„Müsste ich leiden?“
Schwangerschaftsabbrüche werden meist mit Konflikten und Leid verbunden – für Gefühle der Erleichterung bleibt da wenig Platz. Künstlerin und Kulturwissenschafterin Franzis Kabisch und Psychologin Miriam Gertz über Abtreibung im Film, konservative Sehgewohnheiten und feministischen Widerstand. Interview: Stephanie Damianitsch
Das Gespräch wurde Anfang 2022 im Rahmen der Präsentation des Cathrin-Pichler-Preises im Exhibit Forum der Akademie der bildenden Künste Wien durchgeführt.
Stephanie Damianitsch: Franzis, wie bist du auf dein Forschungsthema Abtreibung im Film gestoßen?
Franzis Kabisch: Das war eine Kombination aus meiner eigenen Abtreibung vor sieben Jahren und meinem Kunststudium, in dem ich mich viel mit Filmen und Repräsentation beschäftigt habe. Meine eigene Erfahrung des Abbruchs war damals sehr gut und erleichternd, aber genau das habe ich als Narrativ nirgendwo wiedergefunden. Nun beschäftige ich mich schon zwei Jahre sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich mit dem Thema. Und ich kann sagen: Es gibt gar nicht so wenig zu dem Thema, es wird nur kaum besprochen und deshalb schnell wieder vergessen.
S.D.: Warum setzt du dich mit dem Schwangerschaftsabbruch auseinander, Miriam?
Miriam Gertz: Ich habe vor vielen Jahren im Psychologie-Studium ein Praktikum beim Frauengesundheitszentrum in Wien gemacht. Davor habe ich nie darüber nachgedacht, ob der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch auch in Österreich schwierig sein könnte. Und dann war ich mit sehr vielen Frauen konfrontiert, die bei uns angerufen haben. Ich habe gemerkt, dass die Versorgungslage ziemlich intransparent ist und dass die Spitäler kaum Kapazitäten für Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen. Durch die Pandemie hat sich das noch einmal verschärft.
Gleichzeitig habe ich die Erfahrung als Mutter, ich hatte damals schon eine Schwangerschaft und Geburt erlebt und wusste, was das für eine enorme Belastung ist – körperlich, psychisch, wie viel Zeit und Energie das in Anspruch nimmt. Da fand ich die Vorstellung, dazu gezwungen zu werden, so krass. Das hat mich nochmal ein Stück politisiert. Es ist wirklich wichtig, dass der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen frei und offen und niederschwellig ist. Und so habe ich dann begonnen, auch mein Psychologie-Studium auf diesen Schwerpunkt hin auszurichten.
S.D.: In euren beiden Antworten zeigt sich, dass Abtreibung als Thema unter der Oberfläche eine große Rolle spielt, aber dass es eben an Sichtbarkeit fehlt. Spielst du mit dem Titel deiner Forschungsarbeit, Between Images, auch darauf an, Franzis?
F.K.: Ja, ich hatte den Titel ursprünglich als Arbeitstitel gewählt, damals noch in der Annahme, dass Abtreibungen in Spielfilmen und Serien nur selten gezeigt und thematisiert werden. Als ich gemerkt habe, dass es doch mehr gibt, hat der Titel immer noch gepasst, weil diese Darstellungen trotz ihrem Vorhandensein unsichtbar bleiben, quasi in kulturelle Gedächtnislücken fallen. Und ich glaube nicht, dass das Zufall ist, sondern ein Resultat gesellschaftlicher Tabuisierung und auch rechter Strategien. Denn das Problem ist, dass dort, wo es keine feministischen Repräsentationen gibt, eine strategisch geplante, rechte, fundamentalistische Bildpolitik quasi schon bereitsteht. Diese dominiert dann das visuelle Feld zu Abtreibungen und hat kaum Gegenentwürfe – aufgrund von Stigmatisierung, aber auch weil erstmal neue Bilder geprägt werden müssen, die der Komplexität gerecht werden; Bilder, die den biografischen Prozess abbilden und Abtreibung nicht auf ein Gefühl oder ein Schlagwort reduzieren.
