Leiden fürs Karma

Ich bin in einem Impfgegnerhaushalt aufgewachsen. Die Erinnerung an wochenlange Schmerzen und Fieberschübe mit Masern, Mumps und anderen Erkrankungen haben mich geprägt. Von Sarah Grundner

Fiebermesser, der 40 Grad zeigt
Foto: privat

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist die Zusammenfassung von einem Artikel über Infektions-Krankheiten. Sarah Grundner hat den Artikel geschrieben.

2025 ist ein Kind in Berlin an Diphtherie gestorben. Diphterie ist eine schwere Krankheit. Gegen Diphtherie gibt es eine Impfung. Das Kind war aber nicht geimpft. Es ist in eine Waldorf-Schule gegangen. Eine Waldorf-Schule ist eine alternative Schule, die auf die Ideen von Rudolf Steiner zurückgeht. Die Lehre von Rudolf Steiner nennt man auch Anthroposophie. In der Anthroposophie gibt es viele problematische Ideen. Zum Beispiel medizinische Ideen, die nicht wissenschaftlich belegt sind. Rudolf Steiner sagt: Krankheiten machen stärker. Kinder müssen Krankheiten durchmachen.

Sarah Grundner kennt das selbst gut. Sie ist in eine Waldorf-Schule gegangen. Und sie ist in einer Familie aufgewachsen, die Impfungen ablehnt. Sarah hatte deshalb als Kind viele Infektions-Krankheiten. Man nennt sie auch „Kinderkrankheiten“. Sarah hatte Masern, Röteln, Scharlach, Windpocken und Mumps. Ihre Mutter hat ihr keine Medikamente dagegen gegeben. Deshalb hatte Sarah große Schmerzen. Sie hat sehr gelitten.

Heute ist es Sarah wichtig, über die Gefahren der Anthroposophie aufzuklären. Sie erzählt anderen von ihrer Geschichte. Und dass Impfungen und evidenzbasierte Medizin wichtig sind. Sie sagt: Man soll nicht über Waldorf-Kinder lachen. Und man soll Menschen zuhören und mit ihnen ins Gespräch kommen.

Brigitte Theißl hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at

Es ist das Jahr 2025 und ein Waldorf-Kind ist in Deutschland an einer Krankheit gestorben, die durch eine Impfung verhindert hätte werden können. Diphtherie. Eine Krankheit, die kaum noch jemand aus Erzählungen kennt, längst nicht mehr relevant für uns ist, zumindest hier in Deutschland oder Österreich.

Der Fall macht seinen Weg durch die Medien und landet natürlich auch in den sozialen Netzwerken. Und dort passiert etwas, das für viele von uns #ExWaldi ein ziemlicher Schlag ins Gesicht ist: Leute machen sich lustig über Waldorfschüler*innen (ja, okay kennen wir schon), die „dummen“ Waldorf-Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern und packen den Sozialdarwinismus aus. Evolution regelt das schon. Autsch.
Ist den Leuten eigentlich klar, was sie da sagen?

Ich bin in einem Impfgegnerhaushalt und so gut wie ohne evidenzbasierte Medizin groß geworden. Als ich auf die Welt kam, waren meine Eltern gewöhnliche Hippies. Gegen Kinderlähmung und Tetanus wurde ich noch geimpft, aber als die nächsten Impfungen dran gewesen wären, war ich schon im Waldorfkindergarten. Und in Waldorfkindergärten und -schulen ist Steiners Wort (fast) Gesetz, und er hat sich natürlich auch zu diesem Thema geäußert.

„Es gibt keine Möglichkeit, der Krankheit zu entkommen, wenn man die Gesundheit haben will. Jede Möglichkeit, sich gegen die äußeren Einflüsse stark zu machen, beruht auf der Möglichkeit, Krankheit zu haben, krank zu sein. So ist die Krankheit die Bedingung der Gesundheit. (…) Wollen wir die Stärke, die Gesundheit, dann müssen wir ihre Vorbedingung, die Krankheit, mit in Kauf nehmen. Wollen wir stark sein, dann müssen wir uns gegen die Schwäche schützen, indem wir die Schwäche in uns aufnehmen und in Stärke verwandeln.“ Rudolf Steiner

Und damit war es bei den Anthroposophen ganz klar: Kinderkrankheiten sind wichtig für die Entwicklung von Kindern. Alle „Kinderkrankheiten“ müssen durchgemacht werden, und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Und als es bei mir so weit war, „durfte“ ich die Infektionskrankheiten auch bekommen.

