Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV
Eine HIV-Infektion darf kein Grund für eine schlechtere oder gar keine zahnärztliche Behandlung sein. Der Klagsverband hat dazu in Zusammenarbeit mit der Aids Hilfe Wien ein aktuelles Urteil erwirkt. Theresa Hammer und Paul Haller vom Klagsverband erklären die Hintergründe und die Bedeutung des Urteils in 1. Instanz.
Als Frau D. zur Zahnärztin ging, hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie an diesem Tage keine Behandlung erhalten würde. Auf einem standardisierten Fragebogen gab sie wahrheitsgemäß ihre HIV-Infektion an. Die behandelnde Zahnärztin verwehrte ihr daraufhin die Behandlung – einzig und allein aufgrund der HIV-Infektion. Sie „erklärte der Klägerin [Frau D.], dass es ihr nicht möglich sei, sie zu behandeln, weil sie nicht über die Arbeitsmaterialien verfüge, denn sie müsste nach ihr alles doppelt sterilisieren, desinfizieren und gründlich reinigen, weil die Klägerin sonst eine Gefährdung für die anderen Patienten und die Mitarbeiterinnen der Beklagten darstelle“, heißt es in der Sachverhaltsfeststellung des Wiener Bezirksgerichts Döbling.
Das Gespräch mit der Ärztin und die Gesamtsituation waren für Frau D. sehr unangenehm und mit hohem Stress verbunden. Umso mehr als andere Patient*innen das Gespräch hätten mithören können und Frau D. zu dem Zeitpunkt nicht als HIV-positiv geoutet werden wollte. Sie fühlte sich durch die Ablehnung diskriminiert und gedemütigt, wollte aber dennoch medizinisch behandelt werden – schließlich hatte sie vorab einen Termin erhalten, für den sie sich extra frei genommen hatte. Nach nervenaufreibenden Diskussionen, in denen Frau D. zu erklären versuchte, dass sie schon seit vielen Jahren in Behandlung und ihre Viruslast derart gering sei, dass keine Ansteckungsgefahr bestünde, wurde ihr schließlich ein Behandlungstermin am Ende des Tages angeboten. Diesen so genannten Schlusstermin rechtfertigte die Zahnärztin erneut mit vermeintlich notwendigen Hygienestandards und dem Risiko einer Übertragung auf andere Patient*innen. Tatsächlich gibt es Hygienestandards für die Behandlung aller Patient*innen, aber keine speziell für Menschen mit HIV.
Kein Einzelfall
Der Fall von Frau D. ist kein Einzelfall. Knapp zwei Drittel der Diskriminierungsfälle, die 2022 den österreichischen AIDS-Hilfen gemeldet wurden, betreffen Diskriminierung im Gesundheitswesen. „In unseren Beratungen hören wir immer wieder, dass HIV-positiven Menschen unter Verweis auf vermeintliche Hygienestandards eine zahnärztliche Behandlung verwehrt wird. Dahinter stecken oft Vorurteile und falsche oder veraltete Informationen. So sind HIV-positive Menschen, deren Viruslast aufgrund moderner Medikamente nicht nachweisbar ist, gar nicht ansteckend“, erklärt Barbara Murero-Holzbauer, juristische Mitarbeiterin der Aids Hilfe Wien und zugleich Vorstandsmitglied beim Klagsverband. „Umgekehrt ist das HI-Virus nicht sichtbar, weshalb grundsätzlich alle Patient*innen so behandelt werden müssen, dass eine Übertragung – auch mit weitaus ansteckenderen anderen Infektionen – ausgeschlossen wird.“
Frau D. wehrt sich gegen Diskriminierung …
Frau D. wollte die diskriminierenden Erfahrungen nicht auf sich sitzen lassen. „Ich habe mich an die Aids Hilfe Wien und den Klagsverband gewandt, weil ich die Diskriminierung nicht akzeptieren wollte. Die ganze Situation war demütigend und stigmatisierend. Als Patientin erwarte ich mir einen respektvollen Umgang und eine Behandlung so wie alle anderen auch“, erklärt sie.
Nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch vor dem Sozialministeriumsservice im Jahr 2019 klagte Frau D. mit Unterstützung des Klagsverbands auf Schadenersatz aufgrund einer Diskriminierung. Für den Klagsverband war es wichtig, auf dem Rechtsweg zu klären, ob das Diskriminierungsverbot in einem derartigen Fall greift und betroffene Menschen Schadenersatzansprüche geltend machen können.
… und bekommt schließlich Recht
Im Februar 2023 hat das Gericht Frau D. schließlich den vollen Schadenersatz in der Höhe von 1.500€ zugesprochen und erkannt, dass es sich in ihrem Fall um eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) handelt. Eine HIV-Infektion fällt als chronische Erkrankung rechtlich unter das Diskriminierungsmerkmal Behinderung. Diskriminierung aufgrund der Behinderung ist sowohl in der Arbeitswelt als auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (z.B. im Gesundheitsbereich) verboten. Aus dem Urteil ergeben sich folgende wesentliche Erkenntnisse:
1. Sowohl die Ablehnung der Behandlung wegen HIV als auch das Angebot, die Klägerin am Ende des Tages zu behandeln, stellen eine direkte Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) bei einer Dienstleistung dar. Menschen mit HIV darf eine zahnärztliche Behandlung nicht aufgrund ihrer Infektion verweigert werden. Sie müssen auch keinen Schlusstermin aus vermeintlichen Hygienegründen akzeptieren.
2. Die Viruslast spielt dabei keine Rolle bei der Beurteilung, ob eine Diskriminierung nach dem BGStG vorliegt, weil es keinen sachlichen Grund gibt, HIV-positive Patient*innen (egal welcher Viruslast) in Bezug auf Hygiene und den Schutz vor einer Übertragung anders zu behandeln als andere Patient*innen.
3. Der Schadenersatz ist laut Gericht jedenfalls angemessen. Dass im Fall von Frau D. andere Patient*innen die Diagnose und die Ablehnung zumindest theoretisch hätten mithören können, hat das Gericht als einen der Faktoren bei der Bemessung des Schadenersatzes berücksichtigt. Diskriminierend war aber bereits die Ablehnung der Klägerin.
Leider erleben HIV-positive Menschen immer wieder Diskriminierung bei Gesundheitsdienstleistungen. Dagegen kann man sich wehren, notfalls auch vor Gericht, wie unsere Mandantin zeigt.
Die beklagte Zahnärztin hat gegen das Urteil berufen. Das Verfahren geht damit in die 2. Instanz. Der Klagsverband ist zuversichtlich, dass das Wiener Landesgericht die Entscheidung bestätigen wird.
Theresa Hammer ist fachliche Geschäftsführerin und Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands. Die Juristin ist Expertin im Antidiskriminierungsrecht und in Gleichstellungsfragen und vertritt den Klagsverband in Monitoring-Ausschüssen zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung.
Paul Haller ist wirtschaftlicher Geschäftsführer und Leitung der Öffentlichkeitsarbeit des Klagsverbands. Der Sozialarbeiter und Sexualpädagoge ist seit vielen Jahren in der LGBTIQ*-Community aktiv.
Dieser Text erschien zuerst in Xtra! 390/2023.