Ich habe mich auf wissenschaftlicher Ebene viel mit Forschungen zu visuellen Kulturen auseinandergesetzt, die nicht davon ausgehen, dass Sichtbarkeit immer unbedingt besser ist. Stattdessen kann Sichtbarkeit auch ausliefernd sein, genauso wie Unsichtbarkeit auch eine Strategie, z.B. zum eigenen Schutz sein kann. Mithilfe dieser Forschungen möchte ich eine Komplexität in die Analyse bringen und fragen: Ist es besser, wenn es viele Darstellungen von Abtreibungen gibt? Was, wenn diese vielen Darstellungen aber von Klischees und Stereotypen durchzogen sind? Sollen andere Bilder, andere Versuche dagegen oder dazwischen gestellt werden?
S.D.: Welche Klischees und Stereotypen sind in Filmen und Serien die dominantesten?
F.K.: Es hat natürlich viel mit dem Genre zu tun, aber am häufigsten gibt es eine Überbetonung der emotionalen Auseinandersetzungen, also dass eine ungewollte Schwangerschaft immer eine Krise bedeutet. Die ungewollt schwangere Person weiß oft nicht, was sie will. Oder sie weiß, was sie will, aber das führt zu Stress in ihrem Umfeld. Der Mann wird oft zu ihrem Antagonisten, er zwingt sie entweder zur Abtreibung oder besteht darauf, „sein Kind“ haben zu wollen.
Diese Ausschlachtung der emotionalen Storylines – oft in Melodramen oder Soaps – steht dann im Kontrast dazu, dass die Barrieren, die tatsächlich bestehen, also Gesetzgebungen, Kosten, Logistik, eher verschwiegen und nicht gezeigt werden. Es wird also ein privater Wertekonflikt inszeniert statt ein gesellschaftlicher Machtkonflikt. Wirklich selten sehen wir eine Figur, die sagt, sie möchte einen Abbruch, und ihn dann auch ohne Probleme bekommt – weil das erzähllogisch im Fernsehen nicht spannend genug ist. Das heißt, wenn Abtreibungen in den Plot eingebaut werden, müssen sie sehr groß thematisiert werden, denn sonst verschwenden sie wertvolle Minuten. Es lohnt sich nicht, sie nur als Nebenstory zu erzählen. Und das ist auch das Dilemma, das ich sehr interessant finde, nämlich dass so Nuancen dazwischen wegfallen. Entweder Überdramatisierung oder Auslassung. Aber es gibt ein Beispiel, die Serie Shrill, bei der die Drehbuchautorin Lindy West diese Logik zum Thema Abtreibung herausgefordert hat. Sie hat für die Figur einen Abbruch in der allerersten Folge dieser Serie geskriptet, der total unspektakulär ist und danach auch keine große Rolle mehr spielt. In einem Interview meinte sie, sie wollte wirklich boring TV machen.
M.G.: Der Punkt, dass die finanzielle Hürde zu wenig dramatisiert wird, ist ein wichtiger. In meiner Erfahrung im Ambulatorium war das eins der häufigsten Dramen. Ein Schwangerschaftsabbruch kostet in einem privaten Ambulatorium zwischen 500 und 650 Euro, das ist eine Stange Geld. Und die Krankenkassa zahlt nichts. In wenigen Fällen gibt es eine Unterstützung vom Sozialamt. Deswegen kam es auch immer wieder vor, dass ein Termin verschoben werden musste, bis das Geld aufgetrieben war. Ich denke die Bilder im Kopf spielen außerdem eine große Rolle. In der Serie Please Like Me kommt ein medikamentöser Abbruch zuhause vor und ja, es tut auch irgendwie weh und es ist nicht angenehm, aber sie haben trotzdem sogar Spaß in der Situation. Und das ist okay. Solche Bilder hat einfach, glaube ich, niemand im Kopf. Es gibt immer die Annahme, ungewollt schwangere Personen müssen leiden, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch machen. Das gehört scheinbar dazu. Wenn ich Menschen von meiner Arbeit erzählt habe, kamen oft Reaktionen: Wow, das ist ja eine heftige Arbeit. Aber es war schön mit den Klient*innen diese Momente der Erleichterung mitzubekommen, sie dabei unterstützen zu können. Klar, es gibt auch dramatische Momente, aber wo gibt’s die nicht?
