Schlecht behandelt

Wenig Aufklärung, kaum Selbstbestimmung, fehlende Forschung, diskriminierende Behandlung: In der Gynäkologie gibt es vieles, das besser werden muss. Von Bettina Enzenhofer

Pink-lila Graffito mit dem Schriftzug "I would prefer not to"
Artist: be, Foto: Christine Weidhofer

„Die Bedürfnisse von Patient*innen in der Gynäkologie werden in der Regel nicht wahrgenommen“, sagt Nina Schernus vom Feministischen Frauengesundheitszentrum (FFGZ) in Berlin. „Bei uns rufen Frauen an, die mit einer Diagnose aus der Praxis geschickt werden und nicht wissen, was sie eigentlich bedeutet.“ Fehlende Aufklärung sei eines der größten Probleme in der Gynäkologie. Ob es um Myome oder Zellveränderungen am Gebärmutterhals geht, Menstruations- oder PMS-Beschwerden, um Verhütungsmittel oder die Geburt: Schernus kennt genügend Erzählungen von Patient*innen, die nicht ernst genommen, verängstigt, vorschnell weggeschickt oder zu Operationen gedrängt wurden. Ähnliches berichten auch zwei Aktivistinnen von Gynformation, einem Kollektiv für gynäkologische Selbstbestimmung: „Es gibt zwar auch gute Gynäkolog*innen, aber in weiten Teilen wird die Perspektive derjenigen, die eine Behandlung in Anspruch nehmen, nicht berücksichtigt. Das Nicht-ernst-Nehmen führt bis zu Fehlbehandlungen, weil Krankheiten nicht erkannt werden, oder der Verweigerung einer Behandlung, beispielsweise von HIV-positiven Personen oder Sexarbeiter*innen.“ Gynformation sollte empowern und sich auf positive Erfahrungen konzentrieren, so die Gründungsidee. „Doch als wir unserem Umfeld von dieser Idee erzählt haben, kam von allen sofort eine schlimme Geschichte: Viele kennen aus der gynäkologischen Versorgung Sexismus, emotionale oder körperliche Übergriffe, moralisierende Bemerkungen, unangemessene Kommentare, Fatshaming, oder das Aufdrücken der eigenen Meinung, wenn es zum Beispiel darum geht, ob man die Pille nehmen soll.“

Sexismus, Rassismus, Ableismus

All das ist nicht neu: Die Frauengesundheitsbewegung kritisiert die patriarchale Gynäkologie, die fehlende Selbstbestimmung und die Medikalisierung – etwa in Zeiten von Schwangerschaft, Geburt oder Menopause – seit Jahrzehnten. Der Überversorgung gesunder Körper steht eine gesundheitspolitische Unterversorgung gegenüber: zu wenig Gynäkologinnen, zu wenig Kassenärzt*innen, zu wenig Zeit für Patient*innen. Das Abhängigkeits- und Machtverhältnis zwischen Ärzt*in und Patient*in macht es äußerst schwierig, eine Behandlung abzulehnen oder kritisch nachzufragen. „Herrschaftsverhältnisse wie Sexismus, Ableismus, Rassismus werden in der Gynäkologie potenziert“, so die Gynformation-Aktivistinnen. „Wir müssen auch mitdenken, auf wessen Rücken die Gynäkologie aufgebaut wurde: Die Antibabypille wurde an Women of Color getestet, das Spekulum an versklavten Frauen.“

Erst im März berichtete die Ärztin und Journalistin Gilda Sahebi in der „taz“ von strukturellem Rassismus in der Gynäkologie. Denn auch wenn es hierzu in Deutschland (anders als etwa in den USA) keine Daten gebe: „Von schlechter Beratung über abwertende Kommentare bis hin zu Vorurteilen“ – die Erfahrungsberichte von Patient innen zeichnen ein deutliches Bild. 

Auch Patient*innen mit Behinderungen erleben Diskriminierung in der Gynäkologie. „Einer Klientin mit Spasmus wurde von ihrer Gynäkologin gesagt, sie würde sie nicht untersuchen, weil ihr das zu heikel sei“, sagt lsabell Naronnig von der Peer-Beratungsstelle Zeitlupe. „Wenn eine Ärztin so etwas sagt, verunsichert das die Patientin. Sie glaubt dann, dass das immer so sein wird, und sucht keine andere Praxis. Ich habe meiner Klientin gesagt, dass sie ein Recht auf eine Behandlung hat.“ Zu oft werde Frauen mit Behinderungen ihre Sexualität abgesprochen und eine gute gynäkologische Versorgung als nicht notwendig angesehen. Wenn Frauen mit Lernschwierigkeiten zu Naronnig in die Beratung kommen, erklärt sie ihnen, was bei der Untersuchung passieren wird: „Sie dürfen ihre Bedürfnisse äußern, ,Nein‘ sagen oder ,Ich verstehe das noch nicht‘. Ein gynäkologischer Besuch kann triggern, insbesondere dann, wenn die Klientin in ihrem Leben bereits sexualisierter Gewalt ausgesetzt war – was bei Frauen mit Behinderungen besonders oft der Fall ist.“

