Ein neuer Anlauf
Gewalt kommt in lesbischen Beziehungen genauso häufig vor wie in heterosexuellen, wird aber weitaus stärker tabuisiert. Bettina Enzenhofer sprach mit Angela Schwarz von der WASt über Nestbeschmutzung und hartnäckige Klischees.
Bettina Enzenhofer: Die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt) hat 2010 die Konferenz „Tabu2: Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen“ veranstaltet. Worin besteht das doppelte Tabu bei Gewalt in lesbischen Beziehungen?
Angela Schwarz: Gewalt in Beziehungen ist an und für sich schon ein Tabu, weil man ja Zweierbeziehungen nicht mit dem Ziel eingeht, dass es irgendeiner darin schlecht geht. Der Umgebung einzugestehen, dass es in der Beziehung Gewalt gibt – ich übe Gewalt aus oder ich erlebe Gewalt –, ist nicht leicht. Bei lesbischen Beziehungen kommt dazu, dass es immer noch ein bisschen tabuisiert ist, überhaupt gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben. Das ist in den letzten zwanzig, dreißig Jahren etwas besser geworden, aber gerade der Anspruch, „wenn schon eine lesbische Beziehung, dann soll sie zumindest super sein“, macht eine zusätzliche Hürde aus. Als wir Mitte der 1990er-Jahre in der Villa (Community-Zentrum für Lesben, Schwule und Trans*Personen in Wien, Anm.) mit anderen Gruppen über Gewalt in der Szene und Gewalt in Beziehungen diskutiert haben, haben wir ganz lange darüber gesprochen, ob man das überhaupt thematisieren soll. Die Sorge der Nestbeschmutzung gehört zum doppelten Tabu dazu.
Wenn man es aus dieser Sorge heraus aber gar nicht thematisiert, tut man den lesbischen Frauen, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben, nichts Gutes.
Genau. Das ist der Grund, warum es notwendig ist, es zu tun. Weil Gewalt auch in lesbischen Beziehungen vorkommt, das aber wenig, ganz wenig besprochen wird. Das Ausmaß der Beziehungsgewalt ist zwar ähnlich wie in Hetero-Beziehungen, aber dort suchen circa zwanzig bis 24 Prozent der Frauen in irgendeiner Form Unterstützung, in lesbischen Beziehungen machen das gerade mal drei bis fünf Prozent. Das zeigt auch die Hilflosigkeit dem Thema gegenüber und die mangelnden Angebote.
Neben der Angst vor Nestbeschmutzung gibt es noch weitere Hemmnisse: die Sorge, dass einer nicht geglaubt wird, weil „die ist doch eh nett, sei nicht so“. Oder dass man die Konsequenzen fürchtet: „Das könnte vielleicht Trennung heißen, das will ich aber nicht.“ Oder die Ansicht, dass Konflikte normal wären und dazugehören würden. Ich bin die Letzte, die jeden Konflikt als Gewalt bezeichnen würde, aber es muss klar sein, wo die Grenzen sind. Gleichzeitig herrscht weiterhin der Glaube vor, dass es in Frauenbeziehungen keine Gewalt gäbe.
Wie lässt sich der Mythos erklären, lesbische Beziehungen wären gewaltfrei?
Ich glaube, das kommt schon auch aus der Gewaltschutzbewegung, in der es um Männergewalt gegen Frauen ging, und wo die Rollen klar waren: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Es stimmt schon, dass das hauptsächlich so ist. Aber wenn es in einer Beziehung keinen Mann gibt, fällt die Gewalt weg? Es gibt ein gesellschaftliches Bild, vor dem wir ja auch nicht gefeit sind, nämlich, dass Frauen keine Gewalt ausüben.
Weil Frauen so lieb und sanft sind.
Genau, das ist das Klischeebild. Gleichzeitig gibt es das Klischee von Lesben mit Bierflasche in der Hand und rauem Umgangston – und „bei denen gehört es halt dazu“, diese Lastwagenfahrerinnen-Typen, die es so eh nicht gibt. Diese beiden Klischees halten sich: In Frauenbeziehungen kommt Gewalt nicht vor, und wenn, dann geht sie von denen aus, die männlich wirken.