F.K.: Ich beziehe mich oft auf Miriams Forschung im Rahmen ihrer Master-Arbeit. Da gab es ein Ergebnis, dass sich viele Leute nach dem Abbruch eigentlich gut fühlen und sich dann aber schlecht fühlen, weil sie sich gut fühlen. Das hat sehr viel damit zu tun, welche emotionalen Vorbilder oder Möglichkeiten es gesellschaftlich gibt. Und solange es da keine Option ist, Erleichterung oder einfach ein gutes Gefühl danach zu spüren, bleibt die Unsicherheit, ob etwas falsch mit mir ist, weil ich nicht trauere oder traumatisiert bin.
M.G.: An diesem Punkt geht’s um das Mutterschafts-Ideal, das einfach nach wie vor sehr präsent ist. Nach der Geburt müssten Mütter sofort in Mutterliebe aufgehen, so die Erzählung. Wenn das so nicht stattfindet, sondern erstmal Überforderung, Schmerz, Ambivalenz, Trauer da sind, was völlig normal ist, fühlen sich Frauen oft schlecht. Dasselbe passiert beim Schwangerschaftsabbruch unter umgekehrten Vorzeichen. Wenn da nur Erleichterung ist, kommt der Gedanke auf: Ist das nicht irgendwie abnormal? Müsste ich leiden? Oder es wird auch von außen gesagt: Na, die ist aber kaltherzig, emotionslos oder krank.
S.D.: Franzis, du hast in einem deiner Artikel von dem sogenannten male gaze gesprochen. Wie prägt dieser Vorstellungen von Abtreibungen?
F.K.: Was oft an mich herangetragen wird, ist die Frage: Wie geht es denn besser? Brauchen wir zum Beispiel mehr Frauen hinter der Kamera oder auf dem Regiestuhl? Und natürlich würde ich sagen „Ja, das sowieso“, aber bei den Produktionen, die ich gesichtet habe, gibt es auch viele Regisseurinnen und die wiederholen zum Teil die gleichen Muster. Was es eigentlich braucht, ist eine feministische Positionierung. Durch unsere Sozialisierung wachsen wir ja in die bestehenden Sehgewohnheiten rein und ich nehme als cis Frau nicht automatisch eine andere Perspektive ein. Das muss ich mir auch erst erarbeiten, durch Austausch, Analyse und das Umcodieren von Bildbedeutungen. Der male gaze dominiert das visuelle Feld von Abtreibungen so stark, dass er gar nicht hinterfragt wird. Um sich dagegen zu positionieren, muss man schon sehr bewusst andere Informationen suchen.
Mich ärgert es übrigens, wenn vor Sendungen oder dokumentarischen Berichten zum Thema Schwangerschaftsabbruch eine Warnung ausgesprochen wird. Triggerwarnungen oder Content Notes haben absolut eine Berechtigung, aber hier werden sie oft eingesetzt, um danach besonders dramatisch über das Thema zu berichten und individuelle Schicksale auszuschlachten. Stattdessen könnte sich die Berichterstattung ja auch auf die Aspekte konzentrieren, die die Erfahrung des Abbruchs so unangenehm machen und dann eine Triggerwarnung für das Patriarchat oder eine Triggerwarnung für fundamentalistische Gewalt aussprechen.
