Morbus Crohn am Arbeitsplatz
Vollzeit arbeiten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung: Das ist meine Geschichte. Von Tugba Kuran
Ich sehe vielleicht auf den ersten Blick nicht krank aus, aber ich bin krank. Vielleicht sehe ich auch nicht wie eine Person aus, die tagtäglich ihre inneren Dämonen und Ängste besiegt, aber ich tue es. Ich sehe vielleicht nicht wie eine Person aus, die etwas zu sagen hat, aber ich habe viel zu sagen, insbesondere zu chronisch entzündlicher Darmerkrankung (CED).
Ich bin Tugba und ich bin 30 Jahre jung. Im März 2022 habe ich die Diagnose Morbus Crohn bekommen. Anfangs zog mir die Diagnose den Boden unter den Füßen weg. Mir war nicht klar, wie es nun mit meinem Leben, insbesondere meinem Arbeitsleben, weitergehen würde. Ich hatte immer schon viele Ziele und Träume – allerdings wurden diese von der Diagnose überschattet. Ich wusste, dass mein künftiges Leben und die Umstände, die ich gewohnt war, nicht mehr dieselben sein werden. Dennoch wollte und konnte ich mich nicht meiner Erkrankung ergeben.
Morbus Crohn in der Anwaltskanzlei
Meine chronisch entzündliche Darmerkrankung begleitet mich immer – auch, wenn ich im Büro vor dem Computer sitze. Aktuell bin ich in einer renommierten Wirtschaftsstrafrechtskanzlei in der Inneren Stadt im Backoffice bzw. als Teamassistentin tätig. Anfangs war ich im Zwiespalt, ob ich meine CED offen kommunizieren soll, da ich Angst hatte, abgelehnt zu werden. Schließlich können sich die meisten Menschen unter diesem Begriff wenig bis nichts vorstellen. Diese Tatsache ermutigte mich schließlich nur noch mehr, offen und transparent in Bezug auf meine Erkrankung zu sein: Ich informierte meine Vorgesetzten ausführlich über meine CED, sodass sie auf ein Worst-Case-Szenario, sprich auf einen akuten Schub während der Arbeit, vorbereitet sind.
Dass man dann tatsächlich auf verständnisvolle und empathische Vorgesetzte trifft, ist nicht selbstverständlich. In meinem Fall ist es ein Privileg, das ich jeden Tag aufs Neue zu schätzen weiß. Mein Alltag mit Morbus Crohn ist alles andere als einfach und rosig, aber der Arbeitsplatz kann den Umgang damit leichter machen, wenn die notwendigen Voraussetzungen erfüllt werden – sowohl von Arbeitgeber*innen, als auch von Arbeitnehmer*innen. Allerdings heißt das nicht, dass ich bei der Arbeit keine Trigger, keine Panikattacken und keine Angstzustände hätte.
Ein Tag mit vielen Klogängen und Bauchweh
Betroffene haben oftmals viele Klogänge, die sie bei der Berechnung des Tagesablaufes miteinbeziehen müssen, sei es früh morgens, während der Arbeit oder danach. Je früher ich aufstehe, umso mehr Zeit habe ich, mich psychisch und physisch – vor allem physisch – auf die bevorstehende Verantwortung vorzubereiten und die damit einhergehenden Stressfaktoren, sprich vermehrte Klogänge und Bauchschmerzen zeitlich einzuplanen, sodass ich auf dem Weg zur Arbeit nicht überrascht werde – was nicht immer funktioniert! Die Erkrankung ist unberechenbar und kann dafür sorgen, dass man Angstzustände entwickelt, die eine*n verzweifeln lassen. Zumal ich auch aus diesem Grund in der Früh oder während der Arbeit unter Strom stehe.
Tatsächlich sitze ich auch an schlechten Tagen mit Bauchschmerzen und Abgeschlagenheit an meinem Tisch und versuche 100% zu geben, obwohl mir bewusst ist, dass das gar nicht möglich ist. An meinen ganz schlechten Tagen habe ich die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Mittlerweile ist das in vielen Betrieben, unabhängig davon, ob man chronisch kranke Mitarbeiter*innen hat oder nicht, eine Selbstverständlichkeit, sofern man in einem Büro oder dergleichen tätig ist.
Am Ende meines Arbeitstages bin ich oftmals erschöpft und einfach nur ausgelaugt, womit sich viele identifizieren können. Betroffene von Morbus Crohn fühlen sich allerdings bereits nach dem Klogang oftmals erschöpft, entkräftet und angeschlagen. Hinzu kommt der psychische Druck, der auf einem lastet und die ständige Befürchtung, dass es schlimmer werden kann, sodass man irgendwann nicht mehr in der Lage wäre, Vollzeit zu arbeiten, geschweige denn überhaupt zu arbeiten. Dieser Druck ist massiv, wirklich nachvollziehen können ihn nur chronisch kranke oder kranke Personen. Zumal sich die Erkrankung auch auf die psychische Gesundheit auswirkt. Ein Verständnis der Kolleg*innen ist dementsprechend enorm wichtig.
Am Ende meines Tages blicke ich auf die frühen Morgenstunden zurück, in denen ich Schmerzen, Übelkeit und Krämpfe hatte und bin in der Nachbetrachtung froh, dass ich den Tag trotz der gegebenen Umstände gemeistert habe.
Ich bin mehr als meine CED
Abgesehen von all den Hürden und der Herausforderung, das Leben mit einer CED zu meistern, bin ich stolz auf meinen Körper für alles, was er für mich tut. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, einem Vollzeitjob nachgehen und eine Routine haben zu können. Das soll keineswegs andere Betroffene abwerten, die nicht Vollzeit arbeiten oder allgemein nicht arbeiten, sondern lediglich Mut und Hoffnung machen, dass es selbst mit einer chronischen Erkrankung möglich sein kann, ein halbwegs normales und zufriedenes Leben zu führen. Oftmals wird auch vergessen, dass die CED viele Gesichter hat und bei allen Betroffenen individuell ausgeprägt ist. Ich halte mir vor Augen, dass es schlimmer sein könnte. Die Tatsache, dass ich Verantwortungen in meinem Leben habe, wie zum Beispiel meine Arbeit, und ich mit meinen Gedanken nicht nur auf meine Erkrankung fokussiert bin, lässt mich des Öfteren glauben, dass ich gar nicht krank bin.
Doch ich muss auch der Realität ins Auge schauen: Im Vergleich zu einem gesunden Menschen verfüge ich über weniger Energie und Ressourcen. Tatsächlich bin ich mit meinem Vollzeitjob sowohl körperlich als auch geistig an meiner Grenze. Ich freue mich dann besonders, wenn ich mal mehr Kraft und Energie habe meinen Hobbys nachzugehen und Unternehmungen zu tätigen. Meine chronisch entzündliche Darmerkrankung ist ein Teil von mir. Ein Teil, der meinen Körper unberechenbar macht und ihn unangekündigt außer Gefecht setzt, sodass ich kapituliere. Aber dann erinnere ich mich, dass ich viel mehr bin als meine Erkrankung. Und ich liebe es mit meiner CED ein Teil der Gesellschaft zu sein, die jeden Tag ihren Zielen – auch wenn es langsam ist – näher kommt.
Tuba, 30, genießt das Leben, trotz ihrer CED. Das Foto entstand in ihrer Mittagspause in der Inneren Stadt.