Zugang zu Abtreibung als Menschenrecht
Selbst über den eigenen Körper bestimmen zu können, ist ein zentraler Bestandteil der Menschenwürde. Vom freien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ist Österreich dennoch weit entfernt. Von Stephanie Beil
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 gesteht allen Menschen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, auf einen angemessenen Lebensstandard und auf Gesundheit zu. Für ein freies, sicheres und gesundes Leben müssen Menschen aber auch selbstbestimmt über den eigenen Körper entscheiden können. Dies gilt insbesondere für Mädchen, Frauen und alle Personen, die schwanger werden können. Es war die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts, die reproduktive Rechte mit an den Verhandlungstisch brachte. Doch erst die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo erkannte das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit offiziell an. Alle Menschen sollten ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben haben und frei darüber entscheiden können, ob, wann und wie oft sie sich fortpflanzen. Die UN-Weltfrauenkonferenz bekräftigte ein Jahr später das Recht von Mädchen und Frauen, über alle Aspekte ihrer Gesundheit, vor allem ihrer Fruchtbarkeit, selbst bestimmen zu können. Dafür brauchen Mädchen und Frauen neben einer zeitgemäßen Sexualbildung und der Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln auch den freien Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Laut Amnesty International ist dies maßgeblich für die Menschenwürde aller Personen, die schwanger werden können. Von einem freien Zugang zu Abtreibungen sind ungewollt Schwangere in Österreich jedoch weit entfernt.
Abtreibung als Straftat
Obwohl der Schwangerschaftsabbruch zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen zählt, wird er gesellschaftlich noch immer tabuisiert und in der gynäkologischen Ausbildung nahezu ignoriert. Dies liegt auch an der Kriminalisierung von Abtreibungen. Als einzige medizinische Leistung steht Abtreibung im österreichischen Strafgesetzbuch (Paragraf 96 bis 98 StGB) und ist damit eine Straftat, auf die eine Freiheitsstrafe folgen kann. Sie bleibt laut Paragraf 97 StGB nur unter bestimmten Bedingungen straffrei, zum Beispiel, wenn sie innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate erfolgt. Die sogenannte Fristenregelung wurde vor fünfzig Jahren beschlossen – ein hart erkämpfter Erfolg der feministischen Bewegung. Seitdem hat sich unsere Gesellschaft jedoch verändert. Wir gehen heute offener mit Sexualität um als noch vor fünfzig Jahren und auch das Bewusstsein für reproduktive Rechte ist ein stärkeres. Die Möglichkeit abzutreiben ist allerdings bis heute mit Hürden verbunden, die ungewollt Schwangeren ihr Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper rauben.
Prekäre Versorgungssituation
Wer in Österreich ungewollt schwanger ist und abtreiben möchte, muss teils weite Strecken für eine Behandlung zurücklegen. Während Wien ein vergleichsweise gutes Angebot aufweist, gibt es in den übrigen Bundesländern jeweils nur einzelne, im Burgenland gar keine Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Die Adressen sind auf der Website der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung zu finden. Vor allem auf dem Land ist die Versorgung völlig unzureichend und führt dazu, dass Patient:innen die für sie passende Methode nicht frei wählen können. So erfolgen die meisten Abtreibungen ambulant in einer Klinik durch eine Vakuumaspiration. Dabei gibt es seit einigen Jahren auch die Möglichkeit des medikamentösen Abbruchs mittels Tabletten im niedergelassenen Bereich, was den Patient:innen die Fahrt in ein Spital erspart. Das Kombinationspräparat, bekannt unter dem Namen Mifegyne, besteht aus zwei Pillen, wobei nur die erste unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen ist. Die Einnahme der zweiten Pille und der eigentliche Abbruch können dann zu Hause erfolgen. In Österreich dürfen alle niedergelassenen Gynäkolog:innen die Mifegyne innerhalb der ersten neun Schwangerschaftswochen verschreiben. Dies könnte auch dazu beitragen, die Versorgungslücken insbesondere auf dem Land zu schließen. Tatsächlich gibt es dieses Angebot jedoch nur bei wenigen niedergelassenen Ärzt:innen und auch hier zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle.
Der medikamentöse Abbruch könnte sogar telemedizinisch erfolgen, wenn die ärztliche Aufsicht per Video stattfindet. Das wird bereits in vielen Ländern erfolgreich durchgeführt und stellt ein niederschwelliges Angebot insbesondere für Personen dar, die aufgrund von Behinderung oder Erkrankungen, Betreuungspflichten oder ihrer finanziellen Situation keine weiten Anfahrtswege in Kauf nehmen können.