Deutlich niedrigere Impfraten

Natürlich sind nicht alle Kinder an Waldorfschulen ungeimpft. Je nachdem, welchen Berichten und Studien man Glauben schenkt, sind diese Zahlen aber deutlich niedriger als an öffentlichen Schulen. Genaue Zahlen für Deutschland gibt es nicht. Wo es die allerdings gibt, ist Kalifornien. Hier gibt es jedes Jahr sogenannte „Immunization Reports“ und eine Website, auf der sich Eltern die zukünftige Schule ihrer Kinder nach „Immunization Status“ anschauen können. Die Zahlen für die Masern-Mumps-Röteln-Impfung sind an den Waldorfschulen dort schockierend niedrig: Sie liegen zwischen 70 und 80 Prozent. Der übliche Schnitt an öffentlichen Schulen liegt bei über 99 Prozent.

Um einen Herdenschutz bei Masern zu erreichen, ist eine Impfrate von 95 Prozent erforderlich. Einzelnen Berichten von Betroffenen und Eltern zufolge liegen diese Zahlen auch in Deutschland deutlich unter den notwendigen Werten, um jene zu schützen, die (noch) nicht geimpft werden können. Das war an meiner Schule auch nicht anders.

Ich bekam alles: Masern, Röteln, Scharlach, Windpocken, Mumps

Meine Eltern hatten sich in der Zwischenzeit getrennt und meine Mutter befand sich in den Fängen der Esoterik. Also wurde ich nicht nur krank, ich wurde auch nicht mit wirksamen Medikamenten behandelt. Welche Krankheiten bekam ich?

Ich hatte Masern, angeblich zweimal, nachvollziehen kann ich das heute nicht mehr.
Ich kann mich nur noch an das fürchterliche Jucken erinnern – und nicht einmal das durfte wirklich wirksam behandelt werden. Ich bekam also Globuli, Wadenwickel und Kleiebäder. Die Kleiebäder halfen kaum gegen das Jucken, und sogar Wadenwickel zum Senken von Fieber wurden selten eingesetzt. Irgendwann wurde ich wieder gesund, und natürlich war das eine Bestätigung für meine ganze Umgebung, dass der Weg der richtige war. Röteln hatte ich fast unbemerkt, wir sind damals überhaupt nur draufgekommen, weil ich einen „komischen Ausschlag“ am Bauch hatte und deshalb meine Mutter nicht im Krankenhaus besuchen durfte. Scharlach ohne evidenzbasierte Medizin war furchtbar. Normalerweise wird Scharlach als bakterielle Infektion mit Antibiotika behandelt, aber anthroposophische Ärzt:innen sehen das als „Schummeln“ an – die Selbstheilungskräfte des Körpers sollen wirken. Windpocken hatte ich mehrfach und empfand sie als fast noch schlimmer als Masern.