Constance Ohms hat viel zum Thema gearbeitet und sagt, dass sich heterosexuell dominierte Frauenbewegungen nach wie vor schwer damit tun, Frauen als Täterinnen wahrzunehmen. Wenn Gewalt in lesbischen Beziehungen innerhalb der Community aber auch nicht thematisiert wird – würde das in lesbisch dominierten Frauenbewegungen anders sein?
Nein. Ich kenne Constance gut, aber ganz unterstütze ich das nicht. Ich weiß, was sie meint, aber in den Frauenbewegungen sind seit den 1970er-Jahren immer sehr viele Lesben gewesen. Von daher ist das Bild für mich nicht ganz stimmig, dass Frauenbewegungen heterosexuell dominiert sind. Ganz vom Tisch wischen mag ich es nicht, aber ich glaube eher, dass beim Thema Männergewalt gegen Frauen Lesben weniger zu Wort kommen, weil sie ja in Frauenbeziehungen leben. Wie gesagt, es braucht seine Zeit. Auch in der Lesbenberatung in der Villa hat es Zeit gebraucht, bis eine gesagt hat: Wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Zu den sogenannten Tabuisierungsmechanismen gehört auch, dass LGBT-Medien kaum Artikel zum Thema publizieren. Die WASt hat in einem einjährigen Beobachtungszeitraum verschiedener feministischer und LGBT-Medien (unter anderem auch der an.schläge) keinen einzigen Artikel zum Thema gefunden.
Ja, in dem einen Jahr nicht, aber es ist durch die an.schläge davor schon thematisiert worden. Aber da dachte ich auch: Ich muss mich selbst an der Nase nehmen! Medien brauchen ein vis-à-vis, um es thematisieren zu können.
Als an.schläge-Redakteurin befinde ich mich allerdings in einer Ambivalenz: Es ist wichtig, dass wir Gewalt in lesbischen Beziehungen endlich thematisieren. Weil aber lesbische Beziehungen an sich sonst nicht so prominent im Heft vorkommen, finde ich es auch problematisch, sie nun genau unter dem Gewalt-Aspekt zu thematisieren.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Vorwurf kommen wird: „Sie schreiben eh nicht so viel zu lesbischen Themen und jetzt machen sie einen großen Artikel zu Gewalt.“ Ich finde es wirklich wichtig, dass ihr das macht. Und dass nicht nur Beziehungsgewalt angesprochen wird, wobei diese sicher am meisten tabuisiert ist, sondern auch sexualisierte Gewalt in der Szene, wenn man es Szene nennen kann. Denn auch das ist ein Thema, das nicht sehr gern gesehen wird.
Sie haben bereits angesprochen, dass in Wien Ende der 1990er-Jahre Gewalt innerhalb der lesbischen Community viel diskutiert wurde. Es gab eine Reihe von Workshops und Diskussionen zum Thema, ein Buch wurde veröffentlicht(1), die WASt hat bei zwei EU-Projekten mitgearbeitet und 2011 die Broschüre „Gegen Gewalt in lesbischen Beziehungen“ herausgegeben. Inwieweit haben all diese Bemühungen gefruchtet? Konnten auch Einrichtungen, an die sich Lesben wenden könnten, sensibilisiert werden?
Ich glaube schon, dass es durch verschiedene Maßnahmen in den letzten fünf bis sieben Jahren besser geworden ist, aber es ist nicht nachhaltig. Es hat einen Peak gegeben und der ist wieder weg. Die größeren Gewaltschutz-Einrichtungen sagen alle: „Ja, wir haben lesbische Klientinnen“, aber die lassen sich an einer Hand abzählen. Wichtig ist mir: Es braucht beides, einerseits die Offenheit in der Szene, aber auch die Offenheit von Gewaltschutzeinrichtungen. Die Frage ist: Wie formuliere ich mein Angebot? Viele Gewaltschutzeinrichtungen sagen einfach: „Wir sind für alle Opfer von Gewalt da“, das reicht aber nicht.