Gewissensfreiheit von Ärzt:innen
Worin also liegen die Ursachen für die prekäre Versorgung? Zum einen in der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Ärzt:innen, die Abtreibungen durchführen. Gerade auf dem Land ist dies eine nicht zu unterschätzende Dimension. Hinzu kommt, dass viele Gynäkolog:innen während ihrer Assistenzzeit nicht lernen, Abtreibungen durchzuführen, wenn diese nicht im Leistungsspektrum ihrer jeweiligen Klinik enthalten sind. Dafür ist nicht zuletzt die sogenannte Gewissensklausel verantwortlich. Solange die schwangere Person nicht aus „einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten“ ist, kann ein:e Ärzt:in die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs nach Paragraf 97 StGB jederzeit verweigern. Dieses Recht wird meist mit einem ethischen Konflikt argumentiert, ob und wann die Beendigung „menschlichen Lebens“ moralisch gerechtfertigt werden kann. Die Verweigerung einer Abtreibung kann jedoch massive gesundheitliche Folgen für die schwangere Person haben. Im Sinne der Menschenrechte sollten Patient:innen einen Anspruch auf eine optimale medizinische Versorgung haben, die nicht unter der Gewissensfreiheit der Mediziner:innen leiden darf. In Schweden sind Ärzt:innen beispielsweise verpflichtet, eine Abtreibung durchzuführen. Patient:innen haben dort ein Recht auf einen Abbruch bis zur 18. Schwangerschaftswoche.
Hohe Kosten
Die Kriminalisierung von Abtreibungen führt nicht nur zur Tabuisierung auf gesellschaftlicher Ebene, es herrscht auch völlige Intransparenz bezüglich der Kosten. Erfolgen Abtreibungen im Rahmen der Fristenregelung, gelten sie als private Dienstleistungen und kosten je nach Methode zwischen 330 und 940 Euro. Viel Geld, das die Patient:innen in kurzer Zeit aufbringen müssen. Die Möglichkeit einer Kostenrückerstattung oder finanziellen Unterstützung gibt es nur in Wien und Tirol. Doch auch hier mangelt es an transparenten Informationen bezüglich Beantragung und Abwicklung.
Erfolgt eine Abtreibung aufgrund einer Indikation, weil zum Beispiel die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet ist, das Risiko einer schweren Schädigung des Fötus besteht, oder die schwangere Person zum Zeitpunkt der Zeugung minderjährig war, müssen die Kosten von der Kasse übernommen werden. Viele Betroffene sind jedoch auch hier der Willkür von Behörden ausgesetzt. Immer wieder verweigert beispielsweise die Gesundheitskasse die Kostenübernahme, obwohl eine medizinische Indikation bereits durch eine:n Ärzt:in festgestellt wurde, oder verlangt ein zusätzliches ärztliches Gutachten. Dies kostet die Betroffenen viel Zeit und hindert sie am Zugang zu einem schnellen und sicheren Abbruch.
Zugang zu Abtreibungen im internationalen Vergleich
Im europäischen Vergleich liegt Österreich aufgrund der Kriminalisierung von Abtreibungen, der mangelnden Versorgung und der enormen Kosten nur im Mittelfeld. Dabei bekräftigen internationale Organisationen – die Vereinten Nationen, Amnesty International oder das Europäische Parlament –, dass reproduktive Rechte zu den grundlegenden Menschenrechten gehören. Sie alle erkennen Abtreibungsverbote als Diskriminierung der Rechte von Frauen an. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ausdrücklich die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine flächendeckende Versorgung. Österreich erkennt all diese Abkommen und Empfehlungen an, ist jedoch mit der Implementierung säumig. Für Frauen, Mädchen und alle Menschen, die schwanger werden können, besteht hierzulande kein freier Zugang zu sicheren Abtreibungen. Das verletzt ihr Recht auf seelische und körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Privatheit und Geschlechtergerechtigkeit. Körperliche Selbstbestimmung muss ein unveräußerliches Recht sein – für alle Menschen.
Stephanie Beil ist Aktivistin bei Pro Choice Austria, der Plattform für freien Schwangerschaftsabbruch. Pro Choice Austria versteht sich als Teil der internationalen feministischen Bewegung, die sich für die Selbstbestimmungsrechte von FLINTA-Personen einsetzt und insbesondere für den freien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen kämpft.