Juhu, Wechseljahre!
Wie kann sich das Älterwerden anfühlen? Und warum ist das auch eine politische Frage? Sylvia Köchl erzählt aus ihrem Leben. Protokoll: Bettina Enzenhofer
„Ich bin schon so lange in den Wechseljahren, dass ich vergesse, dass die meisten anderen noch die Menstruation haben – es überrascht mich, wenn mich jemand um Binden oder Tampons fragt. Bei den Wechseljahren wird so getan, als wäre es eine Krankheit. Du bekommst diese „Diagnose“, es wird ein „Hormonmangel“ festgestellt. Ich kann nur sagen: Juhu, Wechseljahre! Endlich keine Menstruation mehr, Schluss mit dem monatlichen Quatsch! Ich hatte mein Leben lang Schmerzen, konnte nur mit Schmerzmitteln schlafen, das tut dem Magen auf Dauer nicht gut. Hitzewallungen sind allerdings weniger juhu, das gebe ich zu. In diesem Wechseljahre-Prozess ändert sich wirklich etwas, das ist ja kein Mythos. Bei manchen sind die Veränderungen stärker, bei manchen schwächer. Aber es ist auf jeden Fall keine Mangelerscheinung, kein Problem, keine Krankheit. Das Gerede von einem „Mangel“ bestimmter Hormone, die angeblich auch fürs Jungaussehen mitverantwortlich sind oder die Vorstellung, du würdest eines Tages aufwachen und wärst extrem gealtert – das ist überhaupt nicht so, das stimmt alles einfach nicht.
Konsum gegen den Verfall
Doch auch wenn das Altwerden oder die Wechseljahre keine grundsätzlich problematischen Phasen des Lebens sind: Hier eröffnen sich in unserer kapitalistischen Gesellschaft ganz neue Produktwelten, das ist massiv. Du wirst als potenzielle Kundschaft für ganz neue Dinge angesprochen: was du alles angeblich brauchst, um dich vor dem Verfall zu retten. In diesem Lebensabschnitt wird nochmal vieles an kritischem Denken über Konsum und Gesellschaft richtig herausgefordert. Du kannst nochmal so richtig schön zeigen, wie ernst es dir damit ist. So wie ich kürzlich. In einem Zoom-Meeting hatte ich Panik, dass ich älter aussehe als ich mich fühle, und habe vorher noch recherchiert, wie man sich dunkle Augenringe wegschminkt, die ich plötzlich wahrgenommen habe. Und dann habe ich auch noch eingekauft …
Nicht nur die Haare am Kopf werden weiß
Beim Thema Älterwerden fällt mir auch ein: sich mit anderen vergleichen. Ich war ab Ende 30 viele Jahre mit einer Clique FKK baden. Beim FKK sind alle nackt. Für mich ist das ein Ort, an dem ich und mein Körper so existieren dürfen, wie wir wollen. Natürlich schaut man dort auch andere Körper an, man nimmt ja andere Menschen wahr, so wie man auch die Bäume oder alles rundherum wahrnimmt und anschaut. Wir haben uns immer wieder ausgetauscht, was uns so auffällt: Wie schaut ein sehr alter Körper aus, der vollkommen relaxed und cool und splitternackt über die Wiese wandert? Ich musste mich bemühen, nicht zu glotzen, weil ich diese Selbstverständlichkeit so bewundere. Aber ich habe beim FKK damals auch an mir selber was entdeckt! Einmal sind wir in der Runde im Schneidersitz gesessen und haben Karten gespielt. Ich sitz so da und schaue runter und sehe in dem Moment ein sehr markantes schneeweißes Schamhaar. Es ragte so richtig schön empor. Ich sage zu den anderen: „Boah, ich hab grad mein erstes weißes Schamhaar gesehen.“ In dem Moment schauen alle anderen auch runter, wie es bei ihnen so aussieht. Nur einer sagte, das sei für ihn nichts Neues. Für mich schon, ich hatte am Kopf noch keine weißen Haare – denn dass die Haare am Kopf grau werden, das weiß man. Ich dachte immer, ich freue mich schon auf die grauen Haare, weil ich immer für jünger gehalten wurde – damit verbinden die Leute, dass man nicht so erfahren ist. Ich dachte, ich bin froh, wenn ich mal so alt aussehe, wie ich bin. Ich fand es interessant, dass ich die ersten grauen Haare nicht auf meinem Kopf entdeckt habe. Was bedeutet das? Eigentlich ja auch nichts.
