
Bild: Endometriose Vereinigung Austria. In der Plakatkampagne hieß es: „Lass dich nicht von deinen Bekannten diagnostizieren. Extreme Regelschmerzen können ein Zeichen von Endometriose sein.“

Wäre der Befund nicht so erschütternd, könnte man sich über eine derartige Ehrlichkeit fast amüsieren: „Die Endometriose ist eine für Ärzte und betroffene Patientinnen gleichermaßen verwirrende Erkrankung.“ So lautet der erste Satz im Vorwort der aktuellen medizinischen Endometriose-Leitlinie. „Endometriose“ heißt: Endometriumartige Zellen – also Zellen der inneren Gebärmutterschleimhaut – finden sich nicht nur innerhalb der Gebärmutterhöhle, sondern auch an anderen Orten im Körper, etwa an den Eierstöcken, Ei- oder Harnleitern, in Darm, Blase oder Vagina. Diese Zellen werden, genauso wie in der Gebärmutter, von Hormonen gesteuert: Es kommt zyklusbedingt zu Blutungen, doch anders als bei Gebärmutterblutungen (der Menstruation) kann dieses Blut nicht abfließen. Dadurch können wiederum Zysten und Entzündungen entstehen – für Betroffene äußert sich das oft in sehr starken Schmerzen. Vielen Endometriose-Patient_innen ist aber neben diesen Schmerzen vor allem eines gemein: ein jahrelanger Leidensweg mit unzähligen Fehldiagnosen.

Schmerzhafte Normalität

So erging es auch Michelle: Zehn Jahre lang wurde sie im Unterbauch immer wieder von massiven Schmerzen geplagt. Die Ärzte tippten im Laufe der Jahre u.a. auf eine Blinddarmentzündung, einen Leistenbruch, das Reizdarmsyndrom oder eine Fehlstellung der Lendenwirbel. In den folgenden Untersuchungen fanden sie aber nie etwas Diagnosebestätigendes, und dann hieß es: „Ihre Beschwerden sind psychosomatisch. Haben sie schon mal an Psychopharmaka/Antidepressiva gedacht?“ Denn Menstruationsbeschwerden gelten in unserer Gesellschaft – unter Ärzt_innen ebenso wie unter Menstruierenden – auch dann noch als „normal“, wenn sie sehr stark sind. Genau das ist ein fundamentales Problem, wie Rita Hofmeister und Kathrin Steinberger, Obfrauen der Endometriose Vereinigung Austria (EVA), bestätigen: „Viele Frauen denken selber lange Zeit nicht, dass sie krank sein könnten. Sie leben in dem Glauben, eine Menstruation verursache starke Schmerzen – das haben sie auch schon bei ihrer Mutter so erlebt. Wenn sie nun vom Arzt bzw. der Ärztin hören, dass er ihren Schmerzen keinen organischen Befund zuordnen kann, zweifeln sie an ihrer Wahrnehmung. Sie fragen sich, ob sie sich etwas einbilden oder möglicherweise wehleidiger als andere sind.“ Deshalb setzt EVA auf Aufklärung und Information. In der aktuellen Werbekampagne prangen Begriffe wie „Heulsuse“, „Mimose“ oder „frigide“ auf den Stirnen von Frauen, begleitet vom Aufruf, sich nicht von Bekannten diagnostizieren zu lassen – extreme Regelschmerzen können ein Zeichen von Endometriose sein.

Michelle stieß zufällig in einer Zeitschrift auf das Krankheitsbild der Endometriose und sprach ihren Arzt darauf an – dieser schickte sie zu Spezialist_innen, die den Verdacht bestätigten. Eine definitive Diagnose steht bei Michelle aber immer noch aus, denn die kann nur mittels Bauchspiegelung (Laparoskopie), bei der Gewebe entnommen und analysiert wird, gestellt werden. Und genau das stellt ein weiteres Problem dar: Es sei, wie die Frauen von EVA erklären, nicht möglich, jede Person mit Menstruationsschmerzen einer solchen Operation zu unterziehen. Abgesehen davon, dass nicht jede menstruierende Person mit starken Schmerzen an Endometriose leidet, äußert sich die Erkrankung nicht bei allen Betroffenen gleich: Manche haben Schmerzen, manche nicht. Hinzu können Schmerzen während des (penetrativen) Geschlechtsverkehrs, eine erhöhte Infektanfälligkeit und Blutungsstörungen kommen. Ein weiteres Symptom, das immerhin bei vierzig Prozent der Endometriose-Patient_innen auftritt, ist ein unerfüllter Kinderwunsch.

Die Lebensqualität vieler Endometriose-Patient_innen ist (nicht zuletzt wegen Krankenständen, ständigem Rechtfertigungsdruck und dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit) stark beeinträchtigt. In manchen Fällen kann es auch zu Organschäden kommen, die einen operativen Eingriff unabdingbar machen.

Von der Diagnose zur Behandlung

Steinberger ist pragmatisch: „Ich will gar nicht, dass alle GynäkologInnen Endometriose-ExpertInnen sind. Aber ich will, dass alle GynäkologInnen an die Möglichkeit einer Endometriose denken. Am allerliebsten wäre mir eine gute Anamnese, in der danach gefragt wird. Wenn ÄrztInnen richtig tasten, spüren sie etwas, bei richtigem Ultraschall sehen sie etwas. Und dann soll die Patientin an gute KollegInnen überwiesen werden.“ Doch selbst wenn das der Fall ist und eine definitive Diagnose gestellt wurde, ist das Problem noch lange nicht gelöst. Denn genauso wie sich eine Endometriose individuell unterschiedlich äußern kann, sprechen auch die Betroffenen auf die Behandlungsmöglichkeiten unterschiedlich an.

