Staat und Geschlecht

Ein offizielles Geschlecht zu haben, ist gesetzliche Vorschrift. Und obwohl trans und inter Personen in den letzten Jahren immer mehr Rechte einklagen konnten, hält der Staat am Zweigeschlechtersystem fest. Persson Perry Baumgartinger über die Geschichte der staatlichen Regulierung von Geschlecht zwischen Vornamenregeln, Gerichtsmedizin und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Interview: Bettina Enzenhofer

Foto von Persson Baumgartinger. Baumgartinger trägt eine Brille, ein graues Sakko und ein oranges T-Shirt.
Persson Perry Baumgartinger, © Jana Madzigon

Bettina Enzenhofer: Sie haben eine Dissertation zur staatlichen Regulierung von Geschlecht am Beispiel trans geschrieben. Wie wird in Österreich Geschlecht reguliert?

Persson Perry Baumgartinger: Prinzipiell geht es bei der staatlichen Regulierung um Personenstandseinträge. Das Personenstandsgesetz sagt, innerhalb von einer Woche muss ein Kind am Amt registriert sein, mit Vorname, Nachname, Geschlechtseintrag. Beim Geschlechtseintrag wird das hingeschrieben, was bei der Geburt zugeordnet wird. Diesem Geschlecht muss auch der erste Vorname entsprechen, die anderen können andere sein. 2018 gab es ein Verfassungsgerichtshoferkenntnis und dann einen Erlass zu inter. Seither gibt es die Optionen männlich, weiblich und divers, wobei man für divers eine medizinische Bestätigung braucht. Das ist eine Pathologisierung, die auch bei trans gemacht wird.

Bei trans Leuten ist seit 2010 jedes Bundesland selbst zuständig. Vorher hat es den ‹Transsexuellen-Erlass› gegeben: Schriftstücke, in denen das Innenministerium verschiedene Kriterien aufgesetzt hat, wie man den Personenstand ändern kann. Das waren menschenrechtsverletzende Vorgaben, die in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen haben.

Wie kam es zu diesem Transsexuellen-Erlass?

Der Erlass ist entstanden, weil es Ende der 1970er-Jahre verhältnismäßig viele Leute gab, die eine Personenstandsänderung eingereicht haben. Die zuständigen Mitarbeiter_innen haben nicht gewusst, was sie machen sollen, deshalb hat sich das Innenministerium etwas überlegen müssen und hat mit Mediziner_innen und Jurist_innen geredet – trans Leute waren nicht dabei. Dieses alte Paradigma wirkt bis heute nach: die Vorstellung, dass Trans-Personen nicht für sich selbst bestimmen könnten, keine Expert_innen seien für trans, dass sie krank seien.
In den 1990ern sind trans Leute nach und nach gegen den Erlass vorgegangen. Denn zuerst gab es eine automatische Auflösung von Ehen. Später wurde der sogenannte Scheidungszwang reingeschrieben. Und zum Schluss sogar Zwangsoperationen. Und obwohl das Innenministerium im Erlass eigentlich nur beschreiben darf, wie Standesbeamt_innen den Personenstand im Geburtenbuch ändern sollen – dass sie zum Beispiel statt M ein F schreiben – haben sie dort viel mehr reingeschrieben. Sie haben trans definiert.

Beim ersten Erlass war noch die Definition von trans und inter drin, kurz darauf war inter plötzlich weg und es ging nur noch um trans. Das heißt, es wurde eine klare staatliche Trennung gemacht zwischen inter und trans. Das sogenannte Zweigeschlechterdispositiv, diese Machtmechanismen und diese bestimmten Definitionen von trans, haben sich dadurch festgeschrieben. So eine Außenwirkung darf ein Erlass eigentlich nicht haben.

2018 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seinem Erkenntnis festgehalten, dass der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister der selbstbestimmten Geschlechtsidentität entsprechen muss. Das Innenministerium hat das später in seinem Erlass eingeengt auf inter Personen – also auch wieder eine staatliche Trennung von trans und inter.

Hier sehe ich Parallelen. Bei trans haben 2009 VfGH und VwGH (Anm.: Verwaltungsgerichtshof) – nachdem trans Frauen geklagt hatten – gesagt, dass das Innenministerium Personenstandsänderungen zulassen muss, auch ohne Operationen wie Sterilisationen oder Genital-OPs. Aber das Innenministerium hat das einfach nicht gemacht. Das kommt uns irgendwie bekannt vor.