Keine Finanzierung

Fehl- und Unterversorgung entsteht auch dadurch, dass bestimmte Krankheiten zu wenig erforscht und gelehrt werden: Zehn bis 15 Prozent aller Menschen mit Gebärmutter haben zwischen Pubertät und Menopause zum Beispiel Endometriose. Trotzdem ist diese chronische Erkrankung untererforscht, das Wissen selbst unter Gynäkolog*innen mangelhaft. Im Schnitt dauert es zehn Jahre, bis starke Regelschmerzen – ein typisches Endometriose-Symptom – körperlich abgeklärt werden. Dass Beschwerden nicht ernst genommen werden – das kennen auch Personen mit dem ebenso untererforschten Polyzystischen OvariaIsyndrom, die mitunter hören, sie sollen einfach mal abnehmen. Grundsätzlich sei die gynäkologische Forschung sehr fortpflanzungsorientiert, so Schernus vom FFGZ. „Oft wird auch in Schwangerschaft als Allheilmittel empfohlen. Das missachtet die individuelle Entscheidungskompetenz.“

Oft bleibt als einzige Möglichkeit, um mit der eigenen Erkrankung korrekt behandelt zu werden, Spezialist*innen aufzusuchen, die allerdings meist Wahlärzt*innen sind. Doch dazu muss erst mal bekannt sein, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt – und man muss es sich leisten können. 
Auch in der Geburtshilfe ist die finanzielle Situation mitentscheidend, wie Carla Heher erzählt: „Von meiner ersten Geburt weiß ich, welche erniedrigenden Praxen und Übergriffe es während der Geburt geben kann. Es ist eine Massenabfertigung, bei der die Gebärenden nicht im Mittelpunkt stehen. ,Nein‘ heißt nicht ,Nein‘ in der Geburtshilfe.“ Ihre guten Erfahrungen bei der zweiten Geburt habe sie sich „teuer erkauft mit einer Hebamme. Geld sollte aber in der Geburtshilfe keine Rolle spielen. Es braucht niederschwellige Zugänge, man soll sich nicht alle Informationen selbst organisieren müssen.“

Hetero- und cis-normativ

Nicht alle Patient*innen in der „Frauenheilkunde“ sind Frauen, nicht alle sind hetero. Trans, inter oder nicht-binäre Patient*innen sind genauso zu erwarten wie homo-, bi-oder asexuelle. Werden sie in der Gynäkologie nicht adressiert, so hat das einen Einfluss auf ihre Gesundheit. Will man der behandelnden Person von der eigenen Sexualpraxis erzählen, wenn sie Fragen der gleichgeschlechtlichen Übertragbarkeit von Krankheiten nicht beantworten kann? Kennt sie sich mit Hormonersatztherapie aus? „Ich fand die Gynäkologie immer unangenehm“, sagt Persson Perry Baumgartinger, „und heute würde ich nur mehr im Notfall zu Gynäkolog*innen gehen – dann muss es schon um Leben oder Tod gehen.“ Nach den vorgeschriebenen gewaltvollen Untersuchungen während der Transition ist sein Vertrauen in die Medizin nachhaltig zerstört. „Und wenn ich einen Termin ausmachen würde – wie soll das funktionieren? Das beginnt ja bereits bei meiner Stimme. Wenn ich dann in der Praxis bin, schauen mich aIIe komisch an. Muss ich dann eine Freundin mitnehmen? Gynäkolog*innen haben aber ohnehin wenig Ahnung von genderqueeren Körpern – wir haben meist mehr Expertise über unsere Körper.“

Revolution

Was bräuchte es in der Gynäkologie, um allen Patient*innen eine gute Versorgung zu gewährleisten – und was können Gynäkolog*innen tun? Man muss an der Ausbildung, der Forschung und der Praxis ansetzen, da sind sich meine Gesprächspartner*innen einig. Gynäkolog*innen müssen für spezifische Bedarfe geschult werden, und sie müssen ihre Patient*innen vollständig informieren, um selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen. Spezialist*innen müssen für alle leistbar sein. „Wir leben aber im Kapitalismus. Eigentlich brauchen wir eine queerfeministische, anti-ableistische, dekoloniale Revolution des Gesundheitssystems“, sagen die beiden Gynformation-Aktivistinnen. „Wir müssen Druck aufbauen, Erfahrungen teilen, uns organisieren und stärken, um Veränderung herbeizuführen.“

Gynformation arbeitet derzeit auch an einem Leitfaden für Gynäkolog*innen, um sie zu sensibilisieren. Denn für Punkte wie Achtsamkeit beim Aufhängen von Babyfotos, keine rassistische Praxis-Deko, das Ankündigen von Berührungen oder das Anbringen einer Box für Feedback ist genauso wenig eine Zusatzausbildung notwendig wie für die Auskunft darüber, ob die Praxis mit dem Rollstuhl und für blinde oder gehörlose Menschen barrierefrei ist. Und für Patient*innen kann es den entscheidenden Unterschied machen. 

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge VI/2021.

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