Wie tausend Feuerameisen

Jede zehnte Frau hat ein Lipödem. Betroffene leiden dabei nicht nur unter physischen Schmerzen. Doch die chronische Erkrankung ist weitgehend unbekannt. Von Bettina Enzenhofer

Porträtfoto von Carina Schmalenberg in Powerpose mit angewinkeltem Arm und geballter Faust. Sie trägt ein T-Shirt und darunter einen Kompressionsstrumpf. Sie hat lockige, hellbraune, schulterlange Haare und lächelt in die Kamera.
Carina Schmalenberg, © Sonja Lipka

Inhalt in Einfacher Sprache

Das ist die Zusammenfassung von einem Text über die Krankheit Lipödem. Our-Bodies-Gründerin Bettina Enzenhofer hat den Text geschrieben.
Jede zehnte Frau hat ein Lipödem. Bei den Betroffenen vermehren sich die Fettzellen an den Beinen oder Armen sehr stark. In diesen Körperteilen hat man Schmerzen. 
Carina Schmalenberg hat ein Lipödem. Ihre Beine und Arme reagieren empfindlich auf Druck und Berührungen. Sie sagt: „Schon geringe Berührungen tun weh und immer wieder entdecke ich neue, unerklärliche Blutergüsse an mir.“
Die Beine oder Arme fühlen sich schwer an, sie sind geschwollen und spannen. Ein Lipödem beginnt meistens dann, wenn sich die Hormone im Körper verändern. Zum Beispiel in der Pubertät, in der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren.
Betroffene warten viele Jahre auf eine korrekte Diagnose. Ärzt*innen nehmen die Schmerzen oft nicht ernst. Viele Ärzt*innen sagen zu den Betroffenen: Sie sollen abnehmen. Aber ein Lipödem kann man nicht mit Sport oder Diäten beseitigen. Die meisten Betroffenen haben erfolglos probiert abzunehmen. Viele haben eine Essstörung.
Man kann verschiedene Methoden probieren, um die Symptome zu verbessern. Zum Beispiel kann man eine Operation machen. Dabei werden die Fettzellen abgesaugt. Aber die Operation ist teuer und man muss sie oft selbst zahlen. Eine andere Methode ist Kompressions-Kleidung. Das sind sehr enge Strümpfe. Sie werden speziell für eine Person gemacht. Man kann sie über die Beine oder Arme ziehen. 
Carina Schmalenberg hat keine Operation gemacht. Sie trägt Kompressions-Kleidung und hat nur mehr selten Schmerzen. Heute klärt sie über die Krankheit Lipödem auf und hilft anderen Betroffenen.

Bettina Enzenhofer hat diese Zusammenfassung geschrieben. Hast du Fragen zum Text? Schreib an die Redaktion: be(at)ourbodies.at

„Meine Beine und Arme sind druck- und berührungsempfindlich. Schon geringe Berührungen tun weh und immer wieder entdecke ich neue, unerklärliche Blutergüsse an mir“, erzählt die Betroffene Carina Schmalenberg. „Ich dachte früher, das ist eben so, alle hätten diese Schmerzen. Heute kann ich sie anders zuordnen: Es sind Lipödemschmerzen.“

Lipödem ist eine chronische Erkrankung, bei der sich das Unterhautfettgewebe an den Beinen, manchmal auch an den Armen, vermehrt – immer symmetrisch und oft auf eine Weise, die den Körper unproportional erscheinen lässt, z.B. kann der Unterkörper vergleichsweise dick sein, der Oberkörper dünn. Ein wesentliches Lipödemsymptom sind Schmerzen, verursacht durch ein Zusammenspiel körperlicher und psychischer Faktoren. „Es ist ein diffuses Schmerzbild, das alles sein kann“, sagt Schmalenberg, „bei mir brennt es wie ein Stück Eisen in der Haut, oder die Schmerzen sind krabbelnd, wie tausend Feuerameisen, die durch die Haut spazieren, oder heiß und kalt zugleich, wie ein Blitz. Das Unangenehme ist: Der Schmerz ist nicht punktuell, sondern strahlt aus und bleibt im Körper.“ Die Beine und/oder Arme fühlen sich für die Betroffenen schwer an, sind geschwollen und spannen. „Ich habe auch Taubheits- und Ermüdungsgefühle, wenn ich die Arme oder Beine länger hochhalten muss“, sagt Schmalenberg, „obwohl ich viel Sport mache.“

Das Lipödem gehört zu jenen Krankheiten, die in der medizinischen Literatur als „Frauenkrankheiten“ beschrieben werden und untererforscht und unterdiagnostiziert sind. Das Krankheitsbild wurde 1940 erstmals beschrieben und ist bis heute weitgehend unbekannt. Betroffene warten oft Jahre oder sogar Jahrzehnte bis zur korrekten Diagnose. Klinisch kann ein Lipödem schwierig zu diagnostizieren sein und mit anderen Krankheiten verwechselt werden. Auch die Diagnose Adipositas kann dazu führen, dass ein Lipödem übersehen wird. In den wenigen Studien, die es zur Lebensqualität von Lipödempatient*innen gibt, erzählen viele, dass ihre Schmerzen lange nicht ernst genommen wurden, das Krankheitsbild belächelt wurde oder Ärzt*innen sagten, sie sollen abnehmen – der Großteil der Betroffenen ist dick. Doch während sich Fatshaming ohnehin negativ auf die Gesundheit dicker Menschen auswirkt, kommt beim Lipödem noch dazu: Diese Fettzellen lassen sich nicht durch Diäten oder Sport beseitigen.

