Pille statt Kondom?
Die Pille PrEP soll vor einer HIV-Infektion schützen. Was ist wirklich dran – und wer kann sich das Medikament überhaupt leisten? Von Bettina Enzenhofer
„Als schwuler Mann hast du ein starkes Bewusstsein dafür, dass du dich beim Sex mit HIV infizieren könntest. Egal, ob du Kondome verwendest oder nicht: Passieren kann immer was“, sagt Manuel*, 29, aus Wien. „Mit der PrEP ist das anders: Nimmst du sie, kannst du dich nicht anstecken. Für viele PrEP-Anwender ist die PrEP eine unglaubliche Erleichterung und daher gut für die psychische Stabilität. Deshalb überlege ich auch, mit der PrEP zu beginnen – ganz unabhängig davon, ob ich nun viel Sex habe oder nicht.“
PrEP ist die Abkürzung für Präexpositionelle Prophylaxe und bedeutet, dass HIV-negative Personen mit hohem Infektionsrisiko HIV-Medikamente einnehmen können, um sich vor einer Infektion zu schützen. Und das nicht erst in Fällen einer vermuteten Infektion, z. B. nachdem das Kondom gerissen ist (wie bei der Postexpositionellen Prophylaxe, PEP), sondern schon im Vorhinein. „Die PrEP ist eine sinnvolle Ergänzung im Präventionsreigen für jene Menschen oder für jene Lebensphasen, in denen das Kondom nicht konsequent verwendet wird oder verwendet werden kann“, erklärt Wolfgang Wilhelm, Obmann der Aids Hilfe Wien. Man kann das verantwortungslos finden, doch Tatsache ist: Nicht alle Menschen praktizieren Safer Sex. Und das nicht, weil sie noch nie von einem Kondom gehört hätten, sondern weil es für sie manchmal einfach nicht möglich ist, etwa bei Chemsex-Partys oder schlicht in Zuständen sexueller Erregung. Weiß eine Person, dass sie sich immer wieder Risikosituationen aussetzt, so kann sie mit der PrEP eine bewusste Präventionsmaßnahme setzen – und anders als bei der PEP eben ohne vermutete Infektion. „Ein bisschen absurd ist das aber schon: Nimmst du die PrEP, dann nimmst du als gesunder Mensch das Medikament, das du auch als Therapie einer HIV-Infektion nehmen würdest – du nimmst es also vorher, um es später nicht nehmen zu müssen“, sagt Manuels Freund Max*, 30.
Die PrEP wird täglich eingenommen und verhindert, dass sich etwaig eintretende HI-Viren in den Zellen vermehren. Auch eine anlassbezogene, zeitlich begrenzte Einnahme (etwa bei einem geplanten Sexurlaub) ist möglich. Am besten erforscht ist die medikamentöse HIV-Prävention bei cis Männern, die mit cis Männern Sex haben (MSM): In dieser Gruppe wurden weltweit erst vier HIV-Infektionen trotz PrEP entdeckt. Doch auch cis Frauen schützt die PrEP: Das können Frauen mit HIV-positiven Partner*innen sein oder auch Frauen, die „ganz einfach ohne Kondom vögeln wollen“, wie Pia* in einer PrEP-Facebook-Gruppe schreibt. Auch trans Personen können die PrEP nehmen, wenngleich ihre spezifische Situation in Studien meist unbeachtet bleibt und z. B. trans Frauen gemeinsam mit MSM untersucht werden.
Dass es die PrEP gibt, ist allerdings außerhalb der schwulen Community noch weitgehend unbekannt. „Aktuell gibt es bei uns nur wenige PrEP-Nutzerinnen. Das liegt auch daran, dass Frauen die PrEP noch gar nicht kennen. Informationen zur PrEP sollten aber unbedingt sexuell aktiven Frauen zugänglich gemacht werden“, sagt Annette Haberl, Leiterin des Bereichs HIV und Frauen am HIV Center des Universitätsklinikums Frankfurt. Gynäkolog*innen, Hausärzt*innen und Beratungsstellen sollten daher über die PrEP informiert sein und Frauen adäquat beraten können. „Es geht bei der Indikation für eine PrEP schließlich um das Risikoprofil und nicht um das Geschlecht“, so Haberl.
Entscheidet sich jemand für die PrEP, benötigt die Person ein Rezept von speziellen HIV-Behandler*innen. Eine HIV-Infektion muss zu diesem Zeitpunkt genauso ausgeschlossen sein wie eine Infektion mit Hepatitis B oder anderen sexuell übertragbaren Erregern (STIs, „sexually transmitted infections“). Entsprechende Tests werden unter der PrEP alle drei Monate wiederholt. Die PrEP kann Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Durchfall haben und sich auf die Nierenfunktion auswirken, weshalb auch diese alle drei Monate überprüft wird. Die regelmäßigen Check-ups können dabei helfen, weitere STI-Übertragungen zu verhindern, denn nicht immer gehen sexuell übertragbare Erkrankungen mit Symptomen einher, und durch die engmaschigen Kontrollen erfährt man sehr früh von einer Infektion. Trotzdem soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Kondom Schutz vor vielen STIs bietet.
Die Krankenkassen zahlen all diese Untersuchungen übrigens meist nur dann, wenn Krankheitsanzeichen vorliegen. Ansonsten bleibt man selbst auf den Kosten sitzen, zusätzlich zu jenen für die PrEP: etwa sechzig Euro für eine Monatspackung, mit Privatrezept erhältlich in einigen wenigen Apotheken in Deutschland und Österreich. Wer sich das überhaupt leisten kann, insbesondere auch in Ländern ohne diese günstigen Angebote? Vorrangig weiße, gut gebildete, schwule cis Männer der Mittelschicht – und somit bei Weitem nicht alle Menschen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Viele Aktivist*innen fordern deshalb die vollständige PrEP-Kostenübernahme seitens der Kassen, in Frankreich, Norwegen oder Schottland wurde dies schon durchgesetzt. Auch Annette Haberl befürwortet das: „Inzwischen wissen wir, dass eine PrEP kosteneffektiv sein kann, und sehen dort, wo die PrEP bereits länger eingesetzt wird, auch einen Rückgang der HIV-Neuinfektionen.“
Dass von einer breiteren Anwendung der PrEP auch die Pharmaindustrie profitiert – geschenkt. Also doch besser Kondome verwenden? „Das Kondom ist nach wie vor die beste Prävention: Es ist hochwirksam, völlig nebenwirkungsfrei, schützt auch vor anderen STIs, ist einfach in der Anwendung und zudem billig“, so Wolfgang Wilhelm. „Einziger Nachteil: Es schützt nur, wenn es auch konsequent verwendet wird.“ Hing bis vor wenigen Jahren HIV-Prävention von konsequentem Kondomgebrauch ab, so hat Safer Sex nun eine Facette mehr: konsequente PrEP-Einnahme.
* Namen anonymisiert
Dieser Text erschien zuerst in Missy Magazine 4/2018. Das Missy Magazine freut sich über Abos.