Lesbische Frauen bräuchten ein spezifisches Angebot.
Ja, genau, und sie müssen auch spezifisch angesprochen werden. Vielleicht gibt es die Sorge, dass dadurch bestimmte Bilder entstehen, oder dass die anderen Klientinnen sagen: „Das ist eine Lesbenpartie, da gehe ich nicht hin.“ Und deshalb planen wir jetzt ein weiteres EU-Projekt – das aber noch nicht gesichert ist –, das sich mit diesen zwei Bereichen beschäftigt: Wie kann man lesbische Frauen, die in Beziehungen Gewalt ausüben oder Gewalt erleben, stärken, und wie kann man Einrichtungen dazu bringen, dass sie sich zuständig fühlen und das nötige Know-how entwickeln. Das sind die zwei Dinge, die nicht gut funktionieren.
Ich habe den Eindruck, dass es in anderen Ländern, zum Beispiel in Schweden, mehr und deutlicher Thema ist. Auch in London gibt es ganz spezifische Vereine, die Anlaufstellen für Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sind. Dort ist es nicht so, dass man das als Thema platzieren müsste, sondern Gewalt in gleichgeschlechtlichen und Trans-Beziehungen ist Thema. Vielleicht liegt das aber auch an der Größe Londons.
Wenn sich die eingesessenen Opferschutzeinrichtungen für alle Gewaltopfer öffnen, ist allerdings die große Frage: Fühlen sie sich nur zuständig für Gewaltopfer beziehungsweise für die Personen, die Gewalt erfahren? Oder auch für die Personen, die Gewalt ausüben? Und ist es überhaupt immer hundertprozentig abgrenzbar? Viele sagen ganz klar: „Wir sind eine Opferschutzeinrichtung“, was auch legitim ist, oder sogar: „Wir sind eine Opferschutzeinrichtung, die sich mit Frauen, die Opfer von Männergewalt sind, beschäftigt.“ Aber dadurch entstehen Raster, durch die lesbische Frauen, Trans-Frauen sowieso, fallen.
Eine 2010 durchgeführte WASt-Umfrage brachte das Ergebnis, dass etwas mehr als die Hälfte aller befragten lesbischen Frauen nicht weiß, wohin sie sich bei häuslicher Gewalt wenden können. Im Bericht zur Umfrage heißt es, dass die Möglichkeiten bei dieser Frage nicht einmal konkretisiert waren – man kann sich ja auch an Freundinnen wenden. Wissen gewaltbetroffene Lesben heute besser über ihre Möglichkeiten Bescheid?
Das hat mich auch ein bisschen erschreckt, aber vielleicht haben die Teilnehmerinnen der Umfrage Freundinnen nicht als Ressource gesehen, was sie hoffentlich schon tun. Das war damals eine Blitzabfrage und das Thema müssen wir wieder mehr forcieren. Wenn man nicht dran bleibt, flacht es wieder ab, und darum überlegen wir, ob wir mit anderen zusammen dieses EU-Projekt konzipieren. Auch der 24h-Frauennotruf wird mehr auf das Thema fokussieren. Ich habe das Gefühl, da wird jetzt wieder ein neuer Anlauf gestartet. Auf dass es nicht fünfzig, sondern irgendwann nur zwanzig Prozent sind! Es reicht nicht, 2011 eine Broschüre gemacht zu haben. Es braucht alle paar Jahre Initiativen, die Gewalt in lesbischen Beziehungen mehr thematisieren, publik machen, und zum Beispiel auch einen Artikel der an.schläge.
Angela Schwarz war zum Zeitpunkt des Interviews stellvertretende Leiterin der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt).
PDF der Broschüre „Gegen Gewalt in lesbischen Beziehungen: Information – Bestärkung – Auseinandersetzung“
Fußnote:
(1) Michaela Ebner, Claudi Coutre, Maria Newald: Entscheidend einschneidend. Mit Gewalt unter Frauen in lesbischen und feministischen Zusammenhängen umgehen, Milena Verlag
Dieses Interview erschien zuerst in an.schläge VI/2015.