Verstehen als Menschenrecht

Leichte Sprache ist nicht simpel. Aber sie ermöglicht die Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Von Sara Ablinger

Zwei zueinander gewandte Sprechblasen mit unterschiedlicher Textur auf einer Hausmauer
Illustration: Christine Weidhofer

Was bedeutet „Leichte Sprache“ eigentlich? Leichte Sprache ist nicht einfach heruntergebrochene oder gar kindliche Sprache, sondern folgt festgesetzten Sprachregeln. Diese sehen beispielsweise vor, dass Sätze nicht mehr als zwölf Wörter beinhalten dürfen. Zusammengesetze Wörter werden mit Binde-Strich geschrieben. Es werden keine Fremdwörter oder Fachbegriffe verwendet. Falls sie allerdings unumgänglich sind, werden sie in einem weiteren Satz erklärt. Metaphern, Konjunktive, Genitive, Abkürzungen sind ebenfalls Tabu. 

Selbstbestimmung

Seit über zehn Jahren versuchen Selbstvertretungsorganisationen in Österreich Leichte Sprache zu etablieren. Denn auch Leichte Sprache hat etwas mit Barrierefreiheit zu tun, deshalb ist sie als Teil der UN-Behindertenrechtskonvention ein wesentlicher Bestandteil für die Zugänglichkeit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Leichte Sprache dient der Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten und wird von ihnen eingefordert, erklärt der Verein „SeiLais“, der sich für „Leichtes Lesen“ einsetzt, die Priorität liege dabei immer bei Verständlichkeit und einfacher Informationsweitergabe. Die Wiener Menschenrechtskonsulentin Marianne Schulze spricht sogar vom „Verstehen als Menschenrecht“. 

Fremdbestimmung

Menschen mit Lernschwierigkeiten leben und arbeiten in fremdbestimmten Kontexten, zudem sind sie meist „besachwaltet“. Das heißt konkret: Ihre Lebensumstände und damit auch der Zugang zu Wissen werden von Organisationen, Wohngruppen- und Werkstättenbetreuer*innen, Sachwalter*innen, Verwandten und Ärzt*innen bestimmt. Schwierige Sprache bedeutet deshalb eine massive Einschränkung der Privatsphäre vieler Menschen mit Behinderung. Da das Informations- und Beratungsangebot fast ausschließlich in schwerer Sprache angeboten wird – man denke etwa an die Komplexität von Behördensprachen –, ist es Menschen mit Lernschwierigkeiten meist nicht möglich, Lebensentscheidungen selbstbestimmt und selbsttätig zu treffen. Es braucht immer eine Vermittlungsebene, die das Wissen für die Zielgruppe umsetzt. Viele befinden sich daher in einer Endlosschleife von Abhängigkeiten – sie können nicht eigenbestimmt bei einer Beratungsstelle anrufen, wenn sie Informationen zu Sexualität oder Unterstützung in Gewaltsituationen brauchen. 

Mit Workshops will der Verein „SeiLais“ daran etwas ändern. Anlässlich der Nationalratswahl 2017 bot er politische Bildung in Leichter Sprache an und veröffentlichte eine Übersetzung der Wahlprogramme für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Doch auch Behörden selbst, Betriebe und Wissensvermittler*innen müssen Informationen in Leichter Sprache anbieten, damit „Inklusion“ und Barrierefreiheit nicht nur leere Worte, sondern echter Anspruch werden.

Leicht, aber nicht einfach

Was viele nicht wissen: Es wird zwischen Leichter und Einfacher Sprache unterschieden. Die Einfache Sprache ist für Menschen gedacht, die Alphabetisierungsbedarf, keine/geringe Deutschkenntnisse oder einen sehr niedrigen Bildungsstand haben. „Einfache Sprache ist ein Tool zum Spracherwerb, deutsche Grammatik wie Rechtschreibung sind unbedingt einzuhalten und nicht veränderbar auf Kosten der Verständlichkeit“, so Maria Seisenbacher vom Verein „Leicht Lesen“. Leichte Sprache ist aber natürlich trotzdem auch für Menschen mit geringen Deutsch- und/oder Schriftkenntnissen hilfreich und ermöglicht so auch ihnen einen leichteren Einstieg in die Schriftsprache. 

Gemeinsame Sprache finden

Dazu ein eigener, sehr lehrreicher Erfahrungsbericht: Ich wurde für Workshops zu Themen wie Sexualität oder Queerness eingeladen, die ich in Leichter Sprache halten sollte. Bei meiner Vorbereitung habe ich erkannt, dass die queeren/feministischen Szene(n) (ohne Behinderungen) aufgrund ihres englischsprachigen Wortschatzes und ihrer akademischen Auseinandersetzung mit Körper-, Geschlechter- und Diskriminierungsdiskursen unglaublich ausschließend sind. Diese Diskurse herunterzubrechen und für alle verständlich zu machen, ist ungeheuer wichtig – aber es ist auch schmerzhaft. Denn zwangsläufig bringt es dieses Herunterbrechen und Vereinfachen mit sich, dass normative und verletzende Gedanken reproduziert werden. Wenn zum Beispiel der Begriff Trans*mann erklärt wird als ein Mann, der als Frau geboren wurde und sich später entscheidet, als Mann zu leben, dann ist das so vereinfacht, dass es in der Geschlechterbinarität verhaftet bleibt. 

Doch es braucht Raum, Zeit und Energie, um Körper- und Geschlechterdiskurse in Leichter Sprache gründlicher zu besprechen. Denn die Aufnahmespanne ist begrenzt und ein Text kann schnell zu unübersichtlich werden. Wenn das Verständnis von Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht schwersprachigen Diskursen geopfert werden soll, erfordert das eben immer wieder, eine gemeinsame Sprache zu finden und miteinander in Dialog zu treten.

Leicht & queer

Dass es jedoch durchaus möglich ist, auch in Leichte Sprache eine queere Schreibweise einzuführen und die Verwendung von * oder _ zu erklären, haben nicht nur meine Workshops gezeigt, sondern das bestätigt auch SeiLais: „Es wurde gerade eine neue Art der Geschlechterschreibweise in Leichter Sprache überprüft. Diese Schreibweise beinhaltet den * und dient zum Einschluss aller Personen. Für diese Schreibweise haben wir vor die Texte eine Erklärung gestellt, damit die Lesart nachvollziehbar ist. In der Übergangsphase wird es sicher mehrmalige Hinweise für den * geben müssen, damit dieser geläufig wird.“ 

Eine weitere Erkenntnis ist: Es geht nicht in erster Linie darum, dass jeder einzelne Aspekt genau die Sprache findet, die ich für mich finde, sondern dass es eine Auseinandersetzung in der Sprache von Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt, die den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen muss. Und die braucht einfach Zeit. Ich habe außerdem gelernt, dass es mehr Fehlerbereitschaft braucht. Trotz der Verletzlichkeit und Verletztheit von queeren Menschen braucht es Raum für Fragen, Raum für Fehler, Raum für unterschiedliche Wissenslevels. Es ist okay, keine oder die falsche Sprache zu haben, wenn die Bereitschaft da ist dazuzulernen.

Dieser Text erschien zuerst in an.schläge VIII/2017.

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