Mir ging es dreckig

Am allerschlimmsten hat es mich aber mit Mumps erwischt. Sechs Wochen Bettruhe im dunklen Zimmer, mir ging es richtig dreckig. Und dabei wurde ich von unserem Kinderarzt anthroposophisch-medizinisch geleitet. Also wurde das Fieber nicht gesenkt, weil es angeblich so „wichtig für die Bekämpfung der Krankheit“ war – und auch die Symptome wurden kaum bekämpft. Das Ganze wird von Waldorfeltern gerne mit einer anstrengenden Bergwanderung verglichen, aber ich kann euch versichern, dass das absolut gar nichts mit einer Bergwanderung zu tun hat. Eine Bergwanderung ist anstrengend, aber am Gipfel wird man mit einer guten Aussicht belohnt, isst eine nette Jause und macht sich auf den Heimweg. Hoffentlich ohne gröbere gesundheitliche Schäden. Und meistens ist so eine Wanderung auch an einem Tag erledigt. Bei einer Bergwanderung liegt man nicht mit glühendem, schmerzendem Kopf im Bett und wünscht sich nur noch zu sterben. Mein Hals war so angeschwollen, dass schlucken kaum mehr möglich war, ich konnte meinen Kopf nur noch wenig bewegen. Mein Zimmer war verdunkelt, weil jedes Licht meine Kopfschmerzen verschlimmerte. Rückblickend betrachtet klingt das für mich so, als hätte ich eine Hirnhautentzündung gehabt. Das ist bei einer Mumpsinfektion nicht unwahrscheinlich, besonders, wenn das kranke Kind keine entzündungshemmenden Medikamente bekommt. Um mich abzulenken, schrieben mir meine Mitschüler:innen Briefe, die ich aber im dunklen Zimmer nicht lesen konnte. Nach sechs Wochen durfte ich wieder in die Schule. So richtig gesund war ich dann aber noch lange nicht.

Fürsorge und Aurafotografie

Es ist auch nicht so, als hätte ich ein besonders gutes Immunsystem davongetragen, was ja Impfgegner:innen immer wieder als Vorteil nennen. Jahrelang habe ich mir jeden Infekt eingefangen, der auch nur irgendwie in meiner Umgebung unterwegs war.

Das hätte alles nicht sein müssen. Gegen MMR gab es auch in den 80ern schon eine wirksame Impfung, bei Scharlach helfen Antibiotika. Fiebersenkende Mittel und Schmerzmittel können immer eingesetzt werden, gegen den Juckreiz gibt es ebenfalls evidenzbasierte Mittel.

Waldorfeltern kümmern sich oft hingebungsvoll um ihre kranken Kinder, und meine Mutter war keine Ausnahme. Ich habe mich selten in meinem Leben so umsorgt gefühlt! Meine Mutter war wie viele Waldorfeltern überzeugt, dass die sogenannten Kinderkrankheiten karmisch notwendig sind. Dass Kinder, die diese Krankheiten nicht durchmachen, einen echten Nachteil haben. Sie leiden mit ihren Kindern, und jede wirkungslose Salbe, jedes nutzlose Zuckerkügelchen sind ein echter Liebesbeweis. Der Berg muss erwandert werden. Abkürzungen sind schlecht fürs Karma.

Und ganz klar: Das ist natürlich keine Entschuldigung, seine Kinder nicht vor Krankheiten zu schützen oder sie homöopathisch gegen Masern zu behandeln. Ich verstehe bis heute nicht, wie es meine Mutter geschafft hat, meinem Bruder und mir beim Leiden zuzuschauen und uns keine wirksamen Medikamente zu geben.

Leider war es mit den Infektionskrankheiten noch lange nicht getan. Meine Mutter war überzeugt, dass meine Allergien und meine Asthmaanfälle auf das Trennungstrauma nach der Scheidung zurückgingen, und deshalb versuchte sie alles, um mich „ganzheitlich“ zu heilen. Ich bekam also Zuckerkugeln. Und Bachblüten. Das wirkte natürlich alles nicht, also gingen wir zu einem Heilpraktiker. Als Alleinerziehende hatte meine Mutter wirklich kein Geld übrig, aber sie sparte, wo sie konnte. Dort wurde die Aura meiner Füße fotografiert, um den Zustand meiner Organe zu begutachten, Akupunkturnadeln in meine Ohren gesetzt und ein paar Mal wurde ich auch geschröpft. Also tatsächlich, nicht nur im übertragenen Sinne. Geholfen hat es nicht. Meine Allergien wurden nur schlimmer und zum Glück bekam ich gegen meine Asthmaanfälle vom anthroposophischen Arzt ein tatsächlich wirksames Asthmaspray verschrieben. Leider war meine Mutter zu diesem Zeitpunkt viel zu tief in der Esoterik, um damit aufzuhören, und so warf sie noch jahrelang verschiedenen Scharlatanen Geld in den Rachen.