S.D.: Franzis, du arbeitest nicht nur künstlerisch-wissenschaftlich zum Thema Abtreibung, sondern bist auch aktivistisch unterwegs.
F.K.: Zum einen haben Miriam, ich und einige andere 2019 die Gruppe „Pro Choice Austria“ gegründet, um einen Diskurs für einen freien Schwangerschaftsabbruch in Österreich zu prägen. In der sind wir leider beide nicht mehr aktiv, aber die Gruppe macht wirklich tolle Arbeit. Und zum anderen habe ich zu Beginn der Pandemie mit mehreren Aktivist*innen in ganz Deutschland eine Social-Media-Kampagne ins Leben gerufen, „Mehr als du denkst“. Unser Ziel ist es, Mythen und Halbwissen über Schwangerschaftsabbrüche mit Zahlen, Daten und Statistiken zu begegnen. Dafür recherchieren wir wissenschaftliche Quellen und bereiten diese grafisch auf. Zusätzlich machen wir auch Postkartenreihen, zum Beispiel über Aktivist*innen, Kämpfer*innen, Ärzt*innen, die sich, angefangen im 19. Jahrhundert, gegen die Abtreibungsparagrafen eingesetzt haben. Oder eine Reihe zu anderen Ländern mit progressiverer Gesetzgebung, quasi als Wink mit dem Zaunpfahl an die deutsche Politik.
S.D.: Die Gesetzgebung zu Abtreibung ist aktuell in vielen Ländern Thema. Inwiefern beeinflusst die internationale Politik eure Arbeit?
M.G.: Es ist enorm wichtig, das Thema international im Blick zu haben. Auch deshalb, weil es unglaublich viel Bewegung gibt, Reisen in andere Länder, um Abtreibungen durchzuführen. Je strenger in Polen die Gesetze werden, desto mehr Frauen kommen aus Polen nach Österreich. Genauso fahren aber ungewollt Schwangere aus Österreich z.B. in die Niederlande oder nach England, um nach der 14. Schwangerschaftswoche einen Abbruch machen zu lassen. Wir können also den Schwangerschaftsabbruch nie nur innerhalb nationaler Grenzen denken.
Frage aus dem Publikum: Vor einiger Zeit habe ich in einer Dokumentation gesehen, dass in der Pro-Life-Bewegung auch ganz junge Leute involviert sind. Und dass die Anti-Abtreibungs-Ideologie oftmals hinter sehr stark visuellen Botschaften mit religiöser Haltung versteckt ist. Haben Sie auch überlegt, sich anzuschauen, wie diese Propaganda visuell funktioniert?
F.K.: Ich komme quasi nicht umhin, mich damit auseinanderzusetzen. Auf rechter Seite gibt es zwei wesentliche Strategien. Die eine geht in die Richtung zerstückelte Föten, Blut, Trauma, Drama. Die andere in die Richtung Kindchen-Schema, glückliche Familie, Vater, Mutter, Kind. Beide verfolgen eigene Ziele, aber sind auf ihre Weise leider sehr wirkmächtig. Über bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder 3D-Ultraschall gibt es immer mehr Bilder von Föten, die teilweise schon wie fertige Babys aussehen. Im Fernsehen gibt es manchmal einen ähnlichen Effekt, wenn für die Story einer Frühgeburt ein schon drei Monate altes Baby eingesetzt wird. Das hat natürlich andere Gründe, ein zu früh geborenes Baby kann nicht vom Brutkasten aufs Fernsehset getragen werden, aber Zuschauer*innen speichern sich das so ein. Während feministisch positionierte Medien den Fokus viel mehr auf die ungewollt schwangere Person verlagern, drehen sich die Darstellung von rechten Gruppierungen fast ausschließlich um den Embryo oder Fötus. Er wird so zu einer eigenen Person, losgelöst wird von der schwangeren Person. Es werden zwei Subjekte daraus gemacht werden, obwohl der Fötus bis zur 23., 24. Woche ja gar nicht alleine lebensfähig wäre.