Was das Ministerium bei trans und inter macht, ist genau das Gleiche: Schikane. Bei trans Personen hat damals die Gerichtsmedizin geprüft, ob man ein ‹echter Transsexueller› ist. Und das ist genau dieses Denken, das sich auch im inter Erlass findet: Sind das ‹echte› inter Personen? Ich glaube, den inter Erlass kann man genauso vor Gericht bringen wie die Transsexuellenerlässe.

Ich sehe auch eine Parallele zu homofeindlichen Gesetzen. Auch da müssen Personen klagen, damit sich etwas ändert. Wie kann das sein?

Das ist nicht nur in Österreich so. Klagen ist das Einzige, was funktioniert. Eine aktivistische Person hat mir das zu meiner Dissertation auch gesagt: Sie haben als Vereine irrsinnig viel Arbeit gemacht, Unterschriftenlisten, Lobbyarbeit, sie haben geschaut, dass die Sachen ins Parlament kommen, Öffentlichkeitsarbeit gemacht, mit den Medien, auch viel unsichtbare Arbeit. Ich würde sagen, das ist bei der inter Bewegung genauso. Das Einzige, das aber wirklich etwas gebracht hat: Leute, die vor Gericht gegangen sind. Aber ohne diese ganze aktivistische Arbeit wären die Rechtssprüche anders, sie ist also wichtig.

Österreich wurde in Bezug auf inter vom UN-Komitee gegen Folter und zuletzt vom UN-Kinderrechtsausschuss gerügt. Warum wartet die Politik auf Klagen, bis sie etwas tut?

Ich glaube, der Staat Österreich ist nicht so interessiert an Antidiskriminierung. Diese Erfahrung hat man in vielen Bereichen – ob das Enthinderung ist, Rassismus, Rechte für geflüchtete Leute, trans oder inter Leute, in Bezug auf Klassismus etc. Die Politiker_innen wissen das, aber sie denken vermutlich, sie hätten Besseres zu tun.

Heute geht es oft um Toiletten, die Anrede oder die Schreibweise mit Stern oder ­Unterstrich. Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Probleme von trans, inter und nicht binären Personen in Österreich?

Es ist schwierig, eine Hierarchie zu machen. Als Sprachwissenschaftler kann ich nicht sagen, dass Sprache nicht wichtig ist. Ich würde sagen: Gleichzeitigkeiten. Und was wirklich wichtig ist: ‹Nothing about us without us – Nichts über uns ohne uns!›, ein Spruch aus der Enthinderungsbewegung. Also immer zuerst die Leute fragen. Und die nicht nur, weil sie so leben, wie sie leben, sondern auch, weil sie sich mit dem Thema auseinandersetzen und auskennen. Außerdem: die nicht konsensuellen chirurgischen Maßnahmen an inter Kindern sofort stoppen. Ich verstehe überhaupt nicht, was man da noch reden muss. Weg damit! Dann: Der inter Erlass in Österreich muss geändert werden, das ist eh klar. Und man könnte den Leuten auch einfach einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag geben. Wo liegt das Problem? Oder den Geschlechts­eintrag überhaupt mal zurücknehmen. Und schauen, dass die Rechte, die in Österreich gelten, für alle gelten, und nicht nur für österreichische Staatsbürger_innen. Und dass trans Kinder, wenn sie das wollen, medizinische Unterstützung bekommen, auf alle Fälle aber soziale Unterstützung. Und dass man runterkommt von diesem hierarchischen System, die Medizin wisse alles. Und man das Wissen, die Expertise von trans, inter, nicht binären Leuten und Studies in der Forschung anerkennt. Die Medizin-Curricula müssen umgebaut werden, die ganzen Schulbücher … es gibt so viel zu tun!
Aus den USA weiß man, dass trans Leute proportional um einiges öfter auf der Straße landen als cis Menschen. In Österreich weiß man dazu fast gar nichts. Die Frauenhäuser und Notschlafstellen haben aber fast nur Männer- und Frauenbetten. Studierende von mir haben Akteur_innen der Notschlafstellenszene interviewt und erfahren: Wenn ein_e Sozialarbeiter_in sich persönlich was dazu überlegt, ist das ok, aber institutionell gibt es da null Ideen – es gibt Männer und Frauen und fertig. So viele Bereiche müssen sich verändern!

Persson Perry Baumgartinger: Die staatliche Regulierung von trans. Der Transsexuellen-Erlass in Österreich (1980–2010). Eine Dispositivgeschichte. Transcript 2019, 350 Seiten, 35 Euro

Dieses Interview erschien zuerst in Augustin 505 (Mai 2020).

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