„Heute fühle ich mich wohl in meinem Körper, aber ich habe eine Geschichte mit Magersucht. Mit Anfang zwanzig habe ich meine Arme und Beine gesehen und gehasst“, erinnert sich Schmalenberg an die Zeit vor ihrer Lipödemdiagnose. „Ich wusste nicht, dass mein Körper so aussieht, weil er diese Krankheit hat.“ Bei einer Umfrage der Organisation Lipoedema gaben fast alle Befragten an, dass sie erfolglos probiert haben, an den betroffenen Stellen abzunehmen. Essstörungen sind unter Lipödembetroffenen weitverbreitet: Je nach Studie wird eine Verbreitung von 16 bis 45 Prozent angegeben. 

Bis heute ist die genaue Ursache eines Lipödems nicht geklärt, man geht aber davon aus, dass die Krankheit östrogenbedingt ist; auch eine genetische Veranlagung wird vermutet. Medizinische Studien geben an, etwa zehn Prozent aller Frauen seien betroffen, Männer nur sehr selten. Carina Schmalenberg kommt als nicht-binäre Person in diesen Studien nicht vor. Deutlich ist der Beginn der Krankheit während hormoneller Veränderungen: Ein Lipödem zeigt sich meistens erstmals in der Pubertät, in der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren; oder es verschlimmert sich in diesen Zeiträumen. Was man auch weiß: Viele Lipödembetroffene haben zusätzlich weitere Krankheiten, bspw. eine Schilddrüsenunterfunktion, Depression oder Allergien. 

Ein Lipödem wirkt sich negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus, auf Beziehungen, das Arbeitsleben, Freizeitaktivitäten. In Studien erzählen sie von Beschämungen im Alltag, weil der eigene Körper nicht dem gesellschaftlichen Ideal entspricht, von Schuldzuschreibungen, sie sollten sich besser um ihre Gesundheit kümmern, und von Schmerzen, die von anderen angezweifelt werden. Die Krankheit wird individualisiert, Betroffene werden stigmatisiert, und 84 Jahre nach der Ersterwähnung gibt es noch immer keine bedarfsgerechte Lipödemversorgung. 

Derzeit werden die Behandlungsleitlinien für Deutschland überarbeitet, auch international diskutieren Mediziner*innen vermehrt über die korrekte Diagnostik und Behandlung. Bislang gilt, dass es bei der Behandlung von Lipödemen vorrangig um Symptomlinderung geht. Das Tragen von maßangefertigter Kompressionskleidung ist meistens Option Nr. 1, daneben gibt es auch Empfehlungen für Lymphdrainage, Physiotherapie, Bewegung, Ernährungsumstellung und psychologische Unterstützung. Eine weitere Behandlungsoption kann eine Fettabsaugung sein – nicht aus kosmetischen Gründen, sondern um die Fettzellen und damit auch die Schmerzen loszuwerden. In Deutschland kann eine solche Liposuktion seit 2019 bei einem Lipödem in Stadium 3 von der Krankenkasse übernommen werden, dem Stadium mit der stärksten Fettgewebsvermehrung – das Fettgewebe ist hier nicht mehr gleichmäßig verdickt oder grobknotig wie in den ersten beiden Stadien, sondern bereits verhärtet, auch die Hautoberfläche zeigt sich nicht mehr glatt oder wellenförmig, sondern als überhängende Hautlappen. Seit 2021 läuft in Deutschland eine Studie, die den Nutzen der Liposuktion im Vergleich zu einer Behandlung ohne OP abklären will. Die Linksfraktion hat 2023 einen Antrag eingebracht, damit die Liposuktion auch in den Stadien 1 und 2 bezahlt wird – denn die Schmerzintensität muss nicht mit dem Lipödemstadium zusammenhängen. 

Carina Schmalenberg hat sich gegen eine Liposuktion entschieden. Für sie ist die konservative Therapie mit maßgefertigter Flachstrickkompression, die sie im Alltag außer beim Schlafen und Duschen trägt, die bevorzugte Behandlung. Schmerzen hat sie nur noch selten, auch die Blutergüsse sind weniger geworden. Indes war ihr Weg zur Diagnose untypisch – und das Gegenteil von den in den Studien beschriebenen Fehldiagnosen und Beschämungen: Nachdem ihr eine Freundin den Rat gab, ihre geschwollenen Beine abklären zu lassen, ging Schmalenberg zu ihrer Hausärztin. Von ihr bekam sie eine Überweisung zur Fachärztin, die Phlebologin diagnostizierte ihr sofort ein Lipödem – ein Begriff, den Schmalenberg zuvor nie gehört hatte. Die Phlebologin habe sie so gut aufgeklärt, dass sie mit dem Gedanken heimging: „Es ist keine lebensbedrohliche Krankheit, ich kann das schaffen.“ Heute klärt Schmalenberg via Blog und Veranstaltungen über die Krankheit auf und unterstützt Betroffene bei Fragen, die mit der Diagnose einhergehen können. Ihr Leben habe sich seit der Diagnose zum Guten verändert, erzählt Schmalenberg, auch durch die Community-Arbeit: „Ich bin dankbar – nicht, weil ich diese Krankheit habe, sondern weil mich der Austausch mit Gleichgesinnten sehr bereichert.“

Dieser Text erschien zuerst in Missy Magazine 01/2024.

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