Wir fordern Respekt!
Viele Menschen werden im Gesundheitswesen diskriminiert. Doch auch Behandler*innen stoßen in ihrem Arbeitsalltag auf Probleme. Queermed-Deutschland-Gründer*in Sara Grzybek argumentiert für mehr Empathie und Solidarität
Respekt ist einer der Grundpfeiler für ein solidarisches Miteinander in der Gesellschaft. Leider wird vielen Menschen jedoch oft nicht einmal ein Funken Respekt entgegengebracht – etwa Obdach- oder Wohnungslosen oder Geflüchteten. Diskriminierende Strukturen durchziehen unsere patriarchale, kapitalistische Gesellschaft. So ist es wenig verwunderlich, dass Menschen auch bei ärztlichen Untersuchungen Diskriminierung erfahren.
Medizin ohne Empathie
Eigentlich würde maus(1) denken: wenn sich ein Mensch einen Beruf aussucht, bei dem der Kontakt mit vielen Menschen eine Voraussetzung für die Ausübung des Berufs und das Wohlergehen von anderen Menschen ein essenzieller Bestandteil davon ist, ist diesen Menschen die Notwendigkeit eines emphatischen Umgangs bewusst. Jedoch wird Empathie selten als eigenes Themengebiet gelehrt. Obwohl es in der Medizin um das Wohlergehen von Menschen geht, erfahren viele Menschen Diskriminierung im Gesundheitswesen.
Verschiedene Studien wie die der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Afrozensus oder Positive Stimmen 2.0 bestätigen das. Sie dokumentieren zum Beispiel Rassismus, HIV-Positivfeindlichkeit oder Fettfeindlichkeit und spiegeln die Vorurteile, mit denen viele praktizierende Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen ihre Ausbildung absolviert haben. Die gelehrte Medizin bzw. Psychologie fokussierte und fokussiert immer noch auf den weißen, cis-heterosexuellen, able-bodied dyadischen Mann. Die erwähnten Studien zeigen deutlich, dass es bei der Behandlung von Patient*innen weiterhin große Probleme gibt. Patriarchale und machtvolle Strukturen fließen auch in den Umgang mit Patient*innen mit ein.
Geballter Stress
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Medizin aber glücklicherweise weiterentwickelt, wir können eine Veränderung spüren. Es gibt zum einen mehr Studien, mehr Fakten darüber, dass etwas im Gesundheitswesen schiefläuft: Nicht nur bezogen auf den Umgang mit Patient*innen, sondern auch hinsichtlich des Arbeitspensums, der Kommerzialisierung und vorliegenden Machtgefällen, die auch den Behandler*innen den Arbeitsalltag deutlich erschweren. Dieser geballte Stress kann dafür sorgen, dass die Geduld mit anderen, aber auch mit sich selbst und der eigenen Arbeitsleistung, nicht hinterherkommt. Als Behandler*in kann es auch frustrierend sein, wenn die eigene Kompetenz und das Wissen, mit dem eigentlich Patient*innen die bestmögliche Behandlung bekommen sollen, durch die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen massiv beeinträchtigt werden.
Solidarität
Deshalb ist es wichtig, die zusammenhängenden Strukturen zu verstehen und solidarisch zu handeln: Sowohl sich als Patient*in mit den Bedürfnissen und Wünschen von Behandler*innen zu solidarisieren, als auch als Behandler*in für die Verbesserung der Patient*innenversorgung einzutreten. Denn nur durch solidarisches und kollektives Handeln können wir Druck erzeugen, um gesetzliche, strukturelle und institutionelle Veränderungen einzufordern.
Wie kann die individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema aussehen? Zum Beispiel kann ich mich politisch einsetzen, aktiv Allyship tätigen, denn Ally wird nur, wer sich aktiv solidarisch verhält. An anderer Stelle kann ich auch mit gutem Beispiel vorangehen und selbstreflektiert bei mir und meiner Praxis anfangen oder in meinem Klinikbereich.
Von kritischen Initiativen lernen
Es gibt bereits viele Vereine, Kollektive und andere kritische Vereinigungen, die gemeinsam für eine gute Sache einstehen wollen. Vom Verein Feministische Medizin e.V. zu den Gruppen von kritischen Mediziner*innen an vielen deutschen Hochschulen über das Bundesfachnetz Gesundheit und Rassismus, um nur einige Beispiele in Deutschland zu nennen.
Neben der gemeinsamen Arbeit zurück zur Eigenverantwortung. Jede*r Ärzt*in und Therapeut*in sollte selbstreflektiert und ehrlich genug zu sich selbst sein, um zu verstehen, dass alle Menschen mit vielen Vorurteilen aufgewachsen sind, beispielsweise gegenüber fetten Menschen, Menschen mit positivem HIV-Status oder queeren Menschen.
Doch gibt es viele Möglichkeiten, mit den eigenen Vorurteilen aufzuräumen. Neben Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es auch von vielen Vereinen Workshops, die zur Sensibilisierung von Ärzt*innen zu verschiedenen Themen angeboten werden. Queermed Deutschland bietet unter anderem einen großen Leitfaden zum sensibilisierten Umgang mit Patient*innen, der viele Themen aufgreift: Von der Webpräsenz zur Auffindbarkeit über das inklusive Gendern und dem aktiven Allyship.
Es ist die Verantwortung einer jeden einzelnen Person, die in der Medizin und der Psychotherapie tätig ist, sich mit dem eigenen Verhalten zu beschäftigen und der Konsequenz, die durch empathieloses Behandeln einhergeht. In der Psychotherapie ist bereits seit Jahren klar, dass die therapeutische Beziehung essenziell für den Erfolg einer Therapie sein kann. Natürlich ist die Gesprächsdauer und der Behandlungszeitraum zwischen einzelner*em Patient*in und Therapeut*in länger als beispielsweise der jährliche Kontrolltermin in der gynäkologischen Praxis. Dennoch können auch vereinzelte Termine bei Ärzt*innen (re-)traumatisierend sein, wenn diese Termine mit einer sehr unangenehmen bis zur diskriminierenden Erfahrung einhergehen.
Als ich diesen Text zu Ende schreibe, ist der Tag des deutschen Grundgesetzes. Der erste Artikel besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit dieser Einstellung sollten wir jedem Menschen begegnen, egal wo und wann.
Fußnote:
Anstelle des „man“ verwende ich hier „maus“ angelehnt an Hengameh Yaghoobifarah.
Sara Grzybek (keine Pronomen/they), ist 1992 in Wrocław (Polen) geboren und hat 2021 neben der Lohnarbeit im Marketingbereich QUEERMED DEUTSCHLAND gegründet. Als Gründer*in befasst sich Sara mit der Diskriminierung in der Medizin und bietet QUEERMED als Plattform für die Suche nach Safer Spaces.