Unnötige Gefahren

Welche Auswirkungen hatte das auf mich? Ich habe der Homöopathie (und jeder anderen Art der Esoterik) den Rücken gekehrt. Meine Kinder kennen die Zuckerkugeln gar nicht. Geblieben ist eine Scheu vor Ärzt:innen. Ich nehme Medikamente oder gehe zu Ärzt:innen nur dann, wenn es „wirklich sein muss“. Meine Kinder sind geimpft und ich habe meine Impfungen nachholen lassen. Ich hatte Glück, denn ich habe soweit ich weiß keine bleibenden körperlichen Schäden davongetragen. Andere hatten nicht so viel Glück. Und die Kinder, die (noch) nicht geimpft werden können, werden so Gefahren ausgesetzt, die überhaupt nicht nötig wären. Denn die Impfungen wirken. Und die solidarische, gemeinschaftliche Schutzwirkung (die sogenannte Herdenimmunität) kann sich nur entfalten, wenn genug Menschen geimpft sind. In Österreich sind diese Zahlen seit 2020 leider auch in der allgemeinen Bevölkerung auf ein dramatisch niedriges Niveau gesunken. Auch an öffentlichen Schulen wird die Schutzwirkung teilweise nicht mehr erreicht.

Zuhören und aufklären

Und was hat meine Geschichte mit dem eingangs erwähnten Diphtherie-Fall zu tun?
Wir waren diese Kinder. Wir sind durch dieses unnötige Leid durchgegangen. Manche von uns waren Schlagzeilen, manche von uns waren einen Krankenhausbesuch davon entfernt, zu einer Schlagzeile zu werden. Ich denke, ich hätte mit Mumps eigentlich im Krankenhaus landen sollen, und hätte eine Schlagzeile werden können – genauso eine wie die, über die sich gerade in den sozialen Medien lustig gemacht wird.

Deshalb an dieser Stelle ein Hinweis an alle, die sich nicht ansatzweise vorstellen können, wie viel Leid hinter so einer Schlagzeile steckt: Bitte seid so fair und hört lieber zuerst Betroffenen zu! Eltern machen sich die Entscheidung nicht leicht. „Nicht impfen“ ist selten eine eindimensionale Angst vor Impfschäden und hat gerade an Waldorfschulen viel mit „Krankheiten als notwendiger Entwicklungsschritt“ zu tun.

Viele von uns nutzen ihre Zeit und Energie für Aufklärung über Anthroposophie und Esoterik. Wir machen uns damit euch gegenüber sehr verletzlich. Wir tun das, weil wir es für wirklich wichtig halten. Was ihr machen könnt, ist uns mit ein bisschen Empathie zu begegnen. Lest die Berichte von Betroffenen. Hört uns zu. Und werdet zu unseren Verbündeten.

Bei Freund:innen oder Verwandten, die für esoterische Ideen offen sind, höre ich einfach zu. Ich sage ihnen, was ich von derartigen Ideen halte, aber ich mache ihnen keine Vorwürfe. Und ich werde sie niemals als „dumm“ darstellen. Ich kläre auf, und ich erzähle meine Geschichte.

Und wenn ihr das nächste Mal hört, dass „Globuli keinen Schaden anrichten“? Seid so lieb und erzählt auch meine Geschichte. Ich bin kein Einzelfall, meine Geschichte steht exemplarisch für so viele. Und wir können der nächsten Generation helfen. Wir müssen.

Dieser Artikel ist die überarbeitete und erweiterte Version des Textes „Kinderkrankheiten als Karma? Aufwachsen mit Schwurbel-Medizin“ auf Skeptix.

Zum Weiterlesen:
Natalie Grams „Was wirklich wirkt: Kompass durch die Welt der sanften Medizin“ 2020, Aufbau Verlag

Zum Weiterhören:
Waldorf Salat Podcast Folge 2

Quelle Steiner Zitat:
Rudolf Steiner: Vortrag vom 13.12.1906; in: „Die Erkenntnis des Übersinnlichen“

Sarah Grundner ist Podcasterin, Lehrerin, Bloggerin, Mama und klärt über die Waldorfschule auf.

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