Fehlende Sichtbarkeit
Wichtiger sind andere Fragen: Gibt’s im Alter ein Problem mit Unsichtbarkeit? Als Feministinnen wissen wir, dass das Private politisch ist. Dazu gehören auch Veränderungsprozesse wie Älterwerden. Vielleicht kommt es beim Unsichtbarwerden auch auf das Umfeld an, ich kann mir gut vorstellen, dass es das gibt, und dass das bedrückend und beleidigend ist. Es geht ja auch um sowas wie gesehen werden und begehrt werden. Und wenn das allein am Alter hängt, ist das eine Frechheit, das muss man auch so benennen.
Offensiv der Scham entgegentreten
Aber es gibt noch viele weitere Äußerlichkeiten: Ich habe zum Beispiel eine neue Panik – Altersfleckenpanik. Auf den Händen ist das sehr einfach zu sehen, da musst du gar nicht viel forschen oder nackt baden gehen. Auf den Händen siehst du das einfach – oh, da ist ein Fleck, da ist noch einer. Man glaubt immer, das kommt plötzlich, aber es kommt schleichend. Mit 40 habe ich mich dabei ertappt, in den Spiegel zu schauen, wie meine Augenfältchen aussehen, und was jetzt über Nacht passiert ist, weil ich 40 bin. Älterwerden ist aber nicht nur „spannend“, der alternde Körper kann auch Probleme mit sich bringen, beispielsweise mit den Gelenken. Das habe ich mit Ende 40 gemerkt. Ich wollte dezidiert keinen Sport machen. Und ich habe mich nach anderen Möglichkeiten umgeschaut, wie ich damit umgehen kann, dass nicht mehr alles so tut, wie ich es wollte oder gewohnt war. Damit muss man leben lernen. Ich finde gut, damit offensiv umzugehen. Zum Beispiel hängt die Haut immer weiter runter, alles ist nicht mehr so gepolstert. Wenn ich auf einer harten Bank sitze, tut es mir bald weh, ich spüre die Knochen. Beim Grillen auf der Donauinsel habe ich deshalb eine kleine Decke dabei und setze mich drauf. Die meisten Leute glauben, ich hätte ein Blasenproblem, aber ich sag dann gern: Nein, das ist nur das Alter, und das blüht dir alles auch noch. Ich will möglichst nichts verstecken, verschweigen, mich nicht schämen. Aber das ist auch das Härteste. Bei manchen dieser Alterserscheinungen ist es schwierig, sich nicht zu schämen. Das Thema Scham kann schnell aufkommen, der Faltenwurf der Arme. Muss ich mich bedecken? Was ist eine altersadäquate Kleidung? Wie viele alte Leute haben freie, nackte Arme im Sommer? Wie viele ziehen sich halblange Ärmel an, längere Hosen oder Röcke, um möglichst nicht viel von ihren Körpern sichtbar zu machen? Das müsste man erforschen. Aber diese Gedanken tauchen leider auch auf. Da merke ich, dass ich selber ein bisschen kämpfe, das jetzt nicht zu verdecken oder eine Scham aufzubauen. Sondern zu sagen: Das blüht uns eh allen, und wenn es heiß ist, möchte ich keine langen Ärmel anziehen müssen. Ich kann es ja tun, aber ich will es nicht müssen.
Spüren, hören, sehen
Auch der Intimbereich, die Sexualität verändert sich. Zum Beispiel kann es irgendwann angenehm sein, wenn man Gleitgel benutzt. Bei Trockenheit, oder auch im Winter, auch ganz unabhängig von Sexualität, trockene Haut kann jucken. Das Älterwerden geht von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Oder Dinge wie Hören und Sehen – die Sinnesorgane sind eine ganz andere Kiste. Werden sich die Jugendsünden irgendwann rächen? Werde ich später schlecht hören, weil ich früher laute Musik gehört habe? Wie ist das mit den Augen? Ich habe mal gehört, dass sich auch die Wahrnehmung der Farben verändert. Sie wirken nicht mehr so knallig. Ich bearbeite gern Fotos und frage mich jetzt: Ziehe ich nicht die Farben unglaublich rauf? Sodass sich Dreißigjährige denken, das sei ein 70er-Comic? Was hat die nur mit den Farben gemacht? Ich würde dann sagen: Ja, so sind Fotos von Älteren, so sind Insta-Accounts von 60+, die sind knalliger. Wir sollten mehr Witze darüber machen und offensiv mit dem Älterwerden umgehen.“
Sylvia Köchl ist Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Buchautorin. Derzeit forscht sie über Gerichtsverfahren wegen illegalen Abtreibungen in Wien zwischen 1923 und 1973.