Es gibt keine kausale, d.h. eine Ursachen bekämpfende, Therapie, da die Ursache der Endometriose nach wie vor ungeklärt ist. Michelle war zwar nach ihrer Diagnose „erstmal wahnsinnig erleichtert, weil ich endlich wusste, was ich habe“. Seither geht es ihr aber aus anderen Gründen schlecht: „Ich will endlich wissen, was mir helfen kann! Ich habe Homöopathie und Osteopathie probiert, im Moment gehe ich zu einer TCM-Ärztin. SchulmedizinerInnen wollen mir die Pille verschreiben, aber die vertrage ich nicht.“

Neben der Laparoskopie, bei der im Idealfall alle Endometriose-Herde entfernt werden, ist die Hormontherapie eine klassische Behandlungsmethode, bei der die Symptome aber höchstens unterdrückt werden können. Andere, komplementärmedizinische Behandlungsarten wie z.B. TCM, Homöopathie, Luna Yoga, Shiatsu, Autogenes Training und nicht zuletzt eine bewusste Ernährung wirken sich für viele Endometriose-Patient_innen positiv aus. Allerdings muss auch hier jede Person für sich selbst herausfinden, was ihr hilft. Martina Schröder vom Feministischen FrauenGesundheitsZentrum Berlin sieht in der Vermittlung eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts den größten Handlungsbedarf: „Für jede Frau sind unterschiedliche Aspekte im Heilungsprozess wichtig, d.h. für die eine ist die körperspezifische Therapie zentraler, für die andere die Bewältigung von Belastungssituationen etc. Es braucht eine Beratung, die alle Faktoren vorstellt und die Frau ermutigt, herauszufinden, was ihr hilft. Die Beschränkung auf die schulmedizinischen Verfahren reicht nicht aus.“

Forschungsdefizite

Obwohl etwa zehn bis 15 Prozent aller Personen, die einen Uterus haben oder hatten, zwischen der ersten Menstruation und den Wechseljahren von einer Endometriose betroffen sind (EVA geht in Österreich von ca. 300.000 Frauen aus), ist sie „in der klinischen und basiswissenschaftlichen Forschung unterrepräsentiert“, wie auch in der deutschen Leitlinie zugegeben wird. Paradoxerweise sind die Gründe dafür laut Schröder darin zu suchen, dass die Endometriose eine gutartige Erkrankung ist, denn finanziert würden vor allem (bösartige) Krebserkrankungen. Außerdem gebe es im deutschsprachigen Raum nur sehr wenige Expert_innen, die zu dem Thema arbeiten.

„Man könnte böse sein und sagen: Mit der Erforschung der Endometriose kannst du nicht berühmt werden“, verdeutlichen die EVA-Obfrauen. „Das Leitsymptom, d.h. die Menstruationsbeschwerden, gelten als ,normal‘. Über andere Schmerzen, etwa beim Geschlechtsverkehr oder Stuhlgang, wird gar nicht gesprochen. Es gibt also wenig Aufmerksamkeit für das Thema, deshalb auch wenig Lobby und umso weniger gesundheitspolitischen Druck, auf die Forschung einzuwirken.“

Organisierte Selbsthilfe

Umso wichtiger ist es für Betroffene, sich in Selbsthilfeorganisationen mit anderen Endometriose-Patient_innen austauschen zu können. EVA blickt mittlerweile auf zehn Jahre Aufklärungsarbeit zurück – und es haben sich, wie Steinberger berichtet, auch Dinge bewegt: „Vor ein paar Jahren hat man in Österreich mit der Zertifizierung begonnen, d.h. die Stiftung Endometriose Forschung zeichnet kompetente ÄrztInnen und Krankenhäuser aus. Mittlerweile ist EVA an der Zertifizierung beteiligt, und wir schauen sehr genau, welche Häuser für die Patientinnen wirklich gut sind. Es wird außerdem immer mehr zu Endometriose publiziert, es finden viele Veranstaltungen statt, und ich glaube, die Situation wird besser werden.“ Noch nicht gebessert hat sich das Problem der Rehabilitation: Diese gilt in Österreich noch immer nicht als selbstverständliche Kassenleistung. „Die Reha wäre mein größter Traum“, sagt Steinberger und erzählt von der Ignoranz eines Pensionsversicherungszuständigen: „Warum brauchen Sie denn eine Reha bei einer gynäkologischen Erkrankung – das wird rausgeschnitten und gut ist’s.“

Aufklärung ist auf allen Ebenen notwendig – nicht zuletzt bei den Patient_innen selbst, so die EVA-Obfrauen: „Es ist wichtig, dass man eine mündige Patientin wird. Man darf das nicht an die ÄrztInnen abgeben. Frauen sollen aktiv auf ihre ÄrztInnen zugehen, sich selbst informieren und auf ärztliche Gespräche vorbereiten. Nach dem ersten Schock hast du eine Handlungsmöglichkeit.“

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge III/2012.
Für Our Bodies wurde er im März 2022 leicht editiert: Endometriose ist keine Frauenkrankheit, sondern eine mögliche Erkrankung aller Personen, die einen Uterus haben